System Change Camp in Frankfurt Zwischen Kapitalismuskritik und Antisemitismus-Vorwürfen

Farbattacke auf jüdische Aktivisten in Frankfurt – dort, wo im "System Change Camp" linke Gruppen über Klima und Gerechtigkeit diskutieren. Kritik kommt von Parteien, dem Antisemitismusbeauftragten und der Jüdischen Gemeinde, die dem Camp israelfeindliche Tendenzen vorwerfen.

System Change Camp im Frankfurter Grüneburgpark 2025
Der anhaltende Nahost-Konflikt ist eines der beherrschenden Themen beim System Change Camp in Frankfurt. Bild © Arne Dedert, picture-alliance/dpa

Es ist die eigene Kunst, die Dee zu schaffen macht. In einem etwas stickigen Zelt mitten im Frankfurter Grüneburgpark müht sich der US-Amerikaner mit einem großen Stofftuch ab, das sich partout nicht an einer quer durch den Raum gespannten Kordel befestigen lassen will. Als es schließlich doch hängt, eröffnet sich dem Betrachter ein geradezu überbordendes Panorama.

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Kritik an linkem Camp im Grüneburgpark

Kritik an linkem Camp im Grüneburgpark

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In der Mitte eine stilisierte Karte Mittelamerikas, begraben unter schwerem Baugerät, durchzogen von Pipelines, von allen Seiten belagert von Kriegs- und Handelsschiffen. Eine Allegorie auf Kolonisierung und Ausbeutung im Comic-Stil. Typisch für das Künstlerkollektiv Beehive, dem Dee angehört.

"Das Problem ist ja, dass alle diese Dinge verbunden sind", sagt Dee, "die ökologische Krise ist verbunden mit der ungleichen Verteilung von Macht und Ressourcen. Und das wiederum mit dem weltweiten Aufstieg von Faschismus und Autoritarismus. Wir müssen all diese Probleme gleichzeitig ansprechen und versuchen, Lösungen zu finden", meint Dee.

Von Antifa bis Klimaschutz

Aktuelle politische Krisen diskutieren, analysieren und Lösungen finden. Das ist das erklärte Ziel des "System Change Camps" im Frankfurter Westend. Seit Ende vergangener Woche hat sich die zentrale Wiese des Grüneburgparks in eine Zeltstadt verwandelt. Rund 1.000 Teilnehmer zählen die Organisatoren, abgeschätzt anhand der Essensportionen, die tagtäglich ausgegeben werden.

Tatsächlich bildet sich zur Mittagszeit eine gut 100 Meter lange Schlange vor der Ausgabestelle. Am Wochenende könnte sie noch länger werden. Dann werden bis zu 1.500 Anhängerinnen und Anhänger diverser linker Organisationen und Initiativen in Frankfurt erwartet.

Mit dabei: Antifa-Gruppen, Kapitalismuskritiker, Umweltschützer. Darunter auch Organisationen, die vom Verfassungsschutz als linksextremistischer Verdachtsfall geführt werden - beispielsweise "Ende Gelände". Das Motto der zweiwöchigen Veranstaltung: Geschichte ist machbar.

Gegen den Systemwechsel von Rechts

Es klingt ein bisschen nach einem linken Debattierklub unter freiem Himmel. Doch dem eigenen Anspruch nach geht es den Teilnehmenden um das große Ganze: "In unserem Programm und uns geht es generell darum, dass wir möglichst viel von den Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft ansprechen, darüber diskutieren, wie können wir das verändern und deswegen eben auch einen System Change, einen grundsätzlichen Wandel in der Gesellschaft mitgestalten", erklärt Camp-Sprecher Sebastian Blessing.

Die im Moment vielleicht wichtigste Frage. Wie lässt sich ein "Systemwechsel" von Rechts verhindern? "Wir sagen, es gibt linke Perspektiven, die da dagegen gesetzt werden können. Wir sind diese Menschen, die diese Perspektiven einbringen in die Gesellschaft." Das Camp diene nicht nur dazu, Debattenräume zu öffnen, sondern auch Lösungsansätze nach außen zu tragen.

Zäune und gesperrte Spielplätze

Doch nicht überall stößt die linke Raumnahme in einem der größten Frankfurter Parks auf Verständnis. Schon zu Beginn des Camps hatten FDP, CDU und die Bürger für Frankfurt (BFF) kritisiert, dass das Naherholungsgebiet den Anwohner zwei Wochen quasi entzogen werden würde. Das Frankfurter Ordnungsamt zählt mittlerweile 60 Beschwerden über das Camp.

Auf der zentralen Wiese des Grüneburgparks ist eine kleine Zeltstadt entstanden.
Auf der zentralen Wiese des Grüneburgparks ist eine kleine Zeltstadt entstanden. Bild © Arne Dedert, picture-alliance/dpa

Für besonderen Unmut sorgte zudem die Absperrung mehrerer Spielplätze. Eine Vorsichtsmaßnahme, um Verunreinigung und Beschädigungen zu vermeiden, ließen die Ordnungsbehörden verlautbaren. Zugleich wurde das Camp-Gelände mit Bauzäunen umgeben. Sehr zur Verwunderung der Organisatoren, wie Co-Sprecherin Paula Fuchs betont:

"Da wurden wir vor vollendete Tatsachen gestellt. Uns regen die Bauzäune genauso auf wie die Nachbarschaft." Bei den Kooperationsgesprächen vorab sei von Einzäunungen und Spielplatzsperrungen nie die Rede gewesen. Immerhin: Einer der gesperrten Spielplätze wurde inzwischen wieder freigegeben - die Camp-Teilnehmenden haben sich verpflichtet, Ordner zu stellen, um eine Verunreinigung zu verhindern.

FDP spricht von "Bühne für Antisemitismus"

Doch damit sind die Kontroversen um das Camp in der Frankfurter Stadtpolitik nicht beendet. Denn seit einigen Tagen werden Organisatoren und Teilnehmende bezichtigt, im Grüneburgpark "eine Bühne für Antisemitismus" zu bieten. So formulierte es unlängst die Frankfurter FDP.

In ein ähnliches Horn stieß auch der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Uwe Becker, der in einem Social-Media-Post unterstellte, im Camp würde "israelbezogener Antisemitismus" verbreitet. Hintergrund ist die klar propalästinensische Haltung der meisten teilnehmenden Organisationen.

Tatsächlich hängen an zahlreichen Zelten im Camp Solidaritätsbekunden mit Gaza, tragen viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Kufiya - das sogenannte Palästinensertuch - um die Schultern. Der Antisemitismusvorwurf sei dennoch absurd, betont Paula Fuchs. Sie verweist darauf, dass gerade für die Diskussionen um den Nahost-Konflikt vorab "rote Linien" festgelegt worden seien.

"Darin steht konkret, dass antisemitische Äußerungen und auch eine Verharmlosung oder Legitimation von den Geschehnissen am 7. Oktober ein Tabu sind." Die Unterstellungen insbesondere der FDP werten die Camp-Organisatoren als Versuch, eine antikapitalistische Veranstaltung zu "diskreditieren".

Jüdische Gemeinde: Eine Schande für Frankfurt

Doch der Antisemitismusvorwurf wird längst nicht mehr nur von den Liberalen und der CDU erhoben. Auch die Jüdische Gemeinde kritisiert die Genehmigung des Camps durch die Stadt - insbesondere im traditionell jüdisch geprägten Westend in unmittelbarer Nähe zur größten Synagoge der Stadt.

"Auf zahlreichen Veranstaltungen im Rahmen dieses Camps bekommen problematische und extremistische Organisationen eine Bühne und es wird unwidersprochen und einseitig gegen Israel gehetzt", sagt der Vorstandsvorsitzende der Gemeinde, Benjamin Graumann, im Gespräch mit dem hr. "Dass dies ausgerechnet im Grüneburgpark mit seiner jüdischen Geschichte geschehen kann, ist eine Schande für Frankfurt."

Bilder von Hamas-Geiseln abgerissen

Symptomatisch sei ein Vorfall, bei dem pro-israelische Demonstranten Bilder israelischer Geiseln der Hamas an Zäunen rund um das Camp angebracht hätten. Diese seien von Camp-Teilnehmern umgehend abgerissen worden. Die Frankfurter Polizei bestätigt, dass eine entsprechende Anzeige wegen Sachbeschädigung gegen Camp-Teilnehmer vorliege.

Die Camp-Organisatoren hingegen sagen: Mit den Bildern selbst hätten sie kein Problem gehabt, jedoch seien darauf auch Deutschland und Israel-Fahnen zu sehen gewesen. Nationalfahnen seien im Camp jedoch per se nicht zugelassen.

Farbattacke auf jüdische Aktivisten

Die Diskussion dürfte die Frankfurter Stadtpolitik noch einige Tage beschäftigen - zumal am Freitagnachmittag ein Vorfall für weitere Schlagzeilen sorgte: Wie die Frankfurter Polizei bestätigte, wurden jüdische Aktivisten aus dem Camp heraus angegriffen und mit roter Farbe überschüttet.

Sie seien zuvor mit einer Gruppe von CDU-Lokalpolitikern im Grüneburgpark unterwegs gewesen, um das Camp in Augenschein zu nehmen, berichtete Sacha Stawski dem hr. Der Vorsitzende der Initiative Honestly Concerned, die sich gegen Israelfeindlichkeit in Medien und Politik engagiert, war einer der Betroffenen.

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hr-Reporter über Vorfall am Protestcamp: "Mit roter Farbe bespritzt"

hr-Reporter über Vorfall am Protestcamp: "Mit roter Farbe bespritzt"

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Am Wochenende wird der vorläufige Höhepunkt der Teilnehmerzahl im System Change erwartet. Nach dem Vorfall vom Freitag kündigte die Polizei an, das Einsatzkonzept anzupassen und die Präsenz zu erhöhen.

Am kommenden Dienstag soll das Camp dann abgebaut werden.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de