„Gegen die Nation gerichtet“ – Was hinter dem neuen Hass auf moderne Architektur steckt
In Polen haben die Rechtsnationalen moderne Architektur zum Feind der Nation erklärt. Sie sei gegen die Natur des Menschen und zerstöre die traditionelle Familie, heißt es. Die Fehde um ein Warschauer Museum spiegelt einen internationalen Trend – den sich auch die AfD zu eigen gemacht hat.
Lange war Patryk Jaki nicht als Architekturkritiker in Erscheinung getreten. Doch seit der Eröffnung des Neubaus des Museums für Moderne Kunst in Warschau Ende Oktober scheint es nichts zu geben, womit der EU-Abgeordnete sich inniger beschäftigt als Baukunst. Sieben Beiträge über das Museum innerhalb von 48 Stunden postete Jaki allein auf Facebook. Auf Bildern verglich er das Gebäude abwechselnd mit Baucontainern, schmucklosen Supermärkten oder Legoklötzen.
Jakis Wutbeiträge stellen mithin keine Ausnahme dar. Vor allem Politiker der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der rechtsextremen Konföderation (Konfederacja) lassen sich in sozialen Netzwerken oder auch TV-Interviews über die moderne Architektur des Museums aus.
Krzysztof Bosak, einer der Vorsitzenden der Konföderation, ging gar einen Schritt weiter. Er verbreitete auf X Grafiken, die zeigen sollen, wie der Museumsneubau „gerettet“, also umgebaut werden kann. Mithilfe von griechischen Säulen und Stuck könne er, so Bosak, doch noch „wie ein Gebäude aussehen“.
Das Agitieren der polnischen Rechten gegen das Museum entspricht einem internationalen Trend: Moderne Architektur ist in den Kulturkampf zwischen links und rechts geraten. Die Frage danach, wie jemand zu nackten Häuserfassaden steht, wird bisweilen so laut diskutiert wie die nach Geschlecht, Religion oder Zuwanderung.
In sozialen Netzwerken, zuvorderst auf X, haben eine Reihe von reichweitenstarken Accounts sich den Hass auf moderne Architektur zur Hauptaufgabe gemacht. Immer wieder stellen sie mit Fotos oder auch humorvoll mit Memes, also mit netztypischen Zeichnungen oder Animationen, der modernen die klassische Architektur gegenüber. Das Ziel: Nutzergemüter zu erregen.
Modern, das können „Klassiker“ von Mies van der Rohe oder Le Corbusier sein; Brutalismus, Naturalismus oder Dekonstruktivismus. Dass das Schöne immer grundsätzlich „klassische“ oder „traditionelle“ Architektur sein soll und das vermeintlich Unschöne immer „modern“ sei, zeugt davon, dass es den Agitatoren eigentlich nicht um Architektur geht; sie ist vielmehr ein Vehikel, um alles Liberale oder Moderne verächtlich zu machen und abzulehnen.
Architektur als Reizthema
Die Thesen dabei sind, dass jene moderne Architektur die traditionelle Familie zerstöre oder nicht der Natur des Menschen entspreche, sie sei stattdessen gegen die Nation gerichtet, universalistisch oder entwerte das Bauen durch eine Art Ökonomisierung.
In Deutschland vertritt neuerdings die AfD jene Positionen. In einem Antrag im Landtag von Sachsen-Anhalt bezeichnete sie das Bauhaus als „Irrweg der Moderne“ und beklagte eine durch die Kunstschule angeblich geschaffene „globalistische Uniformität“.
Das Thema moderne Architektur scheint als Reizthema besonders gut zu taugen. Menschen werden tagtäglich mit Architektur konfrontiert und bilden sich schnell eine Meinung zu bestimmten Gebäuden.
Das gilt im Besonderen für den Museumsneubau in Warschau. Er befindet sich an exponierter Stelle direkt an der Marszalkowska-Straße, die durch die komplette Innenstadt führt.
Täglich fahren Zehntausende Autos am Museum vorbei. Zwei Metro-Stationen befinden sich in nächster Nähe. Ähnlich erregt wie Politiker der PiS reagieren denn auch viele Bürger auf den Neubau. Doch dahinter steckt mehr.
„Diejenigen aus unserem Team, die Beiträge im Netz zu unserem Museum sichten, nehmen seit langer Zeit Hassnachrichten wahr“, sagt Joanna Mytkowska, Direktorin des Museums für Moderne Kunst, im Gespräch mit WELT AM SONNTAG. „Viele haben sich wohl von einem Besuch von Rafal Trzaskowski provoziert gefühlt. Der ist ein großer Unterstützer des Museums“, so Mytkowska weiter.
Trzaskowski ist Bürgermeister von Warschau – und seit November auch Kandidat seiner Partei, der Bürgerplattform (PO), für die Präsidentschaftswahlen im Mai dieses Jahres.
Das ist der Grund, warum er ständig angegriffen wird – und warum das Museum in die Schusslinie gerät. „Wir sehen, dass Kritik von Bots reproduziert wird. Das tatsächliche Ausmaß ist also geringer als das, was online zu sehen ist“, erklärt Mytkowska.
Tatsächlich ist davon auszugehen, dass die Ablehnung des Museums nicht dergestalt ausfällt, wie die Kommentare es vermuten lassen. Das Haus ist seit der Eröffnung durch Mytkowska und Bürgermeister Trzaskowski am 25. Oktober beeindruckend gut besucht. Ungefähr 2000 Menschen kamen in den ersten Wochen – pro Stunde.
Die Warschauer machen sich das Gebäude zu eigen, obwohl bislang nur neun Ausstellungsstücke zu sehen sind. Die erste vollständige Ausstellung soll im Februar eröffnen.
Viele bestaunen vor allem das Gebäude. Sie machen Fotos von den Treppen oder vor dem Panoramafenster, das einen Blick auf den Kulturpalast erlaubt. Das Museumsgebäude steht in scharfem Kontrast zu dem 1955 fertiggestellten sozialistischen Wolkenkratzer.
Architektur, gerade in Warschau, ist sensibel. Die Stadt wurde 1944 nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands beinahe komplett von den deutschen Besatzungstruppen zerstört. Einheitliche Architektur über ganze Straßenzüge gibt es nicht. Ein Gebäude wie der Neubau des Museums muss sich vor diesem Hintergrund rechtfertigen.
„In meinen Augen entbehrt die Kritik vom rechten Rand aber einer Grundlage“, sagt Mytkowska. „Es geht denen nicht darum, sich zum Beispiel damit auseinanderzusetzen, was das Gebäude leisten soll.“
Eklatanter Widerspruch
Die Empörung sei ein Abbild des „politischen Kampfs“, sagt Mytkowska, vor allem der Auseinandersetzung zwischen den großen polnischen Parteien, der PO und der PiS. „Wir sind eigentlich kein Teil dieses Streitrituals, dieses Kulturkampfs. Egal, was wir sagen oder nicht sagen, das hat keinen Einfluss auf diese Dynamik.“
Mytkowska weist zudem auf einen Widerspruch hin: Unter den Regierungen der PiS von 2015 bis 2023 wurde der Bau des Museums der Geschichte Polens vorangetrieben. Das Gebäude befindet sich auf dem Gelände der Warschauer Zitadelle.
„Es ist ein Monumentalbau, der aber auch etwas von einem modernistischen Klotz hat. Es ist die gleiche Architektursprache wie die unseres Hauses“, sagt Mytkowska. „Über jenes Museum aber gibt es keine solche Empörung.“
Philipp Fritz ist seit 2018 freier Auslandskorrespondent für WELT und WELT AM SONNTAG. Er berichtet vor allem aus Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei sowie aus den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit rechtsstaatlichen und sicherheitspolitischen Fragen, aber auch mit dem schwierigen deutsch-polnischen Verhältnis.