Im öko-sozial-liberalen Sinne...
Daher braucht es auch eine Freelancing-Reform...
- https://www.openpetition.de/petition/kommentare/freelancing-legalisieren-scheinselbstaendigkeit-reformieren/67997967
Nicht wirklich, wenn man die Einsparungen bei Bürokratie (u.a. keine Steuererklärungen mehr), diversen anderen Abgaben (inkl. Kapitalertragssteuer) und den Steuern, welche heute alle Menschen auch für Waren und Dienstleistungen sowie ihr Einkommen etc. bezahlen, dagegen aufrechnet.
Wenn alle Menschen inkl. Finanzspekulanten das verstanden und verinnerlicht haben, werden ALLE Gefallen an dieser zeitgemäßen Lösung finden, welche dann auch ihr öko-sozial-liberales Potential entfalten und die Weltwirtschaft gerechter machen kann. FairTrade wäre dann noch einfacher und breiter möglich...
Dann gäbe es auch keine Schwarzarbeit im herkömmlichen Sinne, wie sie heute noch oft vorkommt, mehr :-) Das damit einhergehende Freiheitsgefühl setzt dazu noch kreatives Potential frei.
- https://www.smartsteuer.de/online/lexikon/s/schwarzarbeit (12/2024)
Nicht zuletzt hätten die Menschen auch mehr Zeit, sich in Eigenverantwortung zu üben, was der Volksgesundheit ganzheitlich nützt.
(*) Vielleicht würde sich im Rahmen eines solchen konstruktiven Systemwandels auch die Zahl der internationalen Börsen auf ein jeweilig kontinentales Normalmaß suffizient gesundschrumpfen?
- de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Wertpapierbörsen_nach_Marktkapitalisierung
- www.relaio.de/wissen/suffizienz-konsistenz-und-effizienz-drei-wege-zu-mehr-nachhaltigkeit (2018)
Vergleiche: https://fuereinander.jetzt/images/downloads/Grundeinkommen%20und%20Mikrosteuer%2030.09.2024_final.pdf
Vergleiche:
http://thetinytax.com ("AD Tax" by William Hermann, MD of Texas, 2015)
books.google.de/books?id=L6QUEQAAQBAJ&newbks (Marc De Vos)
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SCHWERPUNKT: WIRTSCHAFT NEU _INTERVIEW EDGAR FEIGE
brand eins: Herr Feige, die Dinge ändern sich momentan sehr
schnell. Zuerst sprach man von einer Immobilienkrise, dann von
einer Finanzkrise, inzwischen spricht man von einer weltweiten
Rezession. Finden die Regierungen auf diese Herausforderungen die
richtigen Antworten?
Edgar Feige: Wir durchleben in der Tat eine sehr turbulente Zeit.
Und ich ziehe meinen Hut vor den Europäern, die schnell und
umfassend auf die Krise reagiert haben. Die neue US-Regierung
in Washington wird mit den Europäern sicherlich an einem Strang
ziehen. Was mir aber ein Rätsel bleibt, ist die Frage, wieso wir auf
internationaler Ebene immer noch vom Bretton-Woods-System
sprechen. Dieses System orientierte sich bekanntermaßen an fes- ten Größen wie dem Goldstandard und dem Dollar. Doch diese
festen Größen sind Vergangenheit. Wir sollten über ein System
nachdenken, das den Realitäten des 21. Jahrhunderts gerecht wird:
eine globale Wirtschaft mit vernetzten Informationsgesellschaften,
in denen Wissen und Kapital in Sekunden verschoben werden.
Aber ich bin ein Forscher. Es ist sehr schwer für mich, meine
Ideen an die Politiker zu verkaufen.
Sie fordern seit fast zwei Jahrzehnten ein komplett anderes Steuer- system. Warum glauben Sie, dass man das bestehende System über
den Haufen werfen sollte?
Mich hat schon immer die Frage fasziniert, wie heute die Welt
aussähe, wenn wir vor hundert Jahren dem neoklassischen Öko- nomen Irving Fisher und nicht John Maynard Keynes gefolgt
wären. Fisher blickte auf die Summe aller freiwilligen Transaktio- nen in einer Volkswirtschaft: auf Güter, Dienstleistungen und
Geldgeschäfte. Für ihn waren dies die Atome des Wirtschafts- lebens. Keynes hingegen war ein Produkt seiner Zeit und damit
der Weltwirtschaftskrise von 1928/29. Er beschäftigte sich vor
allem mit den sinkenden Einkommen. Geldgeschäfte spielen in
seiner Analyse keine Rolle: Aktien, festverzinsliche Rentenpapie- re, Devisen – all das fehlt in seinen Betrachtungen. Unter dieser
begrenzten Weltsicht leiden wir noch heute.
Zur Person:
Edgar L. Feige lehrte bis zum Jahr 1998 Wirtschaftswissenschaften an der Uni- versity of Wisconsin in Madison, der Hauptstadt des US-Bundesstaates. Der
gebürtige Berliner emigrierte als kleines Kind in die Vereinigten Staaten und
promovierte 1963 an der Universität Chicago. Er untersuchte die Schatten- wirtschaft, Währungen und den Bargeldumlauf. Seit bald 20 Jahren führt der
Ökonom einen in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachteten Feldzug für ein
radikal vereinfachtes Steuersystem, das moderne Informationstechnologie ein- setzt, um dem Staat in einer globalisierten Wirtschaft ausreichende Einnahmen
zu sichern. Zuletzt präsentierte er seinen Vorschlag 2005 vor einer Kommission
der Regierung des scheidenden US-Präsidenten George W. Bush zur Steuer- reform. Das Konzept wurde „wie erwartet ignoriert“, gesteht Feige.
Interview: Steffan Heuer Foto: William Widmer
Seit 20 Jahren wirbt der amerikanische Ökonom Edgar Feige für ein Steuerkonzept,
das diejenigen zur Kasse bittet, die Geld bewegen.
Das wäre billiger für die Arbeitnehmer, einfacher für den Staat –
und ein Albtraum für die Wall Street.
Weniger bringt mehr
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SCHWERPUNKT: WIRTSCHAFT NEU
der designierte Chef des Nationalen Wirtschaftsrates des gewähl- ten US-Präsidenten Barack Obama, hat sich für eine solche
Steuer ausgesprochen. Aber bisher hat niemand die Idee konse- quent zu Ende gedacht: Jede Einzahlung, jede Abhebung, jedes
Geschenk, jeder Handel wird mit einer sehr, sehr kleinen Steuer
belegt, die sich beide Parteien teilen. Dieser Vorschlag ist ange- sichts der Debatte unter den G-20-Ländern umso drängender.
Sie reden von einer neuen Finanzarchitektur für die Welt, aber es
fehlt jede Erwähnung einer solchen universalen Transaktions- steuer, um dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten.
Was stimmt denn am bestehenden Abgabewesen in den großen
Industrienationen nicht?
Da liegt eine Menge im Argen. Es gibt unzählige Schlupflöcher
und Sonderregelungen und damit ist es unüberschaubar. In den
USA haben Ausnahmen für diese oder jene Lobby die Bücher des
Steuerrechts auf 18 000 Seiten anschwellen lassen. So kann kei- ner verstehen, wer in welchem Umfang von Vergünstigungen
profitiert. Die Politiker wollen das so, denn damit können sie ihre
verschiedenen Interessengruppen diskret bedienen.
Der zweite große Nachteil sind die horrenden Abgaben auf
Einkommen und Verbrauch. Wenn man den Produktionsfaktor
Wir leben in einer Zeit, in der Milliarden Dollar per Knopfdruck um
die Welt transferiert werden können. Dies kann Banken und ganze
Länder in die Krise stürzen. Wie könnte man das Finanzsystem
stabilisieren?
Geldgeschäfte machen heute 85 Prozent aller weltweiten Trans- aktionen aus. Durch den technischen Fortschritt sind die Kosten
für diese Transaktionen stark gesunken. Hinzu kommt, dass
diese Geschäfte streng genommen nicht einmal besteuert werden.
Das ist einer der Hauptgründe für ihr rasantes globales Wachs- tum, aber die Konsequenzen werden uns erst jetzt klar. Deswegen
lautet mein Grundgedanke: Alle diese Transaktionen sind zu
besteuern, egal, ob ich einen Scheck von meiner Tante einreiche
oder Banken untereinander mit Devisen handeln.
Das ist keine neue Idee. Auch der von Ihnen gescholtene Keynes und
Nobelpreisträger James Tobin haben vorgeschlagen, bestimmte
Transaktionen zu besteuern.
Stimmt. Neu an meinem Vorschlag ist jedoch, dass ich alle Trans- aktionen ohne Ausnahme besteuern will, und zwar mit einem
automatischen, elektronischen Mautsystem, das alle gängigen
Steuern ablöst. Keynes wollte den Wertpapierhandel besteuern,
Tobin internationale Devisengeschäfte. Selbst Laurence Summers,
Lampe, Teller, Kanne – Kapitalgüter, die steuerfrei zu kaufen wären, ginge es nach Feige
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Arbeit mit 30, 40 oder noch mehr Prozent besteuert, werden Res- sourcen in falsche Bahnen geleitet. Drittens verursacht das System
gewaltige Kosten, um die Regeln einzuhalten und durchzusetzen.
Viele dieser Kosten bleiben im Verborgenen, etwa die, die dadurch
anfallen, dass die Regierung Millionen von Bürgern und Unter- nehmern dazu zwingt, ihre Zeit zu verschwenden, um mit kom- plexen Regeln und unübersichtlichen Formularen zu kämpfen.
Und deshalb entziehen sich so viele Menschen dem fiskalischen
Wahnsinn und hinterziehen Steuern.
Das ist das vierte große Problem. Allein in den USA werden jähr- lich 125 bis 175 Milliarden Dollar an Steuern hinterzogen. Damit
bestrafen wir nicht nur die ehrlichen Bürger, sondern zerstören
auf Dauer das Sozialgefüge. Je mehr Menschen das Steuersystem
als ungerecht empfinden und sehen, dass es weitflächig umgan- gen wird, desto größer wird das Problem.
Eine Transaktionssteuer wäre revolutionär, aber wie soll das System
funktionieren? Wollen Sie ein internationales Finanzamt einführen,
das allen rund um die Uhr auf die Finger schaut?
Auf keinen Fall. Ich bin ein Sozialliberaler und gleichzeitig ein
wirtschaftlicher Freidenker in der Tradition von Milton Friedman.
In meinem System sollte die Regierung nur die Spielregeln fest- legen – also den rechtlichen, den monetären und den Sicherheits- Rahmen gewährleisten. Der Staat ist dabei nichts anderes als ein
Supermakler, der die Geschäfte zwischen allen Parteien erleich- tert. Ein solcher Makler kassiert für seine Arbeit eine Provision.
Genau das ist meine Automated Payment Transaction Tax, kurz
APT Tax. Sie ist eine Nutzungsgebühr, die alle Teilnehmer an den
Staat und damit an unsere Gesellschaft zu entrichten haben. Sie
ist sicher und verlässlich – und mit ihr wären alle anderen Steu- ern hinfällig.
Meinen Sie das im Ernst? Wie hoch müsste diese neue Steuer sein,
wenn sie alle anderen Abgaben ersetzen soll, ohne dass der Staat
dabei pleitegeht?
Gute Frage, aber ich werde nicht darauf antworten. Ich habe
keine Ahnung, wie groß der öffentliche Sektor sein sollte. Diese
Größe muss erst politisch definiert werden. Danach kann man den
dafür nötigen Steuersatz ableiten. Aber da wir die Summe aller
Transaktionen und das gegenwärtige Steueraufkommen kennen,
lässt sich berechnen, wie hoch die APT-Steuer sein muss, um ein- kommensneutral zu sein, also dem Fiskus genauso viele Einnah- men beschert wie das jetzige System.
„Kluge Köpfe sollen sich Gedanken über künftige Energieformen machen, statt an der Wall Street zu ackern“, findet der Ökonom Feige
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SCHWERPUNKT: WIRTSCHAFT NEU
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Dann rechnen wir doch einmal: Wie hoch müssten wir jede Trans- aktion besteuern, um den Wohlfahrtsstaat zu finanzieren?
Für die USA ergäbe sich ein Steuersatz von rund 0,3 Prozent, den
sich beide Parteien – Käufer wie Verkäufer – teilen. Ich schätze,
dass der Satz für EU-Länder wie Deutschland etwas höher liegen
würde, für Länder wie Japan und die Schweiz etwas niedriger.
Selbst wenn man annähme, dass nach der Einführung der neuen
Steuer die Geldgeschäfte erst einmal abnähmen und sich damit
ihr Volumen im Extremfall halbierte, stiege der Steuersatz ledig- lich auf ein halbes Prozent oder 0,25 Prozent pro Vertragspartei.
Noch einmal: Wie soll das praktisch funktionieren, wenn Sie jede
Geldtransaktion besteuern wollen?
Indem wir bereits bestehende IT-Systeme nutzen und die Steuer- zahlung automatisieren und elektronisch abwickeln. Banken und
andere Finanzdienstleister müssen bereits heute jede Kontenbewe- gung detailliert aufzeichnen. Diesen bestehenden Zahlungssyste- men, die international funktionieren, verpasst man ein Programm,
das bei jeder Transaktion die entsprechende Steuer automatisch
abzieht und auf ein Treuhandkonto überträgt, das jedem einzel- nen Kundenkonto fest zugeordnet ist. Diese Zwischenstufe dient
dem Datenschutz, denn nur von diesem Konto fließt die Steuer
dann direkt an den Staat, ohne dass die Regierung Einblick in jede
einzelne Transaktion hat. Das Ganze hat noch einen weiteren
Vorteil: Die Regierung erhält ihre Steuereinnahmen jeden Tag und
nicht wie etwa in den USA vierteljährlich. Zudem kann man die
wichtigen Indikatoren beinahe in Echtzeit verfolgen – eine zeit- gemäße Buchhaltung, wie sie sich für das 21. Jahrhundert gehört,
die sich große Firmen bereits heute leisten.
Aber ist das nicht zu kurz gedacht? Wenn der Staat automatisch bei
jeder Überweisung mitkassiert, dann bezahle ich doch lieber bar
oder tausche meine Waren und spare die Steuern. Treibt Ihre Idee
nicht noch mehr Menschen in den wirtschaftlichen Untergrund?
Auch daran habe ich gedacht. Und Sie haben recht: Sicherlich
wird es Leute geben, die versuchen werden zu tricksen. Deshalb
meine ich, wir sollten auch das Bargeld besteuern, um dieses
Schlupfloch zu schließen. Diese Idee ist seit Langem überfällig.
Eine Währung ist ohne Frage ein sehr nützliches Gut, aber es ist
absurd, dass die Regierung unter enormen Kosten der Bevölke- rung ein Zahlungsmittel in die Hand gibt, das in erster Linie dazu
dient, den Staat um seine Einnahmen zu prellen. Folglich sollten
wir jede Abhebung und jede Einzahlung am Schalter oder Geld- automaten automatisch besteuern.
Wie hoch sollte diese Transaktionsgebühr sein? Der gleiche Satz wie
beim elektronischen Zahlungsverkehr?
Genauer betrachtet gibt es in meinem System zwei Steuersätze.
Einmal 0,3 Prozent für den elektronischen Zahlungsverkehr. Und
dann um die zwei Prozent für Bargeld-Transaktionen. Wenn ich
also von meinem Konto 100 Dollar abheben will, werden mir 102
Dollar abgezogen. Wenn ich 100 Dollar in bar auf der Bank ein- zahle, werden mir nur 98 Dollar gutgeschrieben. Dies geschieht
aus einem einfachen Grund: Zwischen der Entnahme von Bar- geld aus dem Währungskreislauf und der Einzahlung wechseln
meine Scheine mehrfach den Besitzer. Die Umlaufgeschwindig- keit von Bargeld schwankt je nach Land und Wert der Bank- note. Grundsätzlich will ich die Leute davon abhalten, Bargeld
zu verwenden.
Wer sind die großen Verlierer und wer die großen Gewinner Ihres
neuen Steuerregimes?
Banken, Makler, Rechtsanwälte, alle, die an der Wall Street tätig
sind, werden die APT-Steuer hassen. Der Normalverbraucher
hingegen wird an meiner Steuer ganz sicher großen Gefallen fin- den. Sie verteuert vor allem die modernen Finanzgeschäfte: Wer
ständig spielt oder dauernd mit Geld, Devisen, Derivaten oder
Immobilien spekuliert, muss eben deutlich mehr berappen als
jemand, der normal arbeitet, einkauft oder spart und ein Eigen- heim besitzt. Jeder in der wirklichen Wirtschaft, der Waren und
Dienstleistungen produziert, kann sich über die größte Steuer- senkung seines Lebens freuen.
Das dürfte erhebliche Umschichtungen von Vermögen nach sich
ziehen.
Sicherlich, aber so würden die volkswirtschaftlichen Ressourcen
wieder auf die wirklichen Transaktionen gelenkt. An der Wall
Street sitzen heute unsere klügsten Köpfe und verbringen ihre
Zeit damit, kleinste prozentuale Unterschiede in Aktien- oder
Wechselkursen auszunutzen, um mit dieser Mini-Differenz Geld
zu verdienen. Das ist doch eine Verschwendung intellektueller
Ressourcen! Für die Gesellschaft wäre es wesentlich besser, wenn
diese hervorragend ausgebildeten Leute an wirklichen Problemen
arbeiteten: Etwa wenn sie sich Gedanken machten über die 3
„Bargeld ist teuer und prellt den Staat um seine Einnahmen“, sagt Feige
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Energiegewinnung oder wenn sie andere Techniken und Prozesse
entwickelten.
Also sollten die Reichen und die Börsenspekulanten die Steuern
bezahlen.
Die Reichen bezahlen schon heute einen Großteil der Steuern,
da wir ein progressives Steuersystem haben. Ich halte nichts von
einer Einheitssteuer oder Flat Tax, denn sie schert alle Einkom- men und jede Art des Konsums über einen Kamm. Das ist
regressiv und bittet Kleinverdiener stärker zur Kasse als die Wohl- habenden. Meine APT-Steuer spiegelt die wirklichen wirtschaft- lichen Verhältnisse wider. Wer sich an dem Spiel namens Wirt- schaftsleben beteiligen will, muss dafür Eintritt bezahlen. Jeder
kann abwägen, ob es ihm den Preis wert ist und welche Risiken
er eingehen möchte. Dafür gehört ihm hinterher auch sein gesam- ter Gewinn, oder er muss den Verlust tragen. Das ist Freihandel
im wahrsten Sinne des Wortes, ohne Regierungszuwendungen in
Form von irgendwelchen Steuergeschenken. Verglichen damit hat
der Staat heute überall die Hände im Spiel. Wenn ich Gewinne
verbuche, muss ich dafür zahlen. Wenn ich verliere, kann ich den
Verlust abschreiben.
Konzerne, die so groß sind, dass eine Pleite zu riskant erscheint,
bekommen sogar großzügige Staatsgeschenke, wie etwa zuletzt der
Versicherer AIG oder die Citibank.
In der Tat. Wer genug verliert, kriegt vom Staat auch noch eine
Belohnung, für die alle Steuerzahler aufkommen. Das ist doch ein
idiotisches Spiel! Wir alle subventionieren die Fehlentscheidungen
von Managern, die keine Verantwortung übernehmen müssen. So
unterminieren wir auf Dauer die gesamte Wirtschaftsordnung.
Mit meiner APT-Steuer liegt die Entscheidung von vornherein
bei jedem Einzelnen.
Hätte eine solche Steuer die Exzesse an den Finanzmärkten, wie
wir sie in den vergangenen Jahren beobachtet haben, bremsen oder
verhindern können?
Da habe ich keinen Zweifel. Mit meinem Steuersystem steckten
wir nicht so tief in der Krise. Schon James Tobin wollte „Sand ins
Getriebe“ der internationalen Devisenspekulanten streuen. Ich
kann dem nur zustimmen. Finanzgeschäfte zu besteuern hat nur
Vorteile, die einen möglichen Rückgang der Liquidität bei Wei- tem aufwiegen. Hinzu kommt, dass wir allein in den USA rund
825 Milliarden Dollar im Jahr sparen würden – angefangen bei
weniger bis keiner Steuerhinterziehung über massive Kosten- senkungen bei der Finanzbürokratie bis zu Zeit und Geld, die
wir heute für Steuererklärungen aufwenden. Der Staat müsste
nur noch ein paar Tausend Finanzdienstleister beaufsichtigen
und sicherstellen, dass sie die Steuer-Software nicht abklemmen
oder hacken.
Das klingt nach einem ziemlich harten Rezept für eine moderne
Volkswirtschaft, noch dazu von einem bekennenden Anhänger
Milton Friedmans ...
Das APT-System wird das Verhalten aller Verbraucher wie Unter- nehmer verändern, und das ist gut so. Ganz klar ist, dass man die
Zahl kurzfristiger Finanz-Transaktionen vermeiden will, sonst
bezahlt man viele Steuern. Wer den schnellen Dollar machen will,
indem er Milliarden kreuz und quer über den Globus verschiebt,
muss drastisch umdenken. Die richtige Frage muss lauten: Worin
sollte ich langfristig investieren, um eine gute Rendite und einen
guten Wertzuwachs meines Kapitalstocks zu erreichen? Denn
warum sollten wir weiterhin Manager ermutigen, ihre Bilanzzah- len aufzuhübschen, um damit kurzsichtige Erwartungen zu befrie- digen? Eine einheitliche Transaktionssteuer änderte auch die Ver- schuldungsstruktur der Volkswirtschaft. Wer längerfristig dächte,
sorgte damit für mehr Stabilität.
Viele Firmen arbeiten auf mehreren Kontinenten, haben komplexe
Wertschöpfungsketten. Für sie wären bei jedem Fertigungsschritt in
Ihrem System neue Abgaben fällig. Wäre das Ergebnis eines steuer- lichen Dominoeffektes nicht noch mehr Konsolidierung und Mono- polbildung?
„Mit meinem System wären wir nicht so tief in der Krise“, sagt Feige
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SCHWERPUNKT: WIRTSCHAFT NEU
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Jede Firma muss sich bereits heute eine einfache Frage stellen: Wie
hoch sind meine Kosten für die interne Fertigung im Vergleich
zum externen Einkauf? Wenn eine Menge Zwischenschritte an- fallen, hätte meine Steuer tatsächlich einen Dominoeffekt. Aber
sich zu spezialisieren ist nach wie vor effizienter, das hat schon
Adam Smith erkannt. Wer in seiner Nische gut ist, kann so pro- duktiv sein und aus seinem Fachwissen genügend Nettogewinn
schöpfen, dass 0,15 Prozent Steuer nicht ins Gewicht fallen. Falls
einige Unternehmen zu stark auf Konsolidierung setzen, hat der
Staat ein wunderbares Mittel, um dagegen vorzugehen: das Kar- tellrecht. Und noch eines: Der Trend zu immer mehr Outsour- cing bringt für viele Länder Nachteile mit sich. Vielleicht wäre es
gar nicht so schlecht, wenn man da auf die Bremse träte. Eine
Transaktionssteuer kann also auch den Protektionisten den Wind
aus den Segeln nehmen.
Fehlt nur ein entscheidendes Detail. Ihre Idee existiert nur auf dem
Papier. Was muss passieren, damit auch nur eine Industrienation es
wagt, die universale Transaktionssteuer einzuführen?
Ich habe dieses Konzept zum ersten Mal 1990 auf einer Konfe- renz in Rio de Janeiro vorgestellt, und ein halbes Dutzend latein- amerikanischer Länder führte Anfang der neunziger Jahre tatsäch- lich eine Transaktionssteuer ein. Grundsätzlich war es ein Erfolg,
denn sie konnten das System ohne technische Probleme nutzen
und erhebliche Einnahmen verzeichnen, ohne der Konjunktur zu
schaden. Mit einer wichtigen Einschränkung: Ich hatte dieses
Konzept weder für Schwellenländer empfohlen, noch schafften
diese Länder im Gegenzug ihre bestehenden Steuern ab. Sie
pfropften die Transaktionssteuer auf bestehende Abgaben einfach
drauf. Brasilien hat die APT-Steuer vergangenes Jahr aus politi- schen Gründen wieder außer Kraft gesetzt.
Richtig glaubwürdig wären wohl nur große Volkswirtschaften wie
die USA oder Deutschland ...
Die Zeit ist reif für diese Idee, da wir momentan in einer schwe- ren Krise stecken. Mein Steuersystem funktionierte am besten,
wenn es weltweit eingeführt würde und nicht nur in einem ein- zigen Land. Dann wären die Bedingungen für alle gleich, kein
Standort wäre benachteiligt, weil er andere Rahmenbedingungen
hätte. Wenn die G-20 sich auf eine kleine Transaktionssteuer eini- gen würden, die die jeweiligen Mitgliedsstaaten für ihre eigene
Staatskasse einsammeln, wäre die Weltwirtschaft stabiler. Hinzu
käme, dass auch die Probleme des Steuerwettbewerbs und der
Kapitalflucht aus der Welt wären.
Das ist ein frommer Wunsch, aber wie sollten führende Industrie- nationen über Nacht ihr gesamtes Steuersystem reformieren?
Alle Länder, die ihre Finanzsysteme reparieren wollen, sollten
ernsthaft darüber nachdenken. Ich bin auch kein Purist und habe
mein Konzept inzwischen weiterentwickelt. Ich glaube, dass wir
schrittweise vorgehen sollten. Also mit einer kleinen APT-Steuer
beginnen, meinetwegen von 0,02 Prozent, die neben den beste- henden Abgabesystemen weltweit eingeführt wird. Da jeder
Steuerzahler am Jahresende genau weiß, wie viel er an Gebühren
abgeführt hat, kann er die Summe gegen seine traditionelle Steu- erschuld verrechnen – solange es sich um eine Einzelperson oder
ein Unternehmen handelt, das kein Finanzdienstleister ist. Diese
dynamische Übergangsphase erlaubt es dem Staat, Erfahrungen
mit der neuen Methode zu sammeln.
Was, wenn nur ein Land oder eine kleine Gruppe von Ländern
Ihre Idee aufgriffe? Wenn die meisten Banken auf die Cayman- Inseln oder in die Schweiz abwandern, fangen die Probleme doch
erst richtig an.
Wenn die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und Japan
mitmachten, idealerweise auch noch China, wäre der Rest der
Welt gezwungen, sich dem System anzuschließen. Und falls
irgendwo in der Karibik ein unreguliertes Clearing-System ent- stünde, reichte eine Guerilla-Aktion der Geheimdienste, die einen
fiktiven Deal platzen ließen. Danach wäre das Vertrauen in das
illegale System zerstört, und jeder würde es sich zweimal über- legen, ob sich das Risiko lohnt, um 0,15 Prozent Steuern zu
vermeiden. Darüber hinaus könnten die Teilnehmerländer sich
weigern, Transaktionen aus Zahlungssystemen anzunehmen, die
keine solche Steuer erheben.
Glauben Sie, dass Sie das noch erleben werden?
Ehrlich gesagt: nein. Ich bin 71 Jahre alt und Realist. Die globale
Finanzkrise gibt mir die Hoffnung, dass wir eine Mischregelung
schrittweise einführen könnten. Auf diese Weise könnten wir
lernen, wie viel Sand man ins Getriebe werfen kann, ohne den
Motor zu schädigen. Und die Wall Street müsste für die Proble- me haften, die ihre Banker und Makler geschaffen haben. Die
effektive Steuerbelastung für fast alle Menschen sänke, während
das zusätzliche Steueraufkommen von Banken und anderen
Finanzfirmen stammte. Mit diesen zusätzlichen Mitteln könnte der
Staat seine Rettungspakete für genau diese Firmen finanzieren,
ohne dem Steuerzahler in die Tasche zu greifen. Allein in den
USA rechnen Experten derzeit mit einer offenen Krisen-Rech- nung in Höhe von mindestens einer Billion Dollar, vom Rest der
Welt einmal ganz zu schweigen. Die APT-Steuer ließe sich für
einen Bruchteil der Kosten dieser Rettungspakete verwirklichen
und würde nachhaltig etwas bewegen. Das kann ich meinem
Nachbarn begreiflich machen, nur meine Fachkollegen wollen es
nicht kapieren. -