Problem auch in Göttingen: Gewaltattacken gegen obdachlose Menschen
Straßensozialarbeit Göttingen beklagt erneut Angriff auf obdachlosen Mann
Göttingen - Gewalt gegen Obdachlose ist nicht nur in Metropolen, sondern auch in Göttingen ein Problem. Die Straßensozialarbeit Göttingen (Straso) macht anlässlich eines aktuellen Falls darauf aufmerksam. Ein Klient wurde kürzlich angegriffen – mit einer Eisenstange.
Pascal (Name von der Redaktion geändert) ist Klient der Göttinger Straßensozialarbeit, eine Einrichtung des Diakonie-Verbands im evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Göttingen-Münden und hat wiederholt schlimme Erfahrungen mit Gewalt machen müssen.
Zuletzt am 11. März dieses Jahres. Am Nachmittag waren die beiden Streetworker Daniel Rainers und Viviene Krause in der Göttinger Innenstadt unterwegs und sahen Pascal auf „seinem“ Platz. Eigentlich waren Rainers und Pascal am Vormittag in den Räumen der Straßensozialarbeit verabredet, doch Pascal war nicht gekommen.
Göttinger Pascal wird mit Eisenstange geschlagen
Die beiden Streetworker sahen, dass Pascals Hände verbunden waren. Ihr Klient erzählte von einer Gewaltattacke. Er sei in der Nacht zuvor im Schlaf von Unbekannten „überrascht“ und mit einer Stange zusammengeschlagen worden. Neben den offensichtlich bandagierten Verletzungen an den Händen zeigte Pascal den beiden Sozialarbeitern eine genähte Platzwunde am Kopf.
Die Täter hätten gerufen: „Hau ab hier!“, während sie auf ihn eingeschlagen hätten. Mit „hier“ ist sein Schlafplatz in der Göttinger Innenstadt gemeint. Pascal hatte dann selbstständig die Polizei rufen können und anschließend die Nacht im Krankenhaus verbracht.
Was von dieser Nacht blieb, sind physische Schäden wie die Platzwunde, ein gebrochener Finger und Arm. Vielmehr sind nun aber auch Angst und die ständige Ungewissheit, ob die Nächte künftig sicher sein werden, ein ständiger Begleiter. Zumal sich seine Befürchtungen eines Angriffs bewahrheitet hatten. Denn das ist nicht der erste Angriff, den Pascal erlebte. Im vergangenen Jahr war er schon einmal an einer anderen Stelle in der Göttinger Innenstadt angegriffen worden.
Attacken sind keine Einzelfälle
Attacken auf Wohnungslose sind keine Einzelfälle, wie die Straso Göttingen mitteilt. Im Sommer 2024 hatte ein Mann am helllichten Tag mit einer Deo-Dose und einem Feuerzeug versucht, eine Frau anzuzünden, die bettelnd in der Kurzen Geismar Straße saß. Die Frau erlitt Verbrennungen am Arm und im Gesicht.
Viviene Krause erinnert sich noch gut an den Vorfall, da sie die Frau kurz nach dem Angriff bei ihrer Streetwork-Runde antraf. Aus Angst vor weiteren negativen Konsequenzen wollte die Frau auf eine Anzeige verzichten. Ermittelt wurde dennoch, da Passanten die Polizei alarmiert hatten.
Opfer nicht allein lassen - auch sprechen hilft
Häufig gibt es jedoch niemanden, der bei solchen Gewaltattacken die Polizei verständigt oder den Betroffenen ein Gesprächsangebot macht. Somit blieben die Opfer mit der Situation allein. Gewalt gegen Obdachlose ist nicht nur ein Problem in Metropolen wie Berlin oder Hamburg, sondern auch in Göttingen, so die Straso. Die Dunkelziffer sei dabei hoch, denn nur wenige Fälle würden bekannt.
Die Gründe, warum betroffene Menschen ohne Wohnung selbst keine Anzeige erstatten, können vielfältig sein. Laut einem Bericht der BAG Wohnungslosenhilfe e.V. im Heft „Wohnungslos“, Ausgabe 2/2020, schweigen Betroffene oft aus Angst vor weiterer Vergeltung, Scham und dem Gefühl, dass einem sowieso niemand glaubt. Auch eigene negative Erfahrungen mit der Polizei können mögliche Gründe dafür sein.
Klar ist, das Leben auf der Straße ist gefährlich. Nicht nur aufgrund der Gefahren durch Witterung, sondern auch weil Menschen auf der Straße Gewalttätern schutzlos ausgeliefert sind.
Zahl der Attacken steigt stetig an
Eine Antwort auf eine Anfrage der Linken 2024 im Bundestag ergab, dass es 2023 genau 2122 Straftaten und 885 Gewalttaten gegen Obdachlose und wohnungslose Menschen gab. 2022 war die Zahl geringfügig niedriger, 1919 Straftaten und 832 Gewalttaten. Ein Blick weiter zurück in die Vergangenheit zeigt, dass Straftaten und Gewalttaten gegen obdachlose Menschen stetig steigen – erfasst sind nur die Fälle, die überhaupt bekannt werden.
Die Göttinger Straso-Mitarbeiter appellieren aufgrund dieser Zahlen und ihren persönlichen Erfahrungen: „Wir bitten Sie, halten Sie die Augen offen, wenn Sie Gewalt gegen andere Menschen beobachten, zeigen Sie Zivilcourage und rufen Sie die Polizei.“ Und weiter: „Wenn es die Situation ohne Eigengefährdung zulässt, sprechen Sie die Opfer an und solidarisieren sich mit der betroffenen Person. Fragen Sie, ob und wie sie helfen können.“ Wenn keine medizinische Versorgung notwendig oder gewollt sei, könne auch einfach ein offenes Ohr helfen, dass Betroffene über das Erlebte reden können und sich ernst genommen fühlen.“ (Thomas Kopietz)