Kolumne „Uni live“ : Wir sitzen in der Mensa, und mein Vater ist tot
Die Lebenserwartung habe ich lange wie ein menschliches Mindesthaltbarkeitsdatum verstanden: Der Tod schien in weiter Ferne zu liegen. Dann starb mein Vater während meines Studiums.
Es war ein heißer Sommertag, als ich zum ersten Mal nach dem Tod meines Vaters wieder mit Freundinnen in die Mensa ging. Wir saßen auf Bierbänken im Mensagarten, die meisten Studierenden trugen Picknickdecken unter dem Arm, Bikinis blitzten unter T-Shirts hervor, Federballschläger lugten aus den Rucksäcken. Am Nachbartisch planten zwei Studentinnen ihren Nachmittag am See und redeten danach über eine anstehende WG-Party. Zeitgleich fing eine Freundin von mir an zu weinen, weil sie mit ihrer Hausarbeit nicht so weiterkam wie erhofft. Ich weiß noch, wie überfordert ich mit der Situation war, wie unwirklich mir alles vorkam. Es fühlte sich an, als hätte ich nach einer langen Pause auf Play gedrückt, doch während ich mich in der Zwischenzeit gänzlich verändert hatte, lief der gleiche Film wie zuvor. Wie, fragte ich mich, konnte es sein, dass das Leben unbeirrt weiterging? Und obgleich es nicht fair war und ich bislang die gleichen Sorgen gehabt und sie gewiss nicht als banal empfunden hatte, wurde ich wütend, weil die größten Probleme der mich umgebenden Menschen in solch trivialen Angelegenheiten lagen wie WG-Partys oder Prüfungsangst.
Zugang zu allen FAZ+ Beiträgen (Originalpreis: 12,80 €) jetzt nur 0,99 €
Zugang zu allen FAZ+ Beiträgen (Originalpreis: 12,80 €) jetzt nur 0,99 €
- Mit einem Klick online kündbar