Stahlindustrie

„Wenn sich jetzt nichts tut, dann sind wir platt“

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Von Carsten DierigWirtschaftskorrespondent
Stand: 20.03.2025Lesedauer: 5 Minuten
Am Hochofen 5 der zum Arcelor Konzern gehörenden EKO Stahl GmbH im brandenburgischen Eisenhüttenstadt überwacht ein Mitarbeiter den Abstich des flüssigen Eisens (Archivfoto vom 09.02.2005). Angesichts einer weltweit wachsenden Stahlnachfrage und wieder zurückgehender Rohstoffpreise sind die deutschen Stahlhersteller gut ins neue Jahr gestartet. Für das laufende Jahr werde wieder mit einem Anstieg der deutschen Rohstahlproduktion um 3,5 Prozent auf 45,7 Millionen Tonnen gerechnet, sagte der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Ameling, bei der Handelsblatt-Jahrestagung «Stahlmarkt 2006» am Mittwoch (01.03.2006) in Düsseldorf. Foto: Patrick Pleul dpa/lbn (zu dpa 0516) +++ dpa-Bildfunk +++
Ein Stahlkocher am HochofenQuelle: picture-alliance/dpa/dpaweb/Patrick Pleul

Rezession, Standortschwäche, Billigkonkurrenz aus dem Ausland: Die deutsche Stahlindustrie steckt in einer tiefen Krise. Das wird auch beim Treffen der Branche im Rahmen einer Handelsblatt-Tagung spürbar. Die Industrie hofft jetzt auf die Politik – erste Lichtblicke sind sichtbar.

Heinz Jörg Fuhrmann muss sich nicht mehr zurückhalten. Jahrzehntelang hat der 68-Jährige als Manager in der Stahlindustrie gearbeitet, zuletzt als Vorstandschef von Branchenriese Salzgitter.

Und immer galt es auf Befindlichkeiten zu achten, sei es von Investoren, von Mitarbeitern, von Kunden und Branchenkollegen oder von der Politik. Nun kann Fuhrmann, der ein mögliches Rentnerdasein gegen einen Job als sogenannter Senior Advisor bei der Managementberatung Horvath eingetauscht hat, frei sprechen.

Und sein Urteil über den aktuellen Status der Stahlindustrie in Deutschland ist verheerend: „Die Branche steht am Abgrund. Die Lage ist wirklich sehr kritisch.“

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Tatsächlich steckt der hiesige Stahlstandort, immerhin der größte in Europa und der siebtgrößte weltweit, in einer tiefen Krise. Seit mittlerweile drei Jahren verharrt die Rohstahlproduktion unter der 40-Millionen-Tonnen-Grenze und damit auf Rezessionsniveau, meldet die Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Die Marktversorgung wiederum sei auf einen historischen Tiefstand gesunken. Das stehe nicht nur im Kontrast zum Rest der Welt, sondern auch zu den anderen Industrieländern in der EU, heißt es vom Branchenverband.

„Im Augenblick ist die Trias aus anhaltender Rezession, wachsenden Standortnachteilen und Importdruck durch billigen Stahl aus Drittstaaten schlicht nicht zu stemmen“, sagte Hauptgeschäftsführerin Kerstin Maria Rippel bei der „Handelsblatt“-Tagung „Zukunft Stahl“ auf dem Gelände der Zeche Zollverein in Essen am Mittwoch.

Thyssenkrupp reduziert Produktionsvolumen

Ausdruck dessen sind auch die angekündigten Kapazitätsanpassungen bei Deutschlands größtem Hersteller Thyssenkrupp Steel Europe. Am Stammsitz in Duisburg soll das Produktionsvolumen von 11,5 Millionen auf nur noch neun Millionen Tonnen reduziert werden.

Rippel mahnte ein „beherztes Handeln“ seitens der Politik an. „Um den Industriestandort Deutschland und Europa zu stärken, brauchen wir jetzt dringend international wettbewerbsfähige Energiekosten und auf EU-Ebene Handelsschutzmechanismen inklusive eines effektiven CO2-Genzausgleichs.“

Denn die hohen Kosten hierzulande und fehlender Schutz vor Billigimporten seitens der Europäischen Union mache den Unternehmen schwer zu schaffen und bedrohe teils ihre Existenz. Zumal sie mitten in einer teuren Transformation in Richtung Klimaneutralität stecken würden – mit der Abkehr von der klassischen und CO₂-intensiven Hochofenroute mit Koks und Kohle hin zu sogenannten Direktreduktionsanlagen. Diese würden im Idealfall mit grünem Wasserstoff betrieben. „Wenn sich jetzt nichts tut, dann sind wir platt“, warnte Rippel.

Und das habe dann Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt. „Stahl ist nicht nur eine Branche von vielen, sondern die Grundlage der Wertschöpfung in Deutschland“, begründete die Verbandschefin. Fast ein Viertel des Produktionswertes hierzulande entfalle auf die Stahlindustrie und ihre Abnehmerbranchen von Automobil über Maschinenbau und Metallverarbeitung bis hin zum Baugewerbe.

„Besonders der industrielle Mittelstand ist stahlintensiv. Die Hälfte des Produktionswertes dieser Unternehmen hängt mit Stahl zusammen.“ Das betreffe am Ende rund vier Millionen Arbeitsplätze.

Verschärft wird die Lage nun zusätzlich durch die Handelspolitik von Donald Trump. Kürzlich verhängte der US-Präsident Strafzölle in Höhe von 25 Prozent auf den Import von Stahl und Aluminium. Zwar sind die Amerikaner ungeachtet dessen auf Einfuhren angewiesen. Denn nicht jede Art von Stahl wird in den USA noch hergestellt.

Jede dritte Tonne Stahl in der EU stammt schon jetzt aus Asien

Ein Teil der zuletzt rund 23 Millionen in die USA gelieferten Tonnen dürfte aber auf neue Handelswege umgelenkt werden. Und Europa mit seinen weitgehend offenen Märkten steht dabei als Ziel weit oben, sagte Experte Fuhrmann. „Wenn wir gerade Hochkonjunktur hätten, wäre das nicht so schlimm. In der aktuellen Lage ist aber jede weitere Tonne schädlich.“

Und der Druck durch Billiglieferungen aus dem Ausland ist schon jetzt hoch. Jede dritte in Europa genutzte Tonne Stahl kommt von außerhalb der EU-Grenze, allen voran aus Asien, wo es riesige Überkapazitäten gibt.

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„China produziert 1,1 Milliarden Tonnen Stahl und verteilt davon die Hälfte irgendwo in der Welt“, sagte Stefan Rauber, der Vorsitzende Geschäftsführung der Stahl-Holding Saar. „Das ist ein Problem. Und das muss gelöst werden.“

Die Branche wünscht sich einen effektiven Außenhandelsschutz. Zumal von unfairen Wettbewerbsbedingungen die Rede ist. So berichten Marktkenner, dass der Preis für Import-Coils inklusive Transport teils deutlich unterhalb der Produktionskosten in Europa liegen.

Neu sind die Forderungen nach Schutzmaßnahmen ebenso wenig wie die dringenden Appelle an die deutsche Politik in Sachen Strom- und Gaspreise oder Netzentgelte. „Das haben wir schon 2020 im Handlungskonzept Stahl aufgeschrieben und auch letztes Jahr im Stahl-Aktionsplan der Bundesländer“, sagte Verbandschefin Rippel.

Zwei große Lichtblicke

„Trotzdem ist die Umsetzung immer wieder ins Stocken geraten. Man könnte ein stückweit verzweifeln.“ Doch glücklicherweise gebe es nun endlich Lichtblicke: das vom Bundestag jüngst beschlossene Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro und den Steel and Metals Action Plan der EU.

„Beides zeigt, dass die geopolitischen Bedrohungen zuletzt etwas in Bewegung gebracht haben. Das ist ein enorm starkes Zeichen.“

Vom Sondervermögen erhofft sich die Stahlindustrie einen „dringend benötigten Konjunkturimpuls“. Saarstahl-Chef Rauber jedenfalls spricht von einer riesigen Chance. „Das Paket kann einen Schub geben für die Wirtschaft insgesamt. Da geht es nicht nur um Stahl.“

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Ähnlich sieht es auch Dennis Grimm, der Stahlchef von Thyssenkrupp. „Was das genau für unser Unternehmen bedeutet, muss noch analysiert werden. Hoffentlich erhalten wir dadurch aber ein positives Wirtschaftsklima in Deutschland, so dass die Märkte im Allgemeinen anspringen.“

Den Aktionsplan der EU wiederum interpretiert die Wirtschaftsvereinigung Stahl als wichtiges Signal. „Die schnelle Reaktion – vom strategischen Dialog mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor 14 Tagen bis zur Veröffentlichung des Plans – zeigt: Brüssel hat den Ernst der Lage erkannt“, sagte Hauptgeschäftsführerin Rippel. Für Rippel hat das Papier mit einer Senkung von Importquoten für bestimmte Stahlsorten um in Summe 15 Prozent, einer Verschärfung von Safeguards ab April und einer angekündigten Reform des Grenzausgleichsmechanismus‘ CBAM sogar das Zeug zum „Gamechanger“.

Der Gewerkschaft IG Metall ist weniger euphorisch. Ihr bleibt der Aktionsplan in einigen Punkten noch zu vage. Hohe Energiepreise seien das drängendste Problem für die europäische Stahlindustrie, betont Jürgen Kerner, der zweite Vorsitzende der Gewerkschaft.

„Dies wird zwar anerkannt, jedoch fehlen schnelle, konkrete Maßnahmen, die zu einem wettbewerbsfähigen Strompreis führen. Auch was den Aufbau von grünen Leitmärkten und den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft angeht, bleibt der Aktionsplan hinter unseren Erwartungen zurück.“

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.


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CJ
Veröffentlicht vor 4 Stunden | Eingereicht vor 4 Stunden
Neben den schon angemerkten Zahlenfehlern darf man einige Dinge nicht ausser Acht lassen: Für Krupp wurden in den 1980er bzw. 1990 er Jahre viel produktivere Unternehmen wie Hoesch geopfert, weil der Klan die besseren politischen Verbindungen hatte. Stahl in China ist nicht nur wegen Subventionen billiger, sondern weil dort schon länger Direktreduktionsöfen laufen und bei deren Mengen Overheadkosten relativ viel geringer sind. Wenn man dann noch im Konzern die Cash cows wie die Aufzugsparte verhökert, ist aus BWLer Sicht das Mass wirklich mehr als voll. Pech gehabt...
HH
Veröffentlicht vor 21 Stunden | Eingereicht vor 21 Stunden
Grünen Stahl gibt es dann nicht mehr. Sondern Stahl aus dem Ausland was sich einen Dreck um CO2 kümmert . Grüne Standordvernichtung für nichts .
Z
Veröffentlicht vor 24 Stunden | Eingereicht vor 24 Stunden
Lieber Herr Dierig, was ist denn das für ein Deutsch? …zuletzt als Vorstandschef von Branchenriese Salzgitter… VG
BL
Veröffentlicht vor 2 Tagen | Eingereicht vor 2 Tagen
Uns wurde dich dauernd suggeriert, dass die große Transformation zu grünem Stahl ein voller Erfolg ist. Aber eigentlich war die ganze Zeit absehbar, dass dieser Stahl auf dem Markt wegen der hohen Energiekosten und dem Wasserstoffmärchen nicht wettbewerbsfähig ist. Welche Impulse sollen von dieser Politik noch kommen, wohl keine und damit ist wieder ein Industriestandbein erfolgreich zerstört!
BL
Veröffentlicht vor 2 Tagen | Eingereicht vor 2 Tagen
Korrektur: uns wurde doch...
ME
Veröffentlicht vor 2 Tagen | Eingereicht vor 2 Tagen
„China produziert 1,1 Millionen Tonnen Stahl und verteilt davon die Hälfte irgendwo in der Welt“, In Deutschland sollen derzeit knapp 40 Millionen Tonnen Stahl produziert werden und in China nur 1,1 Million Tonnen Stahl? Spätestens da sollte ein aufmerksamer Leser stutzig werden. Tatsächlich sind es 1100 Millionen Tonnen Stahl was in China produziert werden. 1,1 Milliarden. Bei so großen Zahlen kommt man leicht durcheinander. Die Stahlindustrie können Sie in Deutschland und Europa abschreiben. Pro Tonne Roheisen werden ca. 2 Tonnen CO2 erzeugt. 40 Millionen Tonnen sind 80 Millionen Tonnen CO2. 15 Prozent der gesamten deutschen CO2 Emissionen. Da das CO2 Nettonullziel bis 2045 etzt ein einklagbares Staatsziel wird, geht man natürlich zuerst an die großen Emittenten ran. Stahlbranche, Chemiebranche, Betonindustrie, Automobilindustrie, Wasserstoff? Klar technisch kann man damit Kohle, Erdgas, und Erdöl ersetzen. Ist halt sauteuer. Da sind die 500 Milliarden Sonderschulden in den nächsten 10 Jahren aufgebraucht ohne dass irgendetwas an der Infrastruktur damit verbessert wird. Und dann?
PS
Veröffentlicht vor 2 Tagen | Eingereicht vor 2 Tagen
Wir werden mit Vorsatz gegen die Wand gefahren...
TM
Veröffentlicht vor 2 Tagen | Eingereicht vor 2 Tagen
Bedankt euch bei der schwarz gesprenkelten Links-grünen Politik- ach nein - bei den Wählern, die blind und ignorant seit Jahren diese Parteien wählen R.I.P. Stahlindustrie
L
Veröffentlicht vor 2 Tagen | Eingereicht vor 2 Tagen
Die Wähler haben schwarz blau gewählt, damit sich was ändert. Bekommen werden wir aber schwarz rot grün. Finde den Fehler
ML
Veröffentlicht vor 2 Tagen | Eingereicht vor 2 Tagen
Hohe Energiepreise und dann Wasserstoffumstellung in der Zukunft... sicherlich nicht auf jetzigem.Niveau sondern wohl nur noch 10% davon. Nicht pleite, aber produziert wird halt nicht mehr. Und die CDU ist ein Totalausfall.
DS
Veröffentlicht vor 2 Tagen | Eingereicht vor 2 Tagen
Grüner Stahl heißt grüne Wiese. Bei den europäischen und vor allem den selbst auferlegten Bedingungen hilft auch die ganze Subventionitis nicht mehr.
SH
Veröffentlicht vor 2 Tagen | Eingereicht vor 2 Tagen
Wozu braucht Deutschland eine eigene Stahlindustrie? Stahl ist auf den Weltmärkten in rauen Mengen vorhanden und auch billig einzukaufen.
JA
Veröffentlicht vor 2 Tagen | Eingereicht vor 2 Tagen
Hm, kurz überlegen ... vielleicht für gut bezahlte Arbeitsplätze? Oder um in der Lage zu sein, seine Industrie (einschl Rüstungsindustrie) mit eigenem Qualitätsstahl zu versorgen und halbwegs autark zu sein (und ja, ich weiß, für Stahl braucht man Eisenerz und Kohle, die wir beide nicht mehr wettbewerbsfähig abbauen können; deswegen "halbwegs")? Oder weil wir eben auch deutlich weniger Giftstoffe dabei emittieren als andere Länder? Ah, alles überflüssig. Lieber schröpfen wir die Reichen als dass wir Arbeitsplätze erhalten, kaufen alles mögliche Zeug von Diktaturen wie China und Russland (und akzeptieren dann, wenn die irgendwo einmarschieren, damit wir bloß weiter unseren Stahl bekommen) und lassen andere die Umwelt ruinieren - wir haben es ja dann vorgelebt, wie umweltfreundlich man sein kann. Was für eine unglaubliche Doppelmoral.

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