Ein Korrespondenzessay von Philipp Zöhrer und Amar Priganica.
Mit einem Vorwort von Kea Bolenz.
Entstanden im Rahmen von Philipp Zöhrer's Soloausstellung "Light Endarkenment" im Bistro21, Leipzig, 23.11. – 16.12.2023
Das Gelingen bzw. die Nachhaltigkeit von Lernprozessen hangt masgeblich davon ab, ob es ge-lingt einen Konzeptwechsel von Alltagsvorstellungen zu physikalisch adaquaten Vorstellungen zu initiieren. Die Kenntnis der moglichen Ausgangskonzepte von Lernenden ist hierzu ein nicht zu unterschatzender Schlussel. Im Bereich der Anfangsoptik stellt vor allem das Verstandnis von Korperfarben eine grose Herausforderung fur Schulerinnen und Schuler dar. Selbst konventionel-ler Physikunterricht scheint die Vorstellung von Farbe als feste und unveranderliche Eigenschaft eines Korpers – ahnlich wie Masse – nicht zu beheben. Als eine der Lernhurden hat sich die unzu-reichende Konzeptualisierung von weisem Licht herausgestellt, die jedoch als Basis fur das Ver-standnis von Korperfarben unverzichtbar ist. Die Akzeptanz von weisem Licht als Zusammenset-zung von verschiedenen Spektralfarben ist die notwendige Voraussetzung damit Farbwahrneh-mung als Folge selektiver Reflexionsprozesse begriffen werden...
Die exakte präoperative Berechnung und Auswahl der zu implantierenden Intraokularlinse ist ein wesentlicher Aspekt der gegenwärtigen Kataraktchirurgie. Trotz aktueller Fortschritte in präoperativer Biometrie sowie verfeinerter Operationsmethoden wie beispielsweise Mikroinzionstechniken sind viele Patienten postoperativ weiterhin auf eine Korrekturbrille angewiesen, um Emmetropie und einen optimalen Fernvisus zu erreichen [1, 4]. Ungenauigkeiten in der Berechnung der Linsenstärke ergeben sich durch nicht präzise durchgeführte präoperative Messungen, postoperativen Astigmatismus oder auch postoperative Positionsänderungen der Intraokularlinse (IOL) in der Hinterkammer durch Kapselsackschrumpfung. Dies ist besonders für Patienten mit höherer Ametropie oder bei bereits durchgeführten refraktiven Eingriffen an der Hornhaut relevant, aber auch für die Verwendung von multifokalen, akkommodativen oder asphärischen Intraokularlinsen. Einige Patienten entscheiden sich zusätzlich für keratorefraktive Verfahren nach Implantation der IOL, um völlige Brillenfreiheit zu erreichen.
Diese Arbeit fokussiert hauptsächlich auf die zweite und dritte Grundmotivation anhand eines Fallbeispiels aus der Beratungspraxis. Aufgrund der Diagnose der Klientin (Posttraumatische Belastungsstörung) wird auch die erste Grundmotivation behandelt, besonders im Zusammenhang mit der Bildung einer Beziehung mit der Klientin auf Vertrauensbasis, die eine positive Auswirkung auf die Hauptarbeit an der Wertberührung und Selbstfindung hatte. Schließlich wird im Rahmen der vierten Grundmotivation dargestellt, wie in der Folge zur Selbstfindung die Befreiung des Willens erfolgte und es für die Klientin möglich war, für sich ein sinnvolles, erfülltes Leben vorzustellen.
Vorbemerkung In folgendem Beitrag wird versucht, den Schwerpunkt dieser Veranstaltung aus dem Blick-winkel eines mit der EDV-Ausbildung befaßten Hochschullehrers zu betrachten und seine Er-fahrungen auf dem Gebiet des computergestüzten Architekturentwurfs darzulegen. Dabei drängt sich zunächst die Frage auf, welcher Stellenwert dem Eigenschaftswort "innovativ" zu-kommt. Im allgemeinen Sinn ist der Bezug zweifelsohne auf die Einführung von etwas Neuem, gar einer Erneuerung, herzustellen. Doch inwieweit ist "innovativ" nicht ein "billiges" Etikett, das rasch klebt? Letztendlich bezieht sich die Innovation im Kontext auf die Entwick-lung neuer Ideen, Techniken und Produkte. Zunächst wäre daher die lapidare Feststellung zu tätigen, daß die zehn Finger an den beiden Händen wohl nicht ausreichen, um die reichhaltige Palette des Software-Produktangebots, aufzulisten. Im Sinne eines "survival of the fittest" versuchen neue Produkte in einer Wettbewerb...
Das moderne Subjekt hatte es von Anfang an nicht leicht mit sich. Es kam schon als romantische Doppelnatur auf eine abschüssige Bahn. "Ich ist ein anderer" heißt es dann bei Rimbaud; nur zerfallen sei es zu haben (Nietzsche) oder multipliziert (Proust) oder ohne Eigenschaften (Musil)-schwere Zeiten für Autobiographien. Denn wo eine rettende Identität finden, wenn das Subjekt selbst keine mehr aufbringt? Den Dichtern bleibt auch hier nichts anderes als die Wahrheit zu lügen, schon seit der Urschrift der modernen Autobiographie, Rousseaus "Konfessionen". Festgelegt ist im Grunde nur das, was sie sprachlich von sich geben. Entsprechend hat sich ihr Interesse verschoben: vom Subjekt des Schreibens auf das Schreiben des Subjekts. Den französischen Schriftsteller Georges Perec hier einzuordnen, gebietet nicht nur sein
Light Endarkenment Ein Korrespondenzessay Amar Priganica & Philipp Zöhrer mit einem Vorwort von Kea Bolenz
Light Endarkenment ein Korrespondenzessay von Philipp Zöhrer und Amar Priganica mit einem Vorwort von Kea Bolenz
Vorwort Kea Bolenz
4 „Der Begriff der Aufklärung ist stark mit der frühmodernen Verurteilung des Mittelalters als einer Zeit der Ignoranz und des fnsteren Aberglaubens verbunden. Im Vergleich zur An- tike wurde das Mittelalter als rückständig angesehen. Die Neuzeit sollte dem Dunkel des Mittelalters das Licht der Er- kenntnis entgegensetzen.“ Wikipedia Dem empfundenen Blackbox-Charakter der hochtech- nisierten Gegenwart lässt sich wahrscheinlich derselbe, verklärerische Impetus unterstellen – überfordert von exponentiell anwachsenen Wissensschätzen, die das menschliche Gehirn als Speichermedium lächerlich wirken lassen, hat man sich schon im 19. Jahrhundert gefühlt. Nichtsdestotrotz gefällt mir der Gedanke, ganz im obskuranten Timbre des nachfolgenden Austauschs, eine apoplektische Fabel vom Rückbau der Aufklärung zu zeichnen. Von den Dark Ages bin ich schon deshalb besessen, weil ich ja mit jeder Faser dem Ekel huldige – diese Sti- lisierung von einer ganzen Weltbevölkerung über eine bestimmte Zeit als widerliche Trottel geht mir, nicht zuletzt aus biografschen Gründen, entsprechend „gut rein“. Die dunkel getönte Linse, durch die ich also das Hier und Heute betrachten muss, gibt den Blick frei auf vor der Glotze Vergammelnde, überhaupt, auf das Spren- gen bürgerlicher Fesseln der Körperhygiene durchs Vom-Content-Gefesseltsein… Cyborgesk sich mit über
5 Jahrzehnte phosphorverätztem Kauwerkzeug in schim- mernder Rüstung durchs Leben beißen… Eine seltsam befriedende Vorstellung, simultan zum technologischen Fortschritt zu erodieren. Neulich erst bin ich mit Tante und Onkel im ältesten Restaurant Berlins (Zur letzten Instanz) eingekehrt (warb früher mit Berliner Schnitzel: Panierter Euterscheibe), wo die Unterpunkte des Menüs sukzessive strukturloser zu werden schienen und ich mich so gefragt habe, ob das ein hint in Richtung unserer zahnlosen Gugu-Gaga Mentalität bzw. Physikalität von Einst sein könnte. Der gezwungenermaßenen Oberfächlichkeit der Kommunikation über (Touch-)Screens geht logischer- weise, die obligatorischen Fettschlieren mal außen vor, der Ekel-Topos völlig ab. Kinder essen jetzt nicht mehr Käfer oder Kacka, sondern treffen mit den Fingerbeeren auf durchsichtiges Metalloxid und mit den Ohren auf dümmliches Gebimmel. Umso erfreuter habe ich vom lange überfälligen recognizen zumindest seitens des ab- soluten Bodensatzes der e-games von Ekel als eins a affektuellem amplifer (fndet übrigens auch in Bibelge- schichten Nutzen und ist imho ein Hauptgrund, dass die Geschichten vom düsteren Mittelalter so scheppern) No- tiz genommen, die mich nun in ASMR-Kliniken eitrige Zehennägel mit Vibrationseffekt entfernen lassen, oder die aufgeschwemmte Freundin mit Akne, Monobraue und Hyperhidrose für ihre*n Partner*In pimpen. Während meines letzten Opernbesuchs stieg mir über
6 die volle Länge der Vorstellung ein leichter Müllgeruch in die Nase; ich hatte in letzter Sekunde ein Hemd vom Ständer einer Secondhandboutique neben dem Musik- theater gerissen und mir übergestreift, nachdem meine verhältnismäßig großen Brustwarzen immer wieder aus dem Feinrippgestänge eines Herrenunterhemds ausge- brochen waren und die Augäpfel meiner männlichen Mitbürger ihnen vor lauter Mitgefühl zur Rettung ent- gegengestreckt. Aus der Bluse in dunkelorange stieg folglich der strenge Duft. Meine Brille hatte ich vergessen, deshalb konnte ich der Handlung nicht recht folgen, neben mir saß meine von pathologischem Argwohn geplagte Be- gleitung und gab sich die größte Mühe, sich unauffäl- lig von mir wegzulehnen, um jede Idee von Lüsternheit auszuräumen. Jedenfalls dachte ich da so, dass diese ei- gentlichen Verwirrungen der Sinne den Abend für mich umso denkwürdiger machen und ich muss auch an eine kulturtheoretische Erörterung über Himmel und Hölle als Bezugsräume denken, in denen der Himmel als ewi- ge Weite mit allenfalls leisen Streichern, die Hölle als endloses Verdautwerden durch Dämonen in schwinde- lerregendem Gewimmel und ohrenbetäubendem Lärm charakterisiert wurde. Ich brauche das Chaos, um seine zackige Schatten- zeichnung als Zeitachse unter meiner Geschichte nach- zuziehen – die Höllenkreise könnte man also durchaus als Teufels Beitrag zu einem mehrdimensionalen Ver-
7 ständnis des Seins betrachten. Gestern habe ich zufällig rückseitig einen frühneu- zeitlichen Lustroman angelesen, in dem die Protago- nistin – Irene, regierende Markgräfn von Kolberg und Körlin – auf dem (sexuellen) Höhepunkt dazu berufen wird, ihren Zeitgenossen die Elecktrisitet beizubringen. Manchen Menschen, habe ich dann gedacht, fehlt es zu ihrem Glück ganz eindeutig nicht an Bezug zur Welt und zum Jetzt, sondern an Wahnhaftigkeit.
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9 Korrespondenzessay Philipp Zöhrer & Amar Priganica
10 Lieber Amar, wir sind nun schon seit Langem im Austausch über al- les Mögliche, größtenteils in Form von Kurznachrich- ten. Anlässlich der Ausstellung im Bistro21 ist es mir ein Anliegen diesen Austausch (den ich sehr schätze) auf ein Format auszuweiten, das mehr Textkörper als ein iMessage Chat beansprucht und das Ganze aus seiner Flüchtigkeit herausholt. Dabei soll nicht die Ausstellung per se, oder deren Arbeiten, die noch im Entstehen sind, auf irgendeine affrmierende oder unnötig poetische Art und Weise besprochen oder gar ge-reviewed werden, sondern ein Nachdenken über einige Thematiken, die in der Aus- stellung präsent sind, versucht werden. Bestenfalls ver- lieren wir uns dann irgendwo im Hin und Her. Ich habe vor einiger Zeit das Buch New Dark Age von James Bridle gelesen, das wahrscheinlich einer der Startpunkte meiner Überlegungen zur Ausstellung war. Der etwas nervige readbait Untertitel „Technology and the End of the Future“ ködert Techno-Pessimisten, das Buch macht aber einige interessante Überlegungen auf. Bridle beginnt mit der Grundthese, dass die tiefgreifen- den und sich beschleunigenden technologischen Verän- derungen, die die letzten hundert Jahre über stattgefun- den haben, unsere Kultur so tiefgreifend transformiert haben, dass unser Verständnis von ihnen auf der Strecke geblieben ist. Mittlerweile sind wir so eingebettet in den
11 Umgang mit komplexer werdenden Technologien, dass viele davon für uns (Normalos) einen Black Box Charak- ter bekommen haben: Wir wissen wie wir sie bedienen und was sie bewirken, aber was zwischen Eingabe und Ausgabe passiert ist uns nicht völlig klar, genauso wie ein Denken ausserhalb und ohne diese tools schwie- rig wird. Gemeint ist hier vor allem das Aufkommen des kybernetischen Denkens, das uns langfristig das Internet / Netzwerk und den digitalen Raum bereitet hat. Schließlich bedingen die technischen Mittel auch zu großen Teilen mittlerweile die Architektur unseres Handlungs- und Denkspielraums. Das soll erstmal keine Fantasien von einer Rückkehr zu einer vergangenen Zeit oder Anarcho-Primitivisti- sche Impulse anzünden, hat mich aber über den Stand der Dinge, in den wir beide Mitte der 90er Jahre hinein- geboren wurden – und deren Lauf seitdem – zum Nach- denken gebracht: es ist viel passiert. P
12 Lieber Philipp, Nichtverstehen ist das raffnierteste Öl um jenes brünsti- ge Feuer zu begießen, welches mich aus dieser stinken- den Welt treibt um das Heilige Mysterium schauen zu können. Der religiöse Zornwein welcher in allen Men- schen und Tieren unaufhörlich im Verborgenen gärt, der Funke Göttlichkeit in Fleisch und Stein muss be- dingungslos entblößt werden. Im Schrei der Angela von Foligno am Schrein des hl. Franz von Assisi manifestiert sich die unerträglich marternde Verstärkung der Stim- me Gottes – oder der Arie des poetisch-geisteskranken und inzestuös-aussätzigen Demiurgen – mit welcher er die Welt des Fleisches in Erscheinung gesprochen hatte. Zwischen mir armem Sündenknecht und besagter Hei- liger, welche ihre eigene Mutter Ehemann und Kinder zu Tode gebetet hatte um ihr Leben ganz Gott widmen zu können entsteht eine Eigenschaftslosigkeit, welche auf die absolut notwendige Vermittlungstätigkeit einer téchne der Entrückung drängt. Auf ganz gleiche Wei- se, wie James Bridle es beschreibt, müssen biblische Trompeten und Posaunen unverständliche Technolo- gie bleiben. Sie legen sich in die Wunde des sakralen Textkörpers und sind unzertrennlich mit ihm verbunden. Die erste konkrete Erscheinung Gottes gegenüber dem Menschen wird von der göttlichen Kriegstrompete an- gekündigt (Ex 19,16), die Eschatologie lehrt von sieben solcher Kriegsbläser, welche seit dem Abstieg Gottes
13 auf den Berg Sinai sämtliches Sodomsgeschratte in ihre Lautsprache aufnehmen um nun genau dieses dem Menschen und der Welt die er sich untertan gemacht hatte am Ende aller Dinge um die Ohren zu blasen (Offb 8,6-11,19). Zwischen ≈Α und ≈Ω wird immer wieder offenbar, dass dieselben Instrumente, geblasen in unendlich abgeschwächter Form vom Menschen statt von vierfach angesichtigen, mit Augenausschlag befal- lenen Sadistic Goth Chola Engeln (Ez 10,8-22) immer noch genug Stimme des lebendigen Gottes aushauchen, um den Feind in heiligen Terror zu versetzen. Warum toben die Heiden? Und die Leute reden so ver- geblich? Die Humanis- ten im Lande lehnen sich auf, und die Herrn ratschlagen miteinander wider den HERRn und seinen Gesalbten. Der im Himmel wohnet, la- chet ihrer, und der HERR spottet ihrer. Er wird einst mit ihnen reden in sei- nem Zorn, und mit sei- nem Grimm wird er sie schrecken. Aber ich habe meinen König eingesetzt auf meinem heiligen Berge Zion: „Heische von mir, heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben, Du sollst
14 sie mit eisernem Szepter zerschlagen, wie Töpfe sollst du sie zerbrechen.“ So lasset euch nun weisen, ihr Gelehrten, und lasset euch züchtigen, ihr Richter auf Erden. Dient dem HERRn mit Furcht, und freut euch mit Zittern! Küsst den Sohn, daß er nicht zürne, und ihr umkommt auf dem Wege. Sein Zorn wird bald anbrennen, denn DIE ZEIT des kultisch-kriegerischen Sühneopfers des Sohnes des Kaaananitischen Kriegsgottes JHWH IST NAHE, welcher die Schalen des Zornes in den Topf der Gier ausgießt, damit denen welche aus ihm Göt- zenopferfeisch gegessen haben durch Engelstrompeten und Gottesanbeterinnen geschehen soll was geschehen muss. Das ist das Tier, das ich unter dem Gott Israels sah am Wasser Chebar; und ich merkte, daß es der Neue Engel wäre, da ein jegliches aussieht als wäre es im Be- griff sich von etwas zu entfernen worauf es starrt. Sei- ne Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen, und seine Flügel sind aufgespannt. Er trinkt das Wasser von der Waschung der Miselsüchtigen, welches ihm so süß ist wie die Heilige Kommunion. Seine Macht ist die wortgeworden-überreizte Gebär- de, welche sich als geistlicher Waffentanz totaler und radikaler offenbart als ihr euch es auch nur vorstellen könnt. Seine Lippen sind aus Blech, seine Füße aus Erz, die Tanztoccata seiner spanischen Trompete lässt Blutschuld beichten. Zittere Du Bebendes Geschöpf! Spiele und singe das Heilige Hohelied des Brand- und Schlachtopfers der bunten Kuh! Halleluja! Lobet den
15 Herrn in seinem Heiligtum; lobet ihn in der Feste seiner Macht! Lobet ihn in seinen Taten; lobet ihn in seiner gro- ßen Herrlichkeit! Lobet ihn mit Posaunen; lobet ihn mit Psalter und Harfe! Lobet ihn mit Pauken und Kuhreigen; lobet ihn mit Sai- ten und Pfeifen! Lobet ihn mit hellen Zimbeln; lobet ihn mit wohlklingenden Zimbeln! Alles, was Atem hat, lobe den Herrn! Halleluja! „Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien“ Lk 19,40 Amar
16 Lieber Amar, wenn ich deine Predigt richtig verstehe schreibst du das Nicht-Verstehen sei ein Notwendiges dafür Transzen- denz zu erfahren. So wie der Katholizismus – oder Reli- gion generell – als Systematik ein tool ist die Unverständ- lichkeit unseres Daseins zu beseitigen und ein Dies- und Jenseits zu bauen. Im Laufe der neueren Geschichte verdrängt die Aufklärung also diese Transzendenz und speist in einer langen Entwicklung das Göttliche in Technik und Individuum ein. Trost wird nichtmehr in den heiligen Schriften oder den religiösen Institutionen gefunden sondern anderswo (am besten bei sich selbst) gesucht – oder gar gar nicht. Ohnmacht gegenüber der Netzwerkarchitektur als spirituelles Methadon bringt uns wieder näher an die Unmündigkeit und stößt dem Aberglauben und Verschwörungsdenken die Tür ein we- nig weiter auf. Nun wird das erste Erscheinen Gottes dem Menschen gegenüber im Exodus von Kriegstrompeten angekün- digt: Das lässt mich daran denken, dass das Arpanet – der Vorläufer des heutigen Internets - auch im Kontext des Kalten Krieges entstanden. Das amerikanische Militär brauchte eine dezentralisierte Struktur, die im Falle ei- nes Atomschlags auch noch Informationen zwischen Knotenpunkten vermittelkann. Tiqqun schreibt: „die Ky- bernetik [ist] eine Kriegskunst, deren Ziel darin besteht im Ka- tastrophenfall den Kopf des Gesellschaftskörpers zu retten.“
17 Damit soll erstmal Gott nicht = Internet gesetzt werden, nur eine Parallele konstruiert. Aber: inwiefern fndet man die Transzendenz vielleicht auch in genau dem di- gitalen Netzwerk, dem wir uns die ganze Zeit bedienen? Dieselben Kriegstrompeten, die das Gottesverhält- nis beginnen, beenden in der Offenbarung auch die Bibel –geblasen von Engeln. Das Engelsbild von Paul Klee (du webst da irgendwo die Benjamin’sche Be- schreibung des Angelus Novus ein) verfolgt mich schon ein wenig länger, der „Neue Engel“, den Benjamin zum „Engel der Geschichte“ tauft. Er war auch ziemlich einge- nommen von dem Bild, das er selbst besessen hat. Ich muss zugeben, dass ich die Zeilen, die er in der 9. These von „Über den Begriff der Geschichte“ über ihn schreibt nicht ganz verstehe, es wird recht viel in die kindlich anmutende, recht statische Zeichnung hineinprojiziert. Am besten aber ist es wohl im Kontext seiner eige- nen Situation 1940 auf der Flucht vor den Nazis durch Frankreich, bevor er sich das Leben nahm: „Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht
18 offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Ge- schichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangen- heit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unabläs- sig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist die- ser Sturm.“ Der Angelus Novus sieht in unsere Richtung, es wirkt als will er etwas sagen und gestikulieren, es trifft die Archaik des Engelsbegriffs auf eine moderne ästhe- tische Ausformulierung einer Engelsgestalt, der Fort- schritt treibt ihn in die Zukunft. In der Beschreibung von Benjamin könnte man die Engelsfgur für Mensch nehmen, der Zukunft ist aber heute nicht mehr in allen Punkten der Rücken gekehrt. Der postmoderne nostal- gische Blick schaut zurück, doch ist das Bewusstsein für Bevorstehendes gleichzeitig da und wird verwei- gert.Vor einiger Zeit gab es ein Meme Format, das im Kontrast zur ikonografschen, dann später „modernen“ Visualisierung von gefügelten, menschenähnlichen En- geln, die akkurate biblische Beschreibung im Buch Eze- kiel benutzt hat mit der Caption „Be not afraid“.
19 Engelsfguren, die über alle monotheistischen Religionen und dar- über hinaus verstreut auftauchen, wurde im Lauf der Geschichte interessanterweise in Kreuzung mit antiken Bildern für uns als Cupid eingespeist und von der eigentlichen Erscheinungsgewalt als Wesen zwischen Gott und Mensch kommodifziert. Nun sind Engel Gottes Boten, die Nachrichten überbringen und deren eigentliche Funktion Kommunikation ist. Könnte man die Kommunikationsstruktur des Internets damit als engelsgleich betrachten? P
20 Lieber Philipp, mir gefällt das Nicht-Verstehen mindestens genau so gut als billiger Taschenspielertrick des Geheimniskrämers: „Die mystischen Erklärungen gelten für tief; die Wahrheit ist, daß sie noch nicht einmal oberfächlich sind.“ Genau in diese Oberfäche müssen wir uns vielleicht erst einmal versenken. Vor der Zeit des Kalten Krieges gab es ernsthaft erwogene Überlegungen, wie man mit mit den Kräften des Kosmos auf eine metaphy- sische (mystische) und zugleich realpolitische Art – ganz im Stile des 20. Jahrhunderts – kommunizieren kann, um sie sich dienstbar zu machen. Die Nationalsozialisten versuchten es mit einigen ihrer nie gebauten Wunder- waffen, von welchen das Sonnengewehr hier am meis- ten interessiert. Die Massenvernichtungswaffe besteht aus einer großen refektierenden Oberfäche, welche unterstützt von hunderten kleineren konvexen Spiegeln, in der Erdumlaufbahn positioniert ist. So werden gro- ße Mengen Sonnenlicht gebündelt, um einen konzent- rierten Strahl von Photonen mit immenser Energiemenge zu erzeugen, der sein Ziel erbarmunglos verbrennt. Die Friedrich Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 126
21 Himmler’sche Hermetik, welche sich jahrelang dem Weihefeuer der Schwarzen Sonne verschrieben hatte, schafft es somit in eine technologische Unio Mystica mit dem Allerheiligsten einzugehen indem ihr theoso- phischer Korpsgeist als okkulte artistic research den quälenden Durst nach absoluter Annihilation stillt. Fast zeitgleich dazu Trotzki’s politische Ökonomie der Sterne, welche sich deren verschwenderischen En-ergieverbrauch zu Produktivkräften untertan ma- chen möchte: „Anstelle eines Sozialismus im eigenen Land, der sicher auf etwas unmögliches gerichtet sei, habe die Fortsetzung des Sozialismus im Weltmaßstab, der Internationalismus, eine Perspektive zu den Ster- nen, deren momentane Unwirtlichkeit dem menschli- chen Bedürfnis angepasst und politisch ökonomisiert werden müsse. Dies ergebe eine Flut von Horizonten, eine Art Bankkonto der Welt und des Vertrauens der Arbeiter
22 klasse, welche sich dadurch sogar von der extraterrestri- schen Umwelt in ihren ideologischen Bestrebungen be- stärkt wissen würde.“ Es offenbaren sich die Kompositionen zweier Lieder von der Erde: 1. Kräfte des Kosmos sind totaler Krieg (Heraklit ~ Krieg ist der Vater aller Dinge ~, Friedrich Kittler und die Erfndung des Internets lassen an dieser Stelle grüßen) 2. Kräfte des Kosmos haben sich in die Arbeiterein- heitsfront einzureihen Welches singst Du? Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht der Engel der Geschichte eine einzige Katastro- phe, die unablässig schwarze Löcher auf weiße Wände häuft und sie ihm vor die Füße schleudert Der neue Engel steht vor dem Trümmerhaufen des Internets, doch in seiner Vermittlungssucht will er den Willen brechen. Angelicism01 ist eine schlechte Version von Dada, deswegen werdet ihr krepieren. Es gibt Leute, die gesagt haben Angelicism01 ist gut weil es nicht schlecht ist, Angelicism01 ist schlecht, Angelicism01 ist eine Religion, Angelicism01 ist eine Poesie, Angelicism01 ist ein Geist, Angelicism01 ist skeptisch, Angelicism01
23 ist eine Magie, ich kenne Angelicism01. Meine Genos- sinnen und Genossen: gut, schlecht, Religion, Poe- sie, Netzwerke, deswegen werdet ihr alle krepieren. Angelicism01 arbeitet mit peinlichen Anachronismen wie Manifesten und schafft es nicht sich von akademischen Referenzen zu emanzipieren, gerade deswegen werdet ihr alle krepieren. Was denkst Du würde passieren wenn die Welt wirk- lich von den 500 coolsten und wichtigsten New Yorker Szeneleute geläutert werden würde? Wie lange dauert es um sie zu ersetzen? (Ich freue mich übrigens schon sehr auf Deine Angelicism-Apologie) Um meine tendenzielle Abneigung gegenüber dem Phänomen der Network Spirituality darzulegen, muss ich erklären, was ich mir von Spiritualität erwarte. Ein ganz zentraler Begriff für mich ist die Gottesfurcht. Was die Kirche falsch macht ist, dass sie immer nur an die Furcht vor der Freiheit appelliert und dann geht es schnell um Sexualmoral, Abtreibungen usw. Was halt wirklich fehlt ist genau die Mood, welche in bereits er- wähnten Exoduskapitel dargebracht wird: „Der HERR sprach zu Mose: Geh zum Volk! Heilige sie heute und morgen! Sie sollen ihre Kleider waschen und sich für den dritten Tag bereithalten. Am dritten Tag nämlich wird der HERR vor den Augen des ganzen Volkes auf den Berg Sinai herabsteigen. Zieh um das Volk eine Grenze und sag: Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder auch nur seinen Fuß zu berühren! Jeder, der den Berg berührt, hat den Tod
24 verdient. Keine Hand soll den Berg berühren. Wer es aber tut, soll gesteinigt oder mit Pfeilen erschossen werden; sei es Tier oder Mensch, es darf nicht am Leben bleiben. Erst wenn das Horn ertönt, dürfen sie auf den Berg steigen.“ Ex 19, 10-13 Wenn GOTT in jeder Heiligen Messe wirklich ge- genwärtig sein soll, dann sollte man doch zumindest probieren genau dieses Gefühl, welches in der Heiligen Schrift tausendfach in einem Ringen um Worte versucht wird zu beschreiben, zu erzeugen. Die ganze Tragik des Sühneopfers des Neuen Bundes wirklich fassbar ma- chen, die GANZE Wahrheit. Leute gehen nicht mehr in Gotteshaus weil er selbst mittlerweile meistens gar nicht mehr da ist, wir haben vergessen wie wir ihn anrufen sollen – Aus den Tiefen rufe ich, Herr, zu dir. HERR, erhöre meine Stimme, lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens! Ich will weder Schismatiker, noch Sektengründer sein aber so darf es nicht weitergehen. Ich würde mich sehr freuen, Dir im Laufe dieser Korrespondenz mein Verständnis der katholischen Liturgie auszubreiten, wel- ches zwar ganz bestimmt laut Amtskirche häretisch ist, gleichzeitig aber näher an GOTT dran ist, als es sich die Kath. Kirche jemals auch nur vorstellen könnte. Wor- auf ich jedoch an dieser Stelle eigentlich hinauswollte ist: Glaubst Du wirklich DIESES Gefühl im Internet replizieren zu können? Auf der 2011er 2000¤ Fap-Ma- chine Musik auf schlechten Lautsprechern hören und Twitter Texte überfiegen/Memes anschauen oder 128
25 Tabs offenhaben und Videos im Bett schauen? Für mich kann das Meditation oder Zerstreuung, von mir aus auch Spiritualität sein (Ich mag den Begriff nicht weil er zu sehr nach Siddhartha riecht) aber die GEISTLI- CHE Wutextase gibt es mir nicht. Es kommt halt darauf an mit wem man kommunizieren will um engelsgleich zu werden: mit alten blutrünstigen Gottheiten (Hélios Christόs), dem Proletariat (nein danke) oder mit Con- tent Creators, die auf deterritorialisierten Schizo-Man- nigfaltigkeiten hängen geblieben sind? Dass Kirche nichts mehr mit Angst zu tun hat, das ist ein Problem, alle institutionalisierten Religionen sind zu angepasst. Staat und Kirche in den demokratischen Ge- sellschaften müssen noch mehr getrennt werden. Die Kon- sekration der Heiligen Katholischen und Apostolischen Kirche ist in Gefahr. Umarmungen in Flammen, Amar
26 Lieber Amar, Die Oberfäche, die du hier aufspannst ist interessant. Nun würde ich die von dir skizzierten Kräfte des Kosmos im jeweiligen Größenwahn und nicht so sehr im Spiri- tuellen verorten (keine Angst vor dem Begriff: der Spi- ritus [Sanctus] wird schon irgendwie mitgeatmet). Bei- de Beispiele bedienen sich des Lichts für sehr profane Zwecke: die Kernschmelze der Sterne dem jeweils eigenen Projekt nutzbar zu machen, die Vorhaben sind dabei aber von ziemlich unterschiedlicher Art: destruktiv vs. extraktiv. Prämisse der Fantasien ist, dass die Erde erst ein- mal verlassen wird und der Blick ins Extraterrestrische ausgeweitet. Ich erinnere mich noch gut an das eu- phorische Gefühl, das ich als weltraumbegeistertes Kind um die Jahrtausendwende hatte. Das Spaceshuttle wurde im Was ist was? Buch erklärt und die Techno-Uto- pie samt Ausweitung des Lebensraums in den Weltraum wirkte für mich nicht in weiter Ferne. Ich glaube die Begeisterung für eine Sicht ins All hat sich lange wieder gelegt, die Bilder ins tiefe Universum des Webb-Teles- kops die letzten Jahre über haben nicht so wirklich für Aufsehen gesorgt. Was soll eigentlich das Aufkommen der Ufologie in letzter Zeit gerade wieder?
27 Ich singe einen secret third song! Das zwanzigste Jahrhundert beginnt – du deutest das schon an – mit einem Aufschwung von Mystik und Okkultem als Reaktion auf den schnellen technischen, sozialen und kulturellen Fortschritt der Moderne und ist Ausdruck einer Sinnkrise. Das sickert einerseits in die esoterischen Praxen der Nationalsozialisten zur Rechtfertigung von begangenen Gräuel, aber auch in die Suche nach Transzendenz in der Kunst, wie bei Hil- ma af Klint, Paul Klee, Kandinsky, etc., zieht sich irgendwo weiter zum Psycho-Beuys… Und bekommt (ein paar Schritte übersprungen) im Nietzsche Bezug von Nick Land Ende des Jahrhunderts, der das Okkulte im Internet und digitalen Kulturen verortet, eine Art philosophisches Update. Angelicism01(https://cashedcobrazhousewriter.substack.com/) will ich gar nicht verfechten, weil ich es selbst nicht wirklich in seiner Gänze verstehe. Angelicism01 ist Psychose, aber einige Aspekte ziehen mich an: Der Account, der über Twitter, Instagram und vor allem auf Substack aktiv ist (dort mit der Tagline
28 „theoretical gossip of the 21st century“) ist anonym, reakti- onär, kryptisch und baut einen gewissen Mythos. Genau das was mich an der DJ Kultur der 90er in die 00er Jah- re angezogen hat. Aus oder um jungen New Yorker art circle kommend (Downtown Scene, die man vielleicht als einem Verschnitt der Factory interpretieren kann), verfasst Angelicism in einer Art 1000-Plateau-Sprech Texte, die wie Copy- pasta anmuten, schizo-unverständlich sind und mes- sianisch daherkommen, das ganze in einer Masse und Häufgkeit, die irritieren (highspeed-post-maxxing) und dann längerenPausen. Es geht immer wieder um Exis- tenz, aberauch Extinction und ständiges Referenzieren von einem Misch aus Philosophien, Internet, Post-tum- blr Ästhetiken und einer konkreten Szene, die recht künstlerisch mit dem Digitalen im Digitalen umgeht. Das Ganze hat seinen Ursprung im Hyperonline-sein im Zuge der Covid Pandemie zwischen den Podcast-Ideo- logiemaschinen, die ein Publikum bündeln. Geläutert/erlöst wird hier niemand, im Gegenteil... es geht um Erzählungen im Internet über das Internet
29 aus einem konkreten geografschen und sozioökonomi- schen Kontext und aus einer USA nach Trump entsteht. Was mich aber catcht: der Account ist ein anfänglicher Versuch des Paradoxes einer Identitätslosigkeit, es gibt eine Vielzahl an Accounts, die sich gegenseitig refe- renzieren und das Netzwerk als eine Möglichkeit der Entkörperung und Kollektivierung benutzt. Das löst sich letztendlich leider nicht ein, da trotzdem einzelne Charaktere hervorgehoben werden, an denen es sich festbeisst. Dean Kissick schreibt in seiner Downward Spiral: „In the attention economy, faces and images are borrowed and swapped to the point of credit spiral. If you can see your face everywhere, and see everything in your face, that leads to facelessness.“ Das was das frühe Internet versprochen hat, die Möglichkeit ein Profl zu bauen, die jenseits vom eigenen Körper liegt kann man wieder aufwärmen. Was war dein erstes Profl? Irgendwie gelingt hier in einem informationsbasier- ten Medium zwischen all den leeren Stories Erzählun- gen und Geschichten erzählen wieder zu ermöglichen und auf eine Art die Welt der Semiosphäre rückzuver- zaubern. We speak to existence und die Überfülle lähmt uns, wir sollten uns vielleicht schon vorstellen das In- ternet sei tot. Dem voraus geht Exctinction einer Szene. Ich würde dabei wieder den Spiritualitätsbegriff auf Transzendenz verlagern, wofür du die Kirche als insti- tutionellen Gatekeeper siehst. Voll und ganz stimme ich
30 dir bei der fehlenden Gottesfurcht zu, wobei Gott hier für mich ein Container ist. Was heutzutage beobachtbar schwer, wenn nicht gar unmöglich, erscheint ist eine Unterordnung gegenüber einem größeren Vollkomme- nen. Die beschriebene Mood ist eine unanfechtbare Un- terwerfung einer Gewalt, die außerhalb der Welt steht und zur Basis ein Grundvertrauen benötigt, das irgend- wie in der Welt verloren gegangen ist: Du suchst die Wahrheit, aber die haben wir doch hinter uns gelassen? Fein sauber sind wir sorgfältig zu Individuen gebas- telt worden, die sich im Content zerstreuen und so wie Trotzki die energieverschwenderischen Sterne anzap- fen will, sind wir vom Kapital angezapft und gelähmt. DIESES Gefühl wird nicht in der von dir gewünschten Intensität zu fnden sein. Netzwerkspiritualität, so wie es auf X.com performt wird ist auch nur ein akzelleratio- nistischer Gimmick, der einen vibe, ein desire einfängt und ästhetisiert: Eine Farce, um Extraktionsmechanis- men zu verschleiern oder zu vergessen, die Realität und Materialität des Internets ist in Besitzverhältnisse eingebettet, die einer Transzendenz ferner nicht sein können. Das Internet hat höchst-utopisches Potential als Organisations- und Kollektivierungstool, wir arbei- ten aber für Plattformen und werden dabei überwacht und sind dabei mit identitätsökonomischen Blödsinn beschäftigt. Ein Bewusstsein für etwas, das größer als ich selbst ist muss irgendwo sprießen und das würde ich gern jenseits von Identität gesät sehen.
31 Ich sehe Angst jetzt nicht als konstruktive Macht, die einer dies – oder jenseitigen Autorität (welcher Gestalt auch immer) entgegengebracht werden soll, sondern im Gegenteil, viel besser wäre doch diese versuchen zu lin- dern, aber vielleicht catholicsplainst du mir erst einmal dein Liturgieverständnis – Ist es ein Vibe? Ich hätte kein Problem mit der Ent-Weihung. xx P
32 Lieber Philipp, vielen Dank für Deine ausführliche Rückmeldung. Da ich Deinen letzten Satz als Aufforderung verstehe, sehe ich es als meine christliche Pficht, diesem Gegenstand in diesem Schreiben Priorität einzuräumen. Ich werde Dir ganz viel anderes in meiner Antwort vorerst schul- dig bleiben, und hoffe die Gelegenheit zu fnden bald ausführlich auf dieses mit der gebührenden Sorgfalt eingehen zu können. Ich bitte schon jetzt um Vergebung. Die Notwendigkeit für eine Reform der Katholi- schen Liturgie ist selbstevident. Ich werde nicht auf die zahlreichen Hetzschriften auf das Zweite Vatikanum und der Novus Ordo Missae (welche ich übrigens zum Großteil unterschreiben kann) eingehen. Die Idee zum Tridentinischen Ritus zurückzukehren ist sicher nicht falsch, allerdings muss dieser mit klugen Kunstgriffen dergestalt akzentuiert werden, um etwas in der brutalen, künstlichen und unschuldigen Seele des heutigen déca- dents bewegen zu können. So soll erreicht werden, dass das Eucharistische Mysterium wieder vollständig ausdrückt wird Vergelt’s Gott! Der dreiteilige Actus Tragicus – Vormesse, Opfermes- se, Nachmesse – wird von der ersten konkreten Erschei- nung des Göttlichen in die Eschatologie hineinreichen. Die Intensivierung des Alten Ritus wird durch An- reicherung der Kultusbestimmungen in der Heiligen
33 Schrift, sowie durch die Mittel der Musik erreicht. Wa- rum ist dem Klang ein göttliches Privileg vor allem an- deren, insbesondere dem Bild, einzuräumen? Es besteht seit Jahrtausenden die Überzeugung, dass die richtige vokale Äußerung eine physische Manifestation oder so- gar das Universum selbst hervorbringen kann. In Gene- sis 1, 3 steht geschrieben: „Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.“ Das Interessante dabei ist, dass er das Licht erschaffen musste – den Klang musste er nicht erschaffen, denn dieser war offenkundig bereits vorhanden. Dies setzt sich fort mit der Erschaffung des Menschen in Genesis 2,7, wo der HERR in dessen Nüs- tern den Hauch des Lebens einhaucht um auch ihn zu ei- ner lebendigen Seele und sprechendem Geist zu formen, damit dieser durch den Akt der klanglichen Äußerung als Ebenbild Gottes selbst Dinge erschaffen kann. Die- ser Lebenshauch, der ruach, hat wiederum selbst einen Klang. ruach kommt in der Hebräischen Bibel fast vier- hundert Mal vor, und kann Wind, Atem oder Geist, aber auch Energie oder Lebenskraft bedeuten. Die Stimme und der „Braus“ Gottes sind unzertrennlich miteinan- der verwoben und bedingen einander. Daher müssen, in logischer Konsequenz, aus geistlicher Perspektive die Blas- und Pfeifeninstrumenten den sonstigen Klangkör- pern bevorzugt werden. Was die näheren Konsequenzen der Wandlung anbe- langt, wird die tridentinische Feststellung, dass „in jeder Hl. Messe durch das unblutige Opfer uns jene überreichli-
34 chen Früchte des blutigen Opfers Christi zufießen“, als klerikale Wohlfühlmaßnahme zurückgewiesen. Wenn davon ausgegangen wird, dass der Mensch sündiges Fleisch ist, muss er in einer Heiligen Messe auch ganz klar ein Sündopfer darlegen. Levitikus 4, 27-35 schreibt dazu vor: „Wenn jemand aus dem Volk ohne Vorsatz sündigt, weil er etwas vor dem HERRN Verbotenes getan hat, so wird er schuldig, oder man teilt ihm sei- ne Sünde mit, die er begangen hat, so soll er als seine Opferga- be für seine Sünde, die er began- gen hat, eine fehlerlose Ziege bringen. Er soll die Hand auf den Kopf des Sündopfers legen und es dort schlachten, wo man das Brandopfer schlachtet. Der Priester soll mit seinem Finger etwas vom Blut auf die Hörner des Brandopferaltars tun und dann das ganze Blut am Sockel des Altars ausgießen. Er soll das ganze Fett ablösen, wie man das Fett eines Heil- sopfers ablöst, und der Priester soll es auf dem Altar in Rauch aufgehen lassen als beruhigenden Duft für den HERRN und so für ihn Versöhnung erwirken; dann wird ihm vergeben werden. Will er aber zum Sündopfer ein Schaf als Opfergabe bringen, soll er ein fehlerloses weibliches Tier bringen. Er soll die Hand auf den Kopf des Sündopfers legen und es dort schlachten, wo man das Brandopfer schlachtet. Der Priester soll mit seinem Finger etwas vom Blut dieses Opfers neh-
35 men, auf die Hörner des Brandopferaltars tun und das ganze Blut am Sockel des Altars ausgießen. Das ganze Fett soll er ablösen, wie man das Fett des Schafes eines Heilsopfers ab- löst. Der Priester soll die Fettteile mit den Feueropfern des HERRN auf dem Altar in Rauch aufgehen lassen und für ihn so Versöhnung erwirken, um ihn von seiner Sünde zu lösen, die er begangen hat; dann wird ihm vergeben werden.“ Aus Lev 4, 32 spricht das Lamm Gottes, das hinweg- nimmt die Sünde der Welt. Zeitangaben Die Heilige Messe soll am ersten Freitag des Monats gehal- ten werden, die Dauer beträgt Drei Stunden, da Christus so lange am Kreuz gehangen hat. Wöchentliche, oder gar tägliche Heilige Messen müssen tun- lichst vermieden werden. Die Eucharistische Anbetung aller- dings muss jeden Tag ermöglicht werden. Musikalisches Instrumentarium Große Orgel 1 x Schofarhorn des größten Widders den man in der jeweili- gen Region fnden kann, alternativ Wagnertuba 7 x Salpinx, alternativ Sopranposaunen Musikalische Gestaltung
36 Tonsprache basiert auf Gregorianischer Choralmesse, Bear- beitungen für moderne Orgel mit freier Harmonisierung (als Referenzpunkt kann die moderne französische Orgelmusik herangezogen und weiterentwickelt werden, insbesondere die Fantasie über das Victimae Paschali Laudes von Charles Tournemire, oder das Livre du Saint Sacrement von Olivier Messiaen gilt es in dieser Hinsicht näher zu studieren) Die Orgel hat zu dienen und zu verstören, geheimnisvoll und grausam. Gemeindegesang hat in einer Heiligen Messe nichts zu su- chen. Generell hat das Volk bis zur Nachmesse zu schwei- gen. Erst dann soll in einer einstündigen Antiphon, angeführt vom Zelebranten, das Haupt und die Glieder Christi in einen Geist gegossen werden. Das Schofarhorn setzt bei der Hl. Wandlung ein Die Sieben Salpinxe werden in der Nachmesse geblasen. Beim Auszug das Generalltutti aller Instrumente, das Lob Christi in Ewigkeit. Das Opfer Echtes Lamm wird geopfert, wartet geduldig auf der Schlacht- bank. Jeder, der die Heilige Kommunion – auf deren Spezifzierung zu einem späteren Zeitpunkt noch eingegangen werden muss – empfangen möchte, muss das Lamm geißeln, denn im Herzen sind wir alle Pharisäer und bestialisches Heidenvolk (Liebe
37 Grüße vom Mahlstädter Kind) Es darf keine Standardisierung beim Vollzug des Opfers ge- ben, welches der Priester durch Tötung verübt. Allerdings ist die Kreuzigung des Lammes ist nicht erlaubt, das wäre ge- schmacklose Blasphemie. Man muss mit den Symbolen arbei- ten, darf sie jedoch nicht verschmutzen sondern muss abstra- hieren können. Ein ehrwürdiges, wohlriechendes Opfer dem mordbegierigen Jahwe darbringen, die kleine Dreifaltigkeit aus Brand- Schlacht- und Speiseopfer. Der Priester ist in jeder Messe Stellvertreter Christi: es nimmt Suizidcharakter an, wenn er das Lamm schlachtet, genau so wie Gott seinen Sohn damals hat schlachten lassen, der Sohn ist durch den Vater und in ihm enthalten. Das unblutige Opfer wird blutig vollzogen. Das Braten des Lammes stellt Jesus, hinabgestiegen in das Reich der Toten, dar. Leib und Blut des Lammes wird bei der Kommunion statt Hostie und Wein einverleibt. Der heilige Sinn in der Tötung des Lammes durch den Pries- ter liegt darin, dass er moralisch über sich hinauswachsen muss (Jenseits von Gut und Böse). Kirchenrechtlich muss be- stimmt werden, dass in der Hinsicht alles möglich und nichts strafbar ist (Der Priester ist der größte Pharisäer von allen)
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Auf diesem optischen Chip aus hochreinem Quarzglas sind mit hochenergetischen Femtosekundenpulsen eine große Anzahl von funktionalen Lichtwellenleitern erzeugt worden. Sie sind so strukturiert, dass in ihnen langsames Licht entsteht. Das dispersive Farbspiel im Bild hat allerdings eine andere Ursache: Die vielen Wellenleiter wirken zusammen als holographisches Beugungsgitter. www.phiuz.de
TATuP - Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis
schlimmsten Climate-Engineering-Alpträume vorstellte, die er die Woche über von den Konferenzteilnehmern gesammelt hatte. Diese reichten von einem Fehlschlag eines großen Feldexperiments mit unkontrollierbaren Nebenwirkungen bis hin zu einem "zu guten" Funktionieren einer Climate-Engineering-Methode, was einzelne Akteure dazu verleiten könnte, kurzfristig und lokal optimale Klimabedingungen schaffen zu wollen (nicht zu kalte Winter, nicht zu warme Sommer, hier ein etwas stärkerer Monsun, dort ein etwas schwächerer...). Das hochgesteckte Ziel der Organisatoren, einen Vorschlag für ein Regelwerk oder zumindest einen Verhaltenskodex zu entwickeln, wurde nicht erreicht. Ein Abschlusskommuniqué mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit solcher Regeln und die Forderung nach weiteren Anstrengungen wurde in der letzten Nacht vom wissenschaftlichen Organisationskomitee verfasst und den übrigen Konferenzteilnehmern zur Unterzeichung angeboten. Weitere Diskussionen auf nationaler und internationaler Ebene werden erforderlich sein, um zu einer befriedigenden Kontrolle von Climate-Engineering-Forschung zu gelangen. Das Asilomar-Treffen war dafür nur ein erster Schritt. Weitere Informationen zum Ablauf der Konferenz sind unter http://www.climateresponsefund.org/ einsehbar. Anmerkung 1) "�reakout"-�ruppen sind zeitgleich statt� ndende Ar-�reakout"-�ruppen sind zeitgleich statt� ndende Ar-"-�ruppen sind zeitgleich statt�ndende Arbeitsgruppen, die anschließend ihre Ergebnisse ins Plenum der Konferenz einbringen.
Design offers the opportunity to perceive, shape and, therefore, change the world. But also the chance to build a company and maintain relationships. Rosemarie Baltensweiler, née Schwarz, utilised them all with her husband Rico until he died in 1987, in a team with her children Karin and Gabriel and with employees. Designing, developing, constructing, and the entrepreneurial side of design all played essential roles in her life. She understood "design" as integrative and multifaceted. From the various perspectives that go hand in hand with this, she brought together an independent view of what good design can achieve.
The conscious choice of marginal characters like prostitutes, pimps and other »lumpen figures« as literary protagonists is an intercultural thread that links an iconic French author from the 19th century, Charles Baudelaire, and an inf luential Indo-Pakistani author from the 20th century, Sa'adat Hasan Manto. This essay tries to locate the portrayal of these figures from the red light milieu as an expression of the socio-cultural, political and historical subversion of the patriarchal society. For Manto as well as Baudelaire, they turn into a site of struggle of the subaltern voices in the society at large, of processes of modernization, of the protest against suppression and marginalization.
A ls unredlich möchte niemand gelten. Redlichkeit bescheinigt zu bekommen, wird gleichwohl nicht jeder als Kompliment auffassen. Der Bedeutungshof von ‚Redlichkeit' scheint im heutigen Deutsch einen Durchlass zu besitzen für die Begleitvorstellung des Biedersinnigen. Wie der Ehrliche sprichwörtlich Gefahr läuft, der Dumme zu sein, so scheint der Redliche nicht dagegen gefeit, zum Spießer oder Langweiler zu werden. Dabei ist er im Wortsinne von ‚redlich' ein Mensch, der Rede und Antwort steht, der Rechenschaft abzulegen vermag über das, was er behauptet. Redlichkeit in diesem elementaren Sinne könnte darum zum Anforderungsprofil des Denkberufs namens Philosophie gehören-zumindest, wenn philosophisches Denken dadurch charakterisiert ist, dass es keinen Gedanken ungeprüft gelten lasse und stets Auskunft über seine eigenen Annahmen und Vorannahmen zu geben versuche. Ein unredliches Ansinnen? Sogar Friedrich Nietzsche, kein Freund jeder Tugend, hat sich mit derjenigen der Redlichkeit befreundet-und allen seinen Denkkollegen attestieren zu müssen geglaubt, ihrem Anspruch nicht zu genügen. Es gehe bei ihnen Figurationen downloaded from www.vr-elibrary.de by 54.161.142.245 on May, 24 2022 For personal use only. "nicht redlich genug" zu, befindet er in Jenseits von Gut und Böse (1886), seinem Vorspiel einer Philosophie der Zukunft. Ebendieser Mangel an Redlichkeit reize dazu, "auf alle Philosophen halb misstrauisch, halb spöttisch zu blicken". Vor Augen hat Nietzsche offenbar eine Art geschönter, verzerrender, unaufrichtiger Selbstdarstellung: Die Philosophen seien "allesamt Advokaten […] ihrer Vorurtheile, die sie ‚Wahrheiten' taufen"; sie täten so, als verdanke sich, was sie sagen, einer rationalen, klaren-"kalten, reinen"-Gedankenentwicklung, während doch in Wahrheit bloß ein "Einfall" oder ein "Herzenswunsch […] mit hinterher gesuchten Gründen vertheidigt" werde. 1 Obgleich Nietzsche nicht nur im Kontext der zitierten Stelle seine Überzeugung durchblicken lässt, kein Urteil sei frei von Vorurteilen, scheut er sich nicht, Redlichkeit zu einem Leitstern seines Denkens und Schreibens zu erklären. Er begreift Redlichkeit als eine "w e r d e n d e Tu g e n d ", die "wir fördern oder hemmen können, je nachdem unser Sinn steht". 2 Was also tun, um es beim Denken redlicher zugehen zu lassen? Das Mittel der Wahl, um die "ihrer selbst noch kaum bewusst[e]" Redlichkeit zu fördern, 3 formuliert Nietzsche in der autosuggestiven Maxime: "Nie Etwas zurückhalten oder dir verschweigen, was gegen deinen Gedanken gedacht werden kann! Gelobe es dir!" 4 Die Redlichkeit, die sich in solcher Selbstermahnung Ausdruck verschafft, kann nicht dieselbe sein, die Nietzsche, gleichfalls in der Morgenröthe (1881), recht eigentlich als Redlichkeit aus Schwäche entlarvt: "Mancher ist wahrhaftig,-nicht weil er es verabscheut, Empfindungen zu heucheln, sondern weil es ihm schlecht gelingen würde, seiner Heuchelei Glauben zu verschaffen." Darum ziehe mancher die Redlichkeit vor. 5 Demgegenüber, so steht zu vermuten, soll die gesuchte und geförderte, die im Werden begriffene intellektuelle Tugend eine Redlichkeit aus Stärke sein. Jedenfalls muss sie für Nietzsche eine "Redlichkeit des Denkens" sein, 6 Ehrlichkeit gegen sich selbst. Wahrhaftigkeit gegenüber anderen, 7 die Redlichkeit der Rede, wie man sie nennen könnte, 8 kommt für Nietzsche anscheinend nur mittelbar in Betracht, insofern sie der Redlichkeit des eigenen Denkens förderlich ist. In der Praxis einer solchen Redlichkeit, so kann man sich ausmalen, wird kein Einfall "mit hinterher gesuchten Gründen" verziert und zu einer vermeintlichen Wahrheit stilisiert, es würde vielmehr zugelassen, ja dafür gesorgt, dass jeder Gedanke, sobald er-wie auch immer-sich gebildet hat, Gegengedanken auf den Plan ruft. Der Redliche lässt, weil er sich selbst zu misstrauen gelernt hat, auch andere Gedanken oder Gedanken anderer zu Wort kommen. Ob sein Gedanke die Gegengedanken entkräftet oder ob umgekehrt sie ihn entkräften, ist dann die Frage-die Frage, die der Redliche sich zu stellen hat. Nicht ausgeschlossen, dass er dabei gute Gründe, die
Diese Publikation wurde im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beauftragten wissenschaftlichen Begleitung des Bund-Länder-Wettbewerbs Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen erstellt. Das BMBF hat die Ergebnisse nicht beeinflusst. Die in der Publikation dargelegten Ergebnisse und Interpretationen liegen in der alleinigen Verantwortung der Autorinnen und Autoren.