Fettleber: Wie Sie sich vor der »stillen Epidemie« schützen können - …

archived 5 May 2025 12:21:51 UTC
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Ausgabe Nr. 12

»Es sind vier intensive Wochen, aber damit entlasten Sie Ihre Leber in kürzester Zeit«

Jeder vierte Mensch in Deutschland hat eine Fettleber und die wenigsten wissen davon. Hier erklärt die Leberspezialistin Münevver Demir, wie Sie sich vor der »stillen Epidemie« schützen können und was die Leber regeneriert.
Ein Interview von Christopher Bonnen
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Außerdem in dieser Ausgabe:
Hat Politische Kommunikation studiert und erst später zu gesunden Themen gefunden. Wäre gern abends früher im Bett und isst zu ungesund, gelobt aber Besserung.
»Fettleber« ist für mich ein Wort wie »Muräne«, ein Begriff, der exakt nach dem klingt, was er meint. Das eine ist ein hässlicher, bösartiger Giftfisch. Das andere ist ein krankes Organ, das Schlechtes in seinen Zellen einlagert und anschwillt, das sich entzündet und verfärbt.
Für gewöhnlich sieht eine Leber rotbraun aus. Eine kranke Fettleber aber ist orange bis gelblich und größer als das gesunde Organ – zumindest bis die Erkrankung so weit fortschreitet, dass die fettgefüllten Zellen absterben. So hat es mir die Leberspezialistin Münevver Demir beschrieben.
Sie haben sicher schon mal von der Fettleber gehört, auch ich kannte das Phänomen vor dem Gespräch. Ich war trotzdem erschüttert von dem, was Frau Demir erzählt: Wie viele Menschen es tatsächlich betrifft, dass nur so wenige von der Gefahr wissen, die in ihrem Bauch schlummert – und dass es für einfache Schutzmaßnahmen oft schon zu spät ist, wenn das Problem auffällt. Aber lesen Sie selbst.

SPIEGEL: Frau Demir, Sie nennen die Fettleber in Ihrem Buch eine »unterschätzte Volkskrankheit«, an anderer Stelle ist gar von einer »stillen Epidemie« die Rede.
Demir: Weltweit sind derzeit wohl 33 bis 35 Prozent der Erwachsenen betroffen, das ist wahnsinnig viel – eine Epidemie eben. In Deutschland ist, unabhängig vom Schweregrad, etwa jeder Vierte betroffen. Ich würde aber schätzen, dass nur jeder Zwanzigste um seine Fettleber weiß.
SPIEGEL: Wieso verläuft diese Epidemie so still?
Demir: Eine Fettleber verursacht zunächst kaum Symptome. Sie bekommen das nicht mit. Eine Fettleber wird meist zufällig entdeckt, wenn überhaupt. Dann, wenn aus anderen Gründen ein Ultraschall gemacht wird oder ein Blutbild, und die Leberwerte überraschend erhöht sind.
SPIEGEL: Was sehen Sie im Ultraschall?
Demir: Im Ultraschall sieht Fettlebergewebe heller aus als die benachbarte Niere, bei starker Verfettung wirkt sie dann fast schneeweiß. Allerdings lässt sich selbst mit modernen Geräten eine Fettleber im Frühstadium meist noch nicht erkennen.
SPIEGEL: Warum verfettet die Leber?
Demir: Die Leber ist das Zentrum unseres Stoffwechsels. Sie verwandelt verdaute Nahrung in Energie und Nährstoffe, um damit unsere Organe über den Blutkreislauf zu versorgen. Wenn aber in der Leber mehr ankommt, als sie verarbeiten und versenden kann, wird Überschüssiges in Fett verwandelt und eingelagert – vor allem Zucker, wie er in Limonaden und Fertigprodukten enthalten ist. Es braucht nicht mal viel zu viele Kalorien. Es reicht schon, wenn es immer ein bisschen too much ist.
SPIEGEL: Wie wird aus vielen Kalorien ein krankes Organ?
Demir: Erst blockiert das eingelagerte Fett die Arbeit der Leberzellen, dann schlagen irgendwann die Immunzellen Alarm: Das Fett wird toxisch, wir nennen das Lipotoxizität – die Leber gerät in einen dauerhaften Entzündungsprozess. Dadurch vernarbt die Leber. Wir sprechen dann von Fibrose oder später sogar Zirrhose, wenn das gesamte Organ umgebaut wird und am Ende versagt.
SPIEGEL: Was macht das mit dem Körper?
Demir: Probleme beginnen schon lange vor einer fortgeschrittenen Fibrose. Schon früh leidet die Leistungsfähigkeit des gesamten Organs. Für unseren Körper ist das fatal, ohne die Leber können wir nicht leben, denn sie filtert viele giftige Stoffe und scheidet sie über die Galle aus. Außerdem verstoffwechselt die Leber Fette, Proteine, Kohlenhydrate und ist eine Fabrik für lebenswichtige Eiweiße. Produziert sie davon nicht genug, kann der Körper nicht richtig arbeiten. Doch genau dazu kommt es durch das Fett in den Leberzellen – wie bei einem verstopften Sieb, durch das weniger Wasser fließen kann. Durch den eingeschränkten Stoffwechsel wird wiederum noch mehr Fett eingelagert, das kranke Organ kann noch schlechter arbeiten – die Fettleber wird zum Teufelskreis. Eine vernarbte Leber führt dann etwa dazu, dass man schneller blaue Flecken bekommt oder stärker blutet, wenn man sich in den Finger schneidet: Es fehlen Eiweiße, die das Blut gerinnen lassen.
SPIEGEL: Welche Giftstoffe machen der Leber besonders zu schaffen?
Demir: Die bekanntesten Beispiele sind Alkohol und Medikamente. Wenn Sie operiert werden, erhalten Sie Narkosemittel, die Ihre Leber verstoffwechselt. Eine verfettete Leber ist dieser Aufgabe nicht gut gewachsen und braucht nach der OP einige Zeit, um sich zu erholen. Dann erhöhen sich oft jene Blutwerte, die auf viele zerstörte Leberzellen hindeuten. Ganz ähnlich ist es bei Alkohol, wenn wie zuletzt an Karneval exzessiv gefeiert wird. Exzessiv meine ich da gar nicht wertend, sondern bloß: Wurde mehr Alkohol getrunken, als die Leber verträgt?
SPIEGEL: Ist hin und wieder exzessives Trinken schädlicher für die Leber als das tägliche Feierabendbier?
Demir: Während meiner Ausbildung habe ich noch gelernt, man müsse nur drei Tage Alkoholpause einlegen, dann erhole sich die Leber ausreichend. Inzwischen zeigen Studien, wie leberschädigend auch vereinzeltes Rauschtrinken ist. Andere Arbeiten belegen, wie gefährlich regelmäßige kleinere Mengen wie das tägliche Feierabendbier sind. Generell gilt: Zu viel Alkohol ist ein Problem.
SPIEGEL: Wer entwickelt typischerweise eine Fettleber?
Demir: Die eine Hauptursache ist Alkohol: Selbst wer vermeintlich moderat trinkt, kann eine Fettleber entwickeln. Mengen, die gesellschaftlich als gewöhnlich gelten, sind medizinisch gesehen bereits bedenklich. Weit bevor man von Alkoholismus sprechen würde, überschreiten sie die Grenze der Leber – die liegt für Frauen bei etwa einem Glas Weißwein am Tag oder einer Flasche Bier für den Mann. Mehr führt bereits zu alkoholbedingter Leberverfettung.
SPIEGEL: Und die zweite Hauptursache …
Demir: … ist ein ungesunder Lebensstil, der noch viel häufiger der Auslöser ist. Das sind nicht nur zu viele Kalorien, sondern vor allem stark verarbeitete Lebensmittel gepaart mit wenig Bewegung und viel Sitzen. Das führt zum sogenannten metabolischen Syndrom: Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und oft auch eine Fettleber.
SPIEGEL: Wie lange dauert es vom gesunden bis zum verfetteten Organ?
Demir: Das hängt ab von der Menge des Gifts. Erinnern Sie sich noch an den Dokumentarfilm »Super Size Me«, in dem ein Mann einen Monat lang dreimal täglich zu McDonald’s ging? Am Ende hatte er eine Fettleber. Theoretisch können ein paar exzessive Wochen reichen, egal ob extrem schlechte Ernährung die Ursache ist oder sehr viel Alkohol. Oft geht ja beides auch miteinander einher.
SPIEGEL: Viele Menschen entwickeln auch eine Fettleber, ohne adipös zu sein oder viel Alkohol zu trinken.
Demir: In der Tat findet man auch bei Menschen mit einem BMI unter 25 in vielen Fällen eine Fettleber, je nach Studie bei bis zu 25 Prozent. Oft ist die Rede von der schlanken Fettleber, was vor allem Menschen meint, deren Leber trotz Normalgewicht verfettet ist. Wir wissen inzwischen, dass diese Menschen einen bereits eingeschränkten Stoffwechsel haben oder einfach ungünstige Gene – manche sogar beides. Eine kleine Mutation des sogenannten PNPLA3-Gens etwa verschlechtert den Fettstoffwechsel und erhöht das Risiko einer Fettleber. Betroffene können also auch schlank sein. Besonders bei ihnen bleibt die Fettleber dann lange unentdeckt, weil sie nicht als Risikogruppe gelten.
SPIEGEL: Gibt es keine Chance, frühzeitig etwas zu merken? Oft ist von einem dumpfen Druck im rechten Oberbauch die Rede.
Demir: Das mag manchmal ein leiser Hinweis sein, die Leber vergrößert sich ja zunächst. Aber im fortgeschrittenen Stadium schrumpft das Organ wieder, weil die fettgefüllten Zellen absterben. Die schwerkranke Leber ist dann sogar kleiner als die gesunde. Darum: Allgemeingültige Alarmsignale wie typische Schmerzen gibt es nicht. Der Schmerz der Leber ist die Müdigkeit und die Abgeschlagenheit. Wer nicht trinkt, gut isst und keinen Infekt hatte oder Medikamente nimmt, aber trotz Frühlingswetter ständig müde ist und nicht mehr Energie verspürt, sollte den Hausarzt bitten, Leberwerte zu messen. Sind die erhöht, ist ein Ultraschall sinnvoll.
SPIEGEL: Wenn jeder Vierte betroffen ist, sollten wir wohl alle mal zum Ultraschall.
Demir: Das mag im Einzelfall vielleicht hilfreich sein, aber insgesamt ist das eine utopische Idee. Dafür fehlen Zeit und Geld, strukturell wäre das nicht zu stemmen. Die Praxen sind voll genug, und die Krankenkassen zahlen ohne Anlass keinen Ultraschall außerhalb der normalen Vorsorge.
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SPIEGEL: Klingt, als wäre man ausgeliefert.
Demir: Aber Sie können sich selbst schützen! Und die Leber ist eine Meisterin der Regeneration: Die Einlagerung von Fett in den Leberzellen lässt sich meist rückgängig machen. Je früher das Entzündungsstadium, desto leichter. Sie könnten sofort damit anfangen.
SPIEGEL: Wie?
Demir: Der wichtigste Hebel ist Bewegung, selbst wenn schlechte Ernährung die Fettleber verursacht. Sie müssen nicht mal richtig Sport machen: Schon eine dreiviertel Stunde tägliches Spazieren hilft sehr. Bereits nach wenigen Wochen sinkt dadurch die Verfettung der Leber deutlich – selbst dann, wenn Sie kein Gramm abnehmen. Sie müssen sich nicht zum Joggen quälen, schon das Gehen stabilisiert unsere protektiven Systeme. Darum zählt im Alltag jeder Meter, egal ob Sie bereits eine Fettleber haben oder sich davor schützen wollen. Nur 1000 Schritte mehr am Tag haben einen großen gesundheitlichen Effekt. Wer bereits von einer Fettleber betroffen ist, sollte aber abnehmen: Schon etwa fünf Prozent weniger Gewicht können unter Umständen eine Fettleber heilen.
SPIEGEL: Ihr Buch beinhaltet ein Vier-Wochen-Programm gegen die Fettleber.
Demir: Das Programm umfasst drei Säulen: Bewegung, Ernährung und Entspannung. Wir beschreiben einfache Übungen, wie man gesünder kocht und täglich 500 Kalorien unter dem eigenen Grundumsatz bleibt. In Woche eins ist das Hauptziel mehr Bewegung im Alltag und in Woche zwei dann mehrmals Sport. Woche drei widmet sich vor allem regelmäßigen Entspannungsübungen, in Woche vier ist genug erholsamer Schlaf das Hauptziel. Es sind zwar vier intensive Wochen, aber damit entlasten Sie Ihre Leber in kürzester Zeit.
SPIEGEL: Stattdessen einfach Medikamente zu schlucken, wäre sicher leichter.
Demir: Jahrzehntelang gab es aber gar keine medikamentöse Hilfe. Nun werden die ersten Medikamente zugelassen, die in fortgeschrittenen Fettleberfällen helfen. Seit 2023 ist der Wirkstoff Resmetirom in den USA verfügbar, in Deutschland soll er im Spätsommer 2025 auf den Markt kommen. Resmetirom hilft gegen eine stoffwechselbedingte Fettleber, indem es auf die Schilddrüsenrezeptoren der Leber wirkt und so den Stoffwechsel wieder verbessert. Und dann gibt es noch die bekannten Abnehmspritzen, die bisher vor allem Diabetikern helfen: Inzwischen wurden Ozempic beziehungsweise Wegovy darauf getestet, ob sie auch gegen eine Fettleberentzündung wirken. Die sogenannte Phase-III-Studie war erfolgreich, der Wirkstoff Semaglutid wirkt demnach auch gegen den Gewebeumbau einer schwer entzündeten Fettleber. Ich denke, die bisherige Zulassung der Abnehmspritze dürfte demnächst also erweitert werden. Aber diese Medikamente sollen alle erst dann ansetzen, wenn die Leber schon schwer entzündet ist und vernarbt. Viel besser ist immer, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen: Gehen Sie raus, bewegen Sie sich, essen Sie gesund!

In dieser Ausgabe erfahren Sie außerdem, wie gesund Chinakohl wirklich wird, wenn man ihn fermentiert und scharf würzt. Der koreanische Kimchi ist hierzulande ja längst kein kurzlebiger Trend mehr, manchen gilt er gar als Superfood. Ob das stimmt, lesen Sie hier .
Wie gefällt Ihnen unser SPIEGEL Extra? Haben Sie Anregungen, Kritik oder vielleicht auch Lob? Schreiben Sie mir! Per Mail mit dem Betreff »Health« an christopher.bonnen@spiegel.de .
Viel Spaß beim Lesen, bleiben Sie gesund!
Herzlichst
Ihr Christopher Bonnen
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© Patrick Mariathasan / DER SPIEGEL
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