Karl Marx und die Medien

Veröffentlicht am 04.01.2003Lesedauer: 4 Minuten

Ortheils Taschenbücher

Im Jahre 1844 denkt der 26-jährige Karl Marx darüber nach, wie die Sinne des Menschen zu sich selbst finden können. Zunächst einmal, denkt er, dürfen sie mit den Gegenständen nicht zu eng verkettet sein, sie dürfen die Gegenstände also nicht nur als Gegenstände der Praxis oder des Eigentums behandeln. Frei sind die Sinne vielmehr erst, wenn sie „unmittelbar in ihrer Praxis Theoretiker“ geworden sind, wenn sie durch Abstand zu den Dingen zu einer nicht-egoistischen und daher ästhetischen Wahrnehmung vordringen.

Was dem jungen Marx da durch den Kopf ging, erkennt man heutzutage als ein Stück Medientheorie. Seit den 80er Jahren ist sie zu einem immer stärker beachteten Bestandteil der Kulturwissenschaften geworden. Das immense Interesse, das ihr entgegengebracht wird, gründet darin, dass die Medientheorie eine Geschichte unserer Sinne mit einer Geschichte der Medien zu einer Ästhetik-Geschichte verbindet. Seit wir exzessive Medienbenutzer geworden sind, erkennen wir „Geschichte“ vor allem in dieser Formation und beschreiben Bild, Ton und Schrift als elementare Details unserer Selbstwahrnehmung.

Günter Helmes und Werner Köster schlagen in den von ihnen herausgegebenen kurzen Textstücken zur Medientheorie einen weiten Bogen vom alttestamentlichen Bilderverbot bis zu den Mediendiskussionen der Gegenwart. Sie stellen Platon als Medientheoretiker vor, der von den Nachteilen der Schrift handelt, und sie lassen Lichtenberg über das Verhältnis von Denken und Lesen oder Niklas Luhmann über die „Gedächtnisleistungen kommunikativer Systeme“ nachdenken. Dadurch ist ihr Band ein idealer Einstieg, um sich mit der ganzen historischen Themenbreite vertraut zu machen.

Will man diesen Einstieg durch ein Stück praktischer Mediengeschichte erweitern, so wäre Friedrich Kittlers Berliner Vorlesung über „Optische Medien“ eine ideale Lektüre. Kittler untersucht darin Camera obscura und Laterna Magica als Vorformen von Photographie, Film, Fernsehen und Computer. Vor allem vertieft er sich aber auf oft sehr verblüffende Weise in jene theoretischen Traktate, die seit der Renaissance das bildliche Denken detailliert untersuchten.

Bilder, sagt Kittler, hatten früher ihren Ort, im Tempel, in der Kirche und später auch im Museum. An solchen Orten waren sie gleichsam „gespeichert“, übertragbar aber waren sie nicht. Der besondere Vorzug der Schrift dagegen bestand darin, übertragbar zu sein, Schrift konnte kopiert, verschickt, getauscht werden, Schrift war „beweglich“. Kittler schreibt sein Stück Mediengeschichte, indem er zeigt, wie sich die Wege dieser beiden zunächst ganz konträren Speicherformen einander annähern, wie die Bilder also „beweglich“ und die Schriften „bildlich“ werden. Im Computer kommen beide Wege zusammen, im Grunde nivelliert er die Unterschiede zwischen den Medien und damit auch zwischen den Sinnen, indem er nur noch mit endlosen Bitfolgen arbeitet, die Töne, Bilder oder Buchstaben gleich behandeln.

Neben dieser konkreten und beinahe linear sich entwickelnden Mediengeschichte gibt es aber auch eine phantastische, eine der Visionisten und Grübler. Siegfried Zielinski nimmt sich in seiner „Archäologie der Medien“ genau dieser „Tiefenzeit“ des technischen Hörens und Sehens an. Daher ist sein Buch eine Art Hymnus auf das Kuriose und Abgelegene, das hier ernst genommen und sehr anschaulich ausgebreitet wird. Geheimsprachen, magische Bildmaschinen, mechanische Automaten – das sind einige der zentralen Objekte dieser Anschauung, die nicht so sehr auf den Ertrag und das Fortschrittsmoment der jeweiligen Untersuchungen aus ist. Zielinski nimmt sich der Theorien und Wunderkammern vielmehr staunend so an, daß sie Beiträge zu einer Art „Poesie der Medien“ sein könnten. Daher ist seine „Archäologie“ auch keine „Geschichte“, sondern eher ein Spaziergang, der von den seltsamsten Versuchen handelt, menschliche Phantasie oder „Einbildungskraft“ zu sezieren und zu erweitern.

An Zielinskis Forschungen hätte Walter Benjamin wohl seine Freude gehabt. Eine im Suhrkamp-Verlag erschienene Zusammenstellung seiner „Medienästhetischen Schriften“ zeigt ihn nämlich nicht nur als den großen Ahnherrn der neueren Medientheorie, sondern auch als einen Essayisten, den das Kuriose von graphologischen Schriften oder Dienstmädchenromanen ebenso faszinierte wie das Unterseeische an der zu seiner Zeit noch neuartigen Technik des Telefonierens.

Die Schönheit von Benjamins Schriften kommt daher, dass er versuchte, beide Interessen gleichsam literarisch zu adeln und philosophisch zu rechtfertigen. „Ungeduld ist die Verfassung des Zeitungslesers“, heißt es so etwa, und weiter: „Dahinter schwelt diejenige des Ausgeschlossenen, der ein Recht zu haben glaubt, selbst mit seinen eigenen Interessen zu Wort zu kommen.“ Hanns-Josef Ortheil



Texte zur Medientheorie.
Hrsg. von Günter Helmes und Werner Köster.
Reclam, Stuttgart. 352 S., 8,10 E.



Friedrich Kittler: Optische Medien.
Merve, Berlin. 331 S., 16,70 E.



Siegfried Zielinski:
Archäologie der Medien.
Rowohlt, Reinbek. 395 S., 16,90 E.



Walter Benjamin:
Medienästhetische Schriften.
Mit einem Nachwort von Detlev Schöttker.
Suhrkamp, Frankfurt/Main.
443 S., 14 E.


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