Seit Wochen steht der Asylminister in der Kritik. Es geht um mehr als das übliche SVP-Bashing.
Als Beat Jans für den Bundesrat kandidierte, sagte er: «Ich bin Feminist.» Mit sichtlichem Stolz trug er sein egalitäres Familienmodell und sein Engagement als «Teilzeit-Papi» von zwei Töchtern vor sich her. Dann wurde er gewählt und erbte überraschend das unbeliebte Justiz- und Polizeidepartement (EJPD). Statt mit Feminismus musste er sich fortan mit Asyl und Migration auseinandersetzen.
Am Mittwoch aber hat Beat Jans seine Chance genutzt. Für einmal stand ein Gleichstellungsthema aus dem Hause des EJPD auf der Traktandenliste des Bundesrats: das revidierte Opferhilfegesetz. Es geht um häusliche und sexuelle Gewalt. Die Kantone sollen verpflichtet werden, Opfern gratis professionelle rechtsmedizinische Betreuung zur Verfügung zu stellen. Die Untersuchungsergebnisse werden dokumentiert und aufbewahrt. Die Informationen sind zentral für die Beweisführung, falls sich die Opfer zu einem späteren Zeitpunkt für eine Anzeige entscheiden. Jans hofft, dass sich in Zukunft mehr Frauen trauen, zur Polizei zu gehen.
Wenn der Bundesrat Gesetzesrevisionen in die Vernehmlassung schickt, belässt er es häufig bei einer Mitteilung. Doch Beat Jans war es offenbar wichtig, persönlich in Erscheinung zu treten. «Gewalt im häuslichen Kontext dürfen wir niemals tolerieren», gab er zu Protokoll. Der Kampf dagegen habe für den Bundesrat «eine hohe Priorität». Im Jahr 2023 gab es über 19 000 registrierte Fälle häuslicher Gewalt, «mehr als Verkehrsunfälle», so Jans. Pro Monat sterben im Schnitt zwei Personen an den Folgen, die Mehrheit von ihnen sind Mädchen und Frauen.
Richtig überzeugend war Jans’ Auftritt aber nicht. Für Journalistenfragen zu den Kosten oder dem Inkrafttreten des Gesetzes verwies er an die zuständige Fachperson. Auch erklärte er nicht zufriedenstellend, welchen Prozess Opfer in Zukunft durchlaufen und was gängige Hürden für Anzeigen sind.
Das ist zwar häufig so bei Bundesräten. Auch Guy Parmelin, Ignazio Cassis oder Viola Amherd wirken zuweilen verloren. Dossierkennerinnen wie Karin Keller-Sutter oder Simonetta Sommaruga, die mit ihrem Fachwissen sogar ihre Beamten ins Schwitzen brachten, sind Ausnahmen.
Doch von Jans erwartet man Souveränität. Anfang Legislatur gab er noch den entschiedenen Durchgreifer: «Wer denkt, linke Politik heisst wegschauen von Problemen, irrt sich», sagte Jans im Februar. Er besuchte die gestresste Grenzstadt Chiasso und kündigte unter anderem 24-Stunden-Verfahren für Asylsuchende aus dem Maghreb an.
Seither hat sich Jans’ Image als Problemlöser abgenutzt. Die Zahl der Asylgesuche ist im August gesunken. Und auch die Anzahl Personen aus dem Maghreb in Bundesasylzentren ist seit der Einführung der 24-Stunden-Verfahren im Mai um über 40 Prozent zurückgegangen. Entsprechend gibt es weniger Sicherheitsprobleme und mehr Aufnahmekapazitäten.
Doch Jans gelingt es nicht, die Entspannung in der Migrationsfrage zu transportieren. Sie geht unter in der allgemeinen Empörung darüber, dass die 24-Stunden-Verfahren 12 Tage dauern – die SVP nennt den Bundesrat genüsslich einen «Ankündigungsminister», der nicht hält, was er verspricht.
Diese Rhetorik ist an sich nichts Neues. Asylminister sind beliebte Zielscheiben der SVP. An ihnen exerziert die Antimigrationspartei ihre Oppositionspolitik durch. Egal ob die hohen Krankenkassenprämien, die Mieten oder die Kriminalität: Schuld ist für die SVP die «unkontrollierte Zuwanderung». Bei SP-Asylministern zeigt sich die SVP besonders angriffig, aber auch die für ihre harte Linie bekannte Freisinnige Karin Keller-Sutter bekam ihr Fett ab. Es ist wohl kein Zufall, dass seit Christoph Blocher kein SVP-Magistrat mehr selbst Verantwortung für das Justizdepartement übernommen hat. Es ist bequemer, Forderungen zu stellen, als sie umzusetzen.
Es wäre aber zu einfach, die Kritik an Jans nur auf die SVP zu schieben. Als Jans mitten im Sommerloch in der NZZ ein Bekenntnis zu den Bilateralen III ablegte, sorgte das bis in die Mitte für Kopfschütteln. Und nun hat er einen kritischen Brief erhalten, den sogar Sozialdemokratinnen und Grüne mitverantworten. Die Staatspolitische Kommission wünscht sich von Jans, transparent und offen informiert zu werden. Der Antrag für den Brief stammt von der SVP-Nationalrätin Martina Bircher. «Es häuften sich Fälle, in denen wir Informationen aus der Presse entnehmen mussten, statt sie direkt zu erhalten», sagt sie der NZZ.
Ein Beispiel ist die Diskussion über Roma und den Schutzstatus S. Die Behörden vermuteten Anfang Jahr, dass sich Roma mithilfe illegaler ukrainischer Pässe einen Schutzstatus S erschleichen. Die Kommission erfuhr aus den Medien davon. Dazu kommt, dass Jans bei mehreren Kommissionssitzungen gefehlt hat. Er musste zum Bundesratsausflug, einem Treffen der Schengener Justiz- und Innenminister und fiel einmal krankheitsbedingt aus. Das sind legitime Gründe, doch auch seine Nummer zwei, die Staatssekretärin Christine Schraner Burgener, wurde mehrmals vermisst. Jans nehme seine Führungsaufgabe zu wenig wahr, heisst es deshalb sogar von linker Seite. Nur ein Kommissionsmitglied lehnte Birchers Antrag ab.
Im Nachhinein dürften die linken Kommissionsmitglieder bereuen, den Antrag unterstützt zu haben. Es war zu erwarten, dass die Medien davon erfahren würden, die «Sonntags-Zeitung» hat als Erste darüber berichtet. Kommissionspräsidentin Greta Gysin (Grüne) bedauert die Verletzung des Kommissionsgeheimnisses: «Das erschwert die Arbeit in der Kommission», sagt sie der NZZ. Ausserdem betont sie, der Brief sei «konstruktiv» gemeint gewesen und «nicht so polemisch, wie es jetzt von gewissen Kolleginnen und Kollegen in den Medien dargestellt» werde. Verfasst wurde der Brief aber nicht von Bircher, wie diverse Medien schrieben, sondern vom Kommissionssekretariat, unterschrieben hat ihn Gysin.
Jans reagierte offen und einladend auf die Kritik. «Ich fand den Brief völlig in Ordnung», sagte Jans am Mittwoch, bevor der Bundesratssprecher Andrea Arcidiacono die Diskussion abklemmte. Es freue ihn, dass die Kommission ihn häufiger sehen und mehr Informationen wolle. Er werde dem Vorwurf, die Verwaltung habe Informationen unterschlagen, nachgehen: «Das darf nicht sein.»
In den Medien hatte das noch anders getönt. Jans’ Sprecherin liess sinngemäss verlauten, der Bundesrat komme halt nicht an unwichtige Sitzungen, wörtlich schrieb sie: «Bundesrat Beat Jans nimmt an Sitzungen der zuständigen Kommission teil, wenn Geschäfte des Bundesrats oder Geschäfte mit grosser politischer Tragweite traktandiert sind.» Diverse Politiker fühlten sich deswegen nicht ernst genommen.
Dazu kommt die inhaltliche Kritik. Mittlerweile verschickt auch die FDP Medienmitteilungen im SVP-Stil, in denen sie den Asylminister direkt angreift: «Wachen Sie auf, Herr Jans», hiess es vor ein paar Wochen. Der Bundesrat habe eine ehrlichere Asylpolitik versprochen. Nun bleibe er untätig und schweige, beispielsweise bei den Grenzkontrollen, schrieb der Freisinn. Der Nationalrat Christian Wasserfallen, selbst Mitglied der genannten Staatspolitischen Kommission, differenziert auf Anfrage: «Beat Jans hat ein schwieriges Dossier, jede Person hätte Mühe damit», sagt er. Aber: «Jans ignoriert die politischen Mehrheiten, welche die Schrauben anziehen wollen, und macht eine zu softe Asylpolitik.»
Als Beispiel nennt Wasserfallen Jans’ Widerstand gegen eine Motion der SVP. Diese fordert, dass vorläufig aufgenommene Asylsuchende ihre Familien nicht mehr nachziehen dürfen. Jans argumentierte, das widerspreche der Verfassung, und appellierte allgemein an das Parlament, sich an die humanitäre Tradition zu halten: «Die Kriegstreiber und Terroristen dieser Welt wollen doch genau, dass wir unsere Grundwerte über Bord werfen, dass sich Europa auseinanderdividiert. Und schon deshalb – schon deshalb! – ist es wichtig, standhaft zu bleiben.» Doch der Freisinn und sogar einige Mitte-Politiker stimmten der SVP-Motion zu.
Für den Bundesrat ist das ungemütlich. Er kann sich bei extremen SVP-Vorstössen nicht mehr wie früher auf die Unterstützung des politischen Zentrums verlassen. Die Regierung gehe die illegale Migration nicht konsequent genug an, begründete der FDP-Präsident Thierry Burkart den harten Kurs. Links nimmt man ihm diese Argumentation nicht ab. Der SP-Präsident Cédric Wermuth interpretiert die neue harte Linie der FDP als einen Ausdruck «verzweifelter Hoffnung auf ein paar Wählerstimmen von ganz rechts». Es sei nicht das erste Mal, sagt Wermuth: «Wenn der Freisinn Wähler verliert, schwindet die Hemmung, liberale Grundrechte beiseitezuwischen und gegen jene zu treten, die sich nicht wehren können.» Der Sozialdemokrat ist überzeugt, dass der Freisinn so primär der SVP hilft. Unter Politbeobachtern ist das umstritten. Die einen glauben, die FDP gewinne mit einer härteren Asylpolitik Kontur, andere sehen sie als Zudienerin der SVP.
Bei Jans scheint die Dauerkritik Spuren hinterlassen zu haben. Nach der Session wirkte er müde. Der Basler kommt aus einer Welt, in der Politik häufig eine recht kuschelige Angelegenheit ist – besonders für Sozialdemokraten. Die SP ist in Basel-Stadt die stärkste Partei, und der Kanton schwimmt in so viel Geld, dass Konflikte häufig monetär entschärft werden.
Im Haifischbecken Bern ist das anders. Vor Jans liegen harte Verhandlungen, nicht nur in der Asylpolitik, sondern auch in der EU-Frage. Über seinen Kommunikationschef lässt der Basler ausrichten, er freue sich jeden Tag auf die Arbeit, die Zusammenarbeit mit seinem Team und auch darauf, zusammen mit den Kantonen und dem Parlament Lösungen im Asyl- und Migrationsbereich zu erarbeiten. Freude wird allerdings nicht reichen. Die SVP macht weiterhin Druck im Bundesrat, im Parlament und mittels Initiativen. Dabei kann sie weiterhin mit Unterstützung von Teilen des Freisinns und der Mitte rechnen. Um ihr etwas entgegenzuhalten, muss Beat Jans daher eigene Allianzen im Zentrum schliessen. Das braucht gute Beziehungen und eine geschickte Kommunikation nach innen und aussen. Die Mächtigen in Bundesbern erkennen sofort, wenn ein Bundesrat ins Stottern gerät.