1. Startseite
  2. Politik

„Eindringlinge“ und „Wahl-Dschihad“: Warum Indiens Premier Modi im Wahlkampf gegen Muslime wettert

KommentareDrucken

Ein muslimischer Mann zeigt seinen mit Tinte beschmierten Finger, nachdem er seine Stimme im Wahllokal abgegeben hat
Ein muslimischer Wähler im Bundesstaat Assam zeigt die Tinte auf seinem Finger: Er hat soeben seine Stimme abgegeben. Indiens Premierminister Modi schürt in Wahlkampfreden unter Hindus derweil Angst vor den Muslimen des Landes. © Hafiz Ahmed/Zuma Wire/IMAGO

Muslime haben in Indien einen zunehmend schweren Stand. Das riesige Land wird seit zehn Jahren von der hindu-nationalistischen BJP unter Narendra Modi regiert, fünf weitere stehen bevor.

Eigentlich schickt Narendra Modi für anti-muslimische Tiraden seine Parteifunktionäre vor. Doch dann griff Indiens Premierminister doch einmal selbst zum Mikrofon. Indiens Muslime seien „Eindringlinge“, rief er auf einer Wahlkampfveranstaltung in seinem Heimat-Bundesstaat Gujarat. Sollte Indiens größte Oppositionspartei, der Indische Nationalkongress, an die Macht kommen, würde sie das Vermögen der Hindus beschlagnahmen und an Gemeinschaften verteilen, die „zu viele Kinder haben“. Es war eine nur mäßig verhüllte Anspielung auf Muslime. Unter Indiens Hindus herrscht seit Jahrzehnten das Klischee vor, muslimische Familien hätten mehr Kinder sie selbst.

Am 19. April begann die Parlamentswahl in Indien; die Abstimmung wandert wochenlang durch die Bundesstaaten. Noch bis zum 4. Juni wird gewählt, und der Wahlkampf geht in Dauerschleife weiter. Aussicht auf den Wahlsieg aber hat allein die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP), die ihrem populären Premierminister Modi aller Voraussicht nach eine dritte fünfjährige Amtszeit bescheren wird. Bislang war Modi stets staatsmännisch aufgetreten – auch wenn er seine Scharfmacher von der BJP immer gewähren ließ. Das ändert sich nun.

Ein anderes Mal tönte Modi, die Kongresspartei rufe Muslims zu einem „Wahl-Dschihad“ auf – also einem Heiligen Krieg mit dem Stimmzettel: „Die Terroristen in Pakistan haben den Dschihad gegen Indien ausgerufen. Und hier hat die Kongresspartei einen Abstimmungs-Dschihad gegen die BJP angekündigt und fordert die Anhänger einer bestimmten Religion auf, geschlossen gegen Modi zu stimmen.“

Indiens Parlamentswahl: Wochenlanger Urnengang in allen Bundesstaaten

Warum der Premierminister nun selbst den Scharfmacher gibt, ist unklar. Der Sieg ist ihm sicher. Doch vielleicht fürchtet er, sein Ziel einer Zweidrittelmehrheit zu verfehlen, mit der die BJP-Koalition Indiens säkulare Verfassung ändern könnte. Die Wahlbeteiligung ist laut Medienberichten niedriger als beim letzten Urnengang 2019, die Euphorie gering. Doch die Kongresspartei liegt in Umfragen weit zurück. Sie gehört ebenso wie zwei Dutzend andere Parteien zum oppositionellen Mitte-Links-Bündnis namens INDIA, kurz für „Indian National Developmental Inclusive Alliance“. Aber auch gemeinsam haben die INDIA-Parteien kaum eine Chance gegen die von der BJP angeführte Koalition, die seit 2014 regiert.

Generell verbergen die BJP und Modi ihre Islamfeindlichkeit immer weniger – und werden dabei nicht behindert. Die Wahlkommission zeigte bislang wenig Interesse, ihnen auf die Finger zu klopfen. Und auch die internationalen Partner Indiens aus dem Westen schweigen zu den Gefahren für die Demokratie des Landes, die durch Modis autoritäre Neigungen entstehen. Kritiker werfen dem Premierminister seit langem eine schleichende Machtkonzentration sowie Behinderung von Justiz und Medien vor. 

Indiens Muslime: Zunehmend ausgegrenzt und diskriminiert

Die meisten der 200 Millionen indischen Muslime waren nie Anhänger der BJP. Nur acht Prozent von ihnen wählten laut BBC bei der letzten Parlamentswahl 2019 Modis Partei. Bei Regionalwahlen stimmen sie demnach seither zunehmend als Block gegen die BJP – und wählen ihre Gegner, egal wer es ist: Indiens Parteienlandschaft ist so vielfältig und regionalisiert, dass viele Parteien nur in einzelnen Bundesstaaten antreten, dort aber durchaus mehrheitsfähig sein können.

Korrespondenten der New York Times und der BBC zitierten in Reportagen Muslime in nördlichen Landesteilen mit Anekdoten über die Ausgrenzung ihrer Kinder in der Schule oder Weigerungen von Wohnungsbesitzern, an Muslime zu vermieten. All das habe es früher nicht gegeben. Indien ist ein Vielvölkerstaat; ein entspanntes Miteinander hat Tradition – was im liberalen Süden noch immer so ist. Doch seit die BJP 2014 erstmals an die Macht kam, ändert sich das schleichend, vor allem in ihren Hochburgen im Norden. Der Hinduismus wird informell zur Staatsreligion. Knapp 80 Prozent der Inder sind Hindus.

Indiens Gesellschaft: Wachsende Spaltung zwischen Hindus und Muslimen

Auch nimmt die Aggression radikaler Hindus gegenüber den Muslimen in ihrem Land zu. Rechtsgerichtete Organisationen begannen parallel zum Aufstieg der BJP sektiererische Zusammenstöße zu provozieren, während die Regierung wegsah: Hindu-Mobs lynchten Muslime wegen des bloßen Verdachts, sie könnten Rindfleisch-Händler sein. Rinder sind im Hinduismus heilige Tiere. Soziale Medien verbreiten Verschwörungstheorien von angeblichem „Liebes-Dschihad“, wonach muslimische Männer gezielt Frauen anlockten, um sie zum Islam zu bekehren.

Auch das Vorurteil von den kinderreichen Familien wird politisch genutzt. Die BJP schüre damit die Angst vor einer künftigen demographischen Dominanz der Muslime in Indien, sagt Archana Venkatesh von der Clemson University im US-Bundesstaat South Carolina. Seit dem Ende der Kolonialzeit und der Teilung Britisch-Indiens in das hinduistische Indien und das muslimische Pakistan habe sich „die in den Köpfen der indischen Entscheidungsträger bereits vorhandene Vorstellung von muslimischer Hyperfruchtbarkeit weiter verfestigt“, schreibt Venkathesh. „Doch solche Befürchtungen sind unbegründet. Zwar ist die muslimische Minderheit von elf Prozent Mitte der 1980-er Jahre auf heute 14 Prozent angewachsen. Doch ihre Vertretung im Parlament ist von neun Prozent Mitte der 1980-er Jahre auf heute fünf Prozent zurückgegangen.“

Modi betont inzwischen, er richte sich in seinen Reden nicht ausdrücklich gegen Muslime. Doch seine Worte – aufgezeichnet und im ganzen Land verbreitet – wurden durchaus genau so aufgefasst, von allen Seiten.

Auch interessant

Kommentare

Bereit für den nächsten Schritt?

Jetzt anmelden und mehr Funktionen und Inhalte freischalten.

USER.ID, den Login-Service von IPPEN.MEDIA. Was ist USER.ID?