Wie das Potsdamer Stadtmuseum mit dem Stasi-Fall Hannemann umgeht
WELT-Recherchen belegen, dass der bekannte Luftbildfotograf Lutz Hannemann von 1976 bis 1989 für den DDR-Geheimdienst gespitzelt hat. Brandenburgs Aufarbeitungsbeauftragte kritisiert das Stadtmuseum und sein aktuelles Ausstellungs-Projekt.
Mit der Beschaulichkeit der schönen Landeshauptstadt am Rande der Metropole war es vorbei. Seit WELT-Recherchen ergaben, dass der prominente Potsdamer Fotograf Lutz Hannemann beim DDR-Ministerium für Staatssicherheit als IM „Heinz Vogt“ registriert war, sich eigenhändig und mit Klarnamen unterschrieben für Spitzeldienst bei der SED-Geheimpolizei verpflichtet hatte und mehr als 160 Berichte und Informationen vom Stasi-Unterlagen-Archiv beim Bundesarchiv (StUA) freigegeben worden sind, ist das Thema „Stadtgespräch“ – zumindest in kunst- und kulturorientierten Kreisen.
„Ich halte es für gerechtfertigt, dass sich jeder, der in das DDR-Unrechtssystem verstrickt war, der Diskussion über sein Handeln stellen muss, insbesondere, wenn er in die Öffentlichkeit tritt“, teilte Maria Nooke, die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur mit: „Auch Institutionen wie das Potsdam-Museum tragen Verantwortung dafür, wem sie eine Plattform bieten und wie sie Diskussionsräume eröffnen.“ Dies gelte umso mehr, als ehemaligen politischen Häftlingen die Opferrente versagt werde, wenn ihnen eine Zusammenarbeit mit dem MfS nachgewiesen werde.
Die Stadt Potsdam reagierte auf eine WELT-Anfrage vor Veröffentlichung der Rechercheergebnisse mehr als 20 Stunden nach Ablauf der gesetzten, hinreichenden Frist – und damit nach der Veröffentlichung. Jedoch werfen die Antworten im Detail neue Fragen auf. Die Leitung des Museums, namentlich der seit 2023 amtierende Direktor Thomas Steller, habe am 20. März 2025 „durch den Hinweis einer befreundeten Institution“ von der IM-Tätigkeit Hannemanns erfahren, hieß es. Dann sei „unverzüglich mit Dringlichkeit“ beim StUA ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt worden. Jedoch teilten unabhängig voneinander zwei mit den Vorgängen vertraute Personen WELT mit, dass dieser Antrag offenbar erst in der ersten Aprilwoche gestellt wurde – zwölf oder sogar mehr Tage nach internem Bekanntwerden. Die Wortwahl „unverzüglich“ erscheint angesichts dessen zumindest fragwürdig.
Ferner wurde ein Hinweis zu Hannemanns Vergangenheit der Museumsleitung – laut eigenen Angaben seit 20. März 2025 bekannten – Verstrickung in der Ausstellung erst nach Veröffentlichung der WELT-Recherchen angebracht: Am 13. April fand sich ein solcher Hinweis noch nicht, am 16. April dagegen schon – der Artikel über den IM „Heinz Vogt“ war am Morgen des 15. April erschienen.
Diese „ergänzende Kommentierung“ in der Ausstellung wirft ihrerseits Fragen auf. Sie lautet: „Nach der Eröffnung dieser Ausstellung ist dem Potsdam-Museum bekannt geworden, dass Lutz Hannemann von 1976 bis 1989 im ZIPE (Zentralinstitut für Physik der Erde) als IMV (Inoffizieller Mitarbeiter zur Bearbeitung von unter Verdacht der Feindtätigkeit stehenden Personen) für den DDR-Geheimdienst MfS tätig war. Dennoch haben wir uns als Museum dazu entschlossen, die alle nach 1992 entstandenen Werke von Lutz Hannemann aufgrund des hohen Informationsgehalts und der herausragenden Qualität in der Ausstellung zu belassen. Weitere Forschungen zu seiner Person stehen noch aus.“
Allerdings war Hannemann beim MfS mit einer anderen IM-Kategorie erfasst, als das Museum schreibt. Konkret war er als IMS verzeichnet – was laut dem Stasi-Experten Helmut Müller-Enbergs für „Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereiches“ stand. Nach Ansicht des MfS war Hannemann offenbar nicht dafür vorgesehen, gegen im „Verdacht der Feindtätigkeit stehende Personen“ (IMV) eingesetzt zu werden. Er sollte, wie seine Berichte belegen, spitzeln und nicht nach Feinden suchen.
Genauer wäre ein ergänzender Kommentar, der etwa folgendermaßen lauten könnte: „Lutz Hannemann hat unter dem Decknamen ‚Heinz Vogt‘ in den Jahren von 1976 bis 1989 mehr als 160 Berichte über Kollegen, Freunde, Verwandte und Weggefährten für das MfS geschrieben oder diktiert.“ Dazu wäre sinnvollerweise ein Faksimile seiner Verpflichtungserklärung zu stellen.
Zweitens verwundert die Argumentation, dass Hannemanns „alle nach 1992“, also dem Ende der DDR und damit dem Ende seiner IM-Tätigkeit, entstandenen Bilder in der Ausstellung verbleiben sollen. In der Antwort des Potsdamer Rathauses an WELT heißt es etwas ausführlicher: „Da darüber hinaus alle ausgestellten Arbeiten von Hannemann nach 1992 entstanden sind und ein offensichtlicher Bezug zu seiner Tätigkeit für das MfS derzeit augenscheinlich nicht herzustellen ist, kann das Museum es vertreten, die Ausstellungskonzeption einstweilen so zu belassen.“
Jedoch hat die Sonderausstellung ein weiteres Stasi-Problem. Unter den fünf vom Potsdam-Museum im Dezember 2024 als Pressebilder verbreiteten, dort gezeigten Aufnahmen ist auch ein Foto mit der Erläuterung „Luftbildaufnahme von Potsdam mit der Multispektralkamera MKF 6 aus dem Flugzeug, Farbsynthese: Zentralinstitut für Physik der Erde / Victor Kroitzsch, 1978“. Zu diesem Zeitpunkt war Kroitzsch allerdings bereits seit mehr als zehn Jahren unter dem Decknamen IM „Geos“ als Spitzel für das MfS erfasst. Unter diesem Decknamen finden sich Berichte aus den Jahren 1968 bis 1985 in den Beständen des MfS – was das Potsdam-Museum ebenfalls einfach dem Standardwerk „Versagtes Vertrauen. Wissenschaftler der DDR im Visier der Staatssicherheit“ des Historikers Reinhard Buthmann (erschienen 2020) hätte entnehmen können, und zwar auf derselben Seite 1114, auf der auch Hannemanns Verstrickung soweit bekannt erstmals auftauchte.
Hier bedürfte es also einer weiteren „ergänzenden Kommentierung“; sie könnte etwa so lauten: „Victor Kroitzsch war unter dem Decknamen ‚Geos‘ in den Jahren von 1968 bis 1985 beim MfS als Geheimer Informator, dann als IMS erfasst. Er wurde 1974 auf Befehl von Minister Erich Mielke mit der Verdienstmedaille der NVA in Bronze ausgezeichnet.“
Die beiden Potsdamer Lokalblätter, die bisher Hannemann öfter groß herausgestellt und seine Bilder abgedruckt hatten, fassten die WELT-Recherchen treffend zusammen. Die „Märkische Allgemeine Zeitung“ schrieb: „Der Hinweis (auf Hannemanns IM-Tätigkeit; d. Red.) wurde erst angebracht, nachdem klar war, dass die WELT recherchierte.“ Die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (PNN), Schwesterblatt des Berliner „Tagesspiegels“, berichtete zudem, Hannemann habe zu den WELT-Recherchen auch auf Anfrage der PNN „keine Stellung nehmen“ wollen.
Sven Felix Kellerhoff ist Leitender Redakteur bei WELTGeschichte. Seit 1999 befasst er sich mit Stasi-Spitzeln und ihren Rechtfertigungsstrategien. Am Fall IM „Heinz Vogt“ arbeitet er seit Januar 2025.