KONSTANZ Die Neger kommen
Vierzig Neger vom Kongo fielen am 14. Januar um 12.20 Uhr in Wahn vom Himmel und in den gerade noch rechtzeitig geöffneten Schoß der deutschen Bürokratie.
Die fröhlich plappernden Schwarzen landeten mit einer »Sabena«-Maschine auf dem Köln-Bonner Flughafen und wurden ins Jugenddorf Recklinghausen verfrachtet, um dort in den Genuß einer durchaus unfreiwillig gewährten Entwicklungshilfe zu kommen.
Die Invasion der Vierzig war nicht von Bonner Behörden oder exportträchtigen Wirtschaftlern bestellt worden. Als Afrika-Entwickler hatte sich vielmehr ein bislang am Kongo kaum bekannter Erwin Reisacher, Kreisvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Konstanz, betätigt.
Dem DGB-Kleinboß vom Bodensee war die Idee gekommen, er dürfe ein so wichtiges Geschäft wie die Entwicklungshilfe nicht allein dem Staat überlassen, sondern müsse seinerseits mitentwickeln.
Auf einem Treffen des Konstanzer DGB-Kreisausschusses bewog der mildtätige Reisacher seine Kollegen zu dem Beschluß, Kinder aus den von Hunger und Not befallenen Ländern Afrikas in die Bundesrepublik einzuladen und sechs Monate lang zu betreuen. In Anbetracht der Tatsache, daß am Kongo immer noch Orlog herrscht, dachte der DGB-Funktionär vor allem an Kongokinder.
Die Deutsche Presse-Agentur verbreitete über den zu Konstanz beschlossenen Plan eine Kurzmeldung, die ein Redakteur des kongolesischen Rundfunks jedoch den afrikanischen Gegebenheiten anpaßte: Nicht unwissende Kongokinder, sondern gelehrige Handwerker mit abgeschlossener Ausbildung sollten nach Deutschland reisen, um ihre Kenntnisse zu erweitern.
Zunächst reiste der Präsident des Kongo-Rundfunks an den Bodensee. In Konstanz besprach er sich mit dem DGB-Reisacher und dem Referenten für Lehrlingswesen bei der Industrie- und Handelskammer, Bauer.
Der ursprüngliche Plan, Negerkinder mit Hilfe des mild-feuchten Bodensee -Klimas zu entwickeln, war damit schon zugunsten ausgewachsener Neger fallengelassen.
Der aktive Reisacher fragte schriftlich bei den Handwerks- und Industriebetrieben im Bodenseegebiet an, ob ein Ausbildungsplatz für Kongo-Handwerker frei sei. 60 Betriebe meldeten sich. Die Namen dieser 60 wurden nach Léopoldville durchgegeben.
Der Kongo-Premier Adoula bedankte sich begeistert beim Kongo - Helfer Reisacher. Und der gleiche Kongo -Rundfunker, der aus Reisachers Negerkindern Negerhandwerker gemacht hatte, stellte nun im Verein mit der Bonner Botschaft in Léopoldville eine Liste von Praktikanten zusammen, die von der deutschen Großmut einen Begriff bekommen sollten.
Als die Liste in Konstanz eintraf, enthielt sie hundert Namen.
Der DGB-Kreisboß hatte inzwischen zwar das Auswärtige Amt und sogar das Bundesverteidigungsministerium schriftlich um Vorschläge zur Finanzierung des Projekts gebeten; Reisacher war auch einige Luftverkehrsgesellschaften um Unterstützung angegangen. Aber hundert Schwarze hatte er nicht eingeladen.
Da eine Ausladung die DGB-Parzelle Konstanz in den Geruch des Kolonialismus gebracht hätte, konsultierte Reisacher die örtlichen Honoratioren, unter ihnen Oberbürgermeister Helmle, Landrat Seiterich (einen Bruder des verstorbenen Freiburger Erzbischofs) und den am Bodensee ansässigen Präsidenten der deutschen Arbeitgeberverbände, Hans-Constantin Paulssen.
Die Befragten teilten Reisachers Ansicht, daß die am Kongo ausgelöste Freude keinesfalls durch eine Absage getrübt werden dürfe, zumal Deutschlands Lübke bald zu seiner Goodwill -Reise an den Senegal starten würde. Man wandte sich gemeinsam mit einem Aufruf an das Bodensee-Volk, um zusätzliche Freiplätze lockerzumachen.
Die zwischen Konstanz, Bonn und Léopoldville geführte Korrespondenz stellte die zum Deutschland-Trip ausgesuchten Kongolesen unterdessen auf eine harte Geduldsprobe. Drei von ihnen konnten es nicht mehr aushalten und reisten auf eigene Kosten zu Massa Reisacher nach Konstanz.
Dort stellte sich freilich heraus, daß man statt der Kongokinder nicht einmal Kongo-Handwerker erhalten hatte, sondern
- einen Gartenmöbelfabrikanten,
- einen Restaurantbesitzer und
- einen Bankangestellten.
Die Konstanzer Entwicklungshelfer zeigten sich auch dieser Situation gewachsen. Der Vortrupp fand sofort passenden Unterschlupf: der Gartenmöbel-Neger in einer Maschinenfabrik, der Restaurant-Neger bei der Industrie - und Handelskammer und der Bank -Neger bei der Deutschen Bank.
Da die Kongolesen eine derart vorzügliche Organisation vorfanden, ließ der Gartenmöbelfabrikant sogleich seine Gemahlin nachkommen, die in der Küche der Städtischen Kinderklinik untergebracht wurde. Die Konstanzer Kongo-Operation war angelaufen und nicht mehr zu stoppen.
Angesichts der von Reisacher geschaffenen Tatsachen regte sich nun auch das baden-württembergische Wirtschaftsministerium, das der DGB-Boß um einen Zuschuß von 20 000 Mark gebeten hatte: Das Land erhöhte auf 400 000 Mark.
Da die Kosten für die Überführung und Betreuung weiterer Entwicklungs -Neger aber immer noch nicht gedeckt waren, entsandte das Stuttgarter Wirtschaftsministerium zwei Herren nach Bonn.
Das Auswärtige Amt war zu einer Spende bereit, sah indessen nicht ein, daß es für eine Aktion aufkommen sollte, als deren Urheber ein Funktionär des finanzstarken DGB zeichnete. Die Diplomaten wandten sich daher an den DGB-Hauptvorstand in Düsseldorf.
Die DGB-Vorständler fühlten sich über den Verdacht, Kolonialisten zu sein, erhaben: Sie waren die ersten, die sich für das Entwicklungs-Projekt des Humanisten Reisacher nicht willenlos einspannen ließen. Der Konstanzer Kreisboß, so verlautete aus Düsseldorf, habe einen Alleingang in Szene gesetzt, zu dem ihn niemand legitimiert habe. An einen DGB-Zuschuß sei daher nicht zu denken.
Während man nun auch in Stuttgart Überlegungen anstellte, ob sich das sonst so sparsame Land in der eindeutig privaten Reisacher-Aktion nicht allzu großzügig erwiesen habe und wer letztlich die Zeche des Erwin Reisacher bezahlen müsse, erklärte sich die Carl Duisberg-Gesellschaft für Nachwuchsförderung in Köln bereit, die Ankömmlinge wenigstens vorläufig im Jugenddorf Recklinghausen zu betreuen.
Es war höchste Zeit. Denn vom Kongo depeschierte Premier Adoula nach Konstanz: »40 Kongolesen mit Sabena unterwegs. Weitere folgen.«
Kongo-Helfer Reisacher, Freunde: Einen nahm die Deutsche Bank