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Ortsvorsteher der Kasseler Nordstadt: „Ramadan-Beleuchtung nützt Extremisten“

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War im Frühjahr in Frankfurt zu sehen: Ramadan-Beleuchtung in der Frankfurter Fressgass. Archiv
War im Frühjahr in Frankfurt zu sehen: Ramadan-Beleuchtung in der Frankfurter Fressgass. © Boris Roessler/dpa

Gegen eine Ramadan-Beleuchtung in der Unteren Königsstraße hat sich Ali Timtik, Ortsvorsteher der Nordstadt ausgesprochen. Mit seiner Meinung dürfte er in dem multikulturellen Stadtteil wiederum auf Kritik stoßen.

Kassel – Eine Initiative aus dem Quartier Untere Königsstraße, unterstützt vom Ausländerbeirat, setzt sich für eine Ramadan-Beleuchtung in der Unteren Königsstraße zwischen Stern und Bremer Straße ein. Wir sprachen mit Ali Timtik über seine Argumente gegen die Aktion.

Herr Timtik, warum lehnen Sie eine Ramadan-Beleuchtung ab?

Ich bin dagegen – da spreche ich allerdings nur für mich, und nicht für den Ortsbeirat, der sich erst im Juni mit dem Thema befasst. Ich sehe die Beleuchtung kritisch, weil zum Umfeld der Initiative auch religiös extremistische Personen gehören. Die Menschen im Vordergrund, die den Vorschlag gemacht haben, sind unverdächtig. Aber im Hintergrund gibt es Personen, die bekannt für ihre radikalislamischen Positionen sind.

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Es gibt viele Moscheegemeinden in Kassel, denen religiöse Extremisten angehören: Das ist der Fall bei den Ditib-Moscheen, bei marokkanischen, tunesischen und ägyptischen Moscheegemeinden. Ich weiß das. Diese Personen stellen sich zwar in der Öffentlichkeit nicht in den Vordergrund. Sie werden eine Ramadan-Beleuchtung aber ausnutzen. Sie werden sagen: „Schaut, wir haben die Beleuchtung durchgesetzt. Wir werden in Deutschland ein islamisches Land gründen.“ Ich fürchte, in der Folge werden die Islamisten noch schlimmere Sachen fordern.

Das sind schwere Vorwürfe, die ähnliche Vorurteile gegen Muslime schüren, wie es Rechtspopulisten gern tun.

Diese Islamisten sind wie die AfD: Was die AfD als rechtsextreme deutsche Gruppe fordert, das wollen die muslimischen Extremisten für ihre arabisch-religiösen Ziele. Sie wollen daneben nichts anderes gelten lassen. Wir haben in Deutschland eine soziale und demokratische Gesellschaft. Alle Menschen dürfen ihre Glauben leben. Aber in vielen Ländern der islamischen Welt gibt es keine Toleranz gegen Christen oder gegen Andersgläubige. Auch hier in Kassel werde ich von Muslimen öfters beleidigt und beschimpft, weil ich Bier verkaufe und selbst Alkohol trinke.

Von wem genau?

Von Türken, Arabern, Syrern. Sie wollen mich zwingen, ein Muslim zu sein, weil mein Name Ali ist. Ich bin alevitisch erzogen worden. Aber ich gehöre keiner Glaubensgemeinschaft an.

Wie stehen Sie zur Weihnachtsbeleuchtung in der Innenstadt?

Die brauche ich auch nicht. Mit allem, was Religion ist, habe ich ein Problem. Religiöse Dinge gehören an religiöse Orte und nicht in die Öffentlichkeit. Die Weihnachtsbeleuchtung ist eine Initiative der City-Kaufleute und wird auch von ihnen bezahlt. Das hat vor allem mit Werbung zu tun, um Kunden in die Stadt zu locken. Auch in Istanbul machen übrigens Geschäftsleute eine Weihnachtsbeleuchtung zu Werbezwecken. Aber eine Ramadan-Beleuchtung gibt es in Istanbul nicht. Nur an den Moscheen steht dann: Willkommen im Ramadan.

Was soll an einer Ramadan-Illumination schlechter sein als an der Weihnachtsbeleuchtung?

Eine Idee der Initiative ist, dass es ein gemeinsames Fastenbrechen auf der Straße geben soll. Aber an der Bremer Straße ist die Synagoge. Was ist, wenn auch radikale Muslime kommen? Was ist, wenn es zu Angriffen auf die Synagoge kommt? Warum muss es überhaupt in der Unteren Königsstraße sein? In der Jägerstraße gibt es auch viele muslimische Geschäftsleute. Die Geschäfte können ja für Schmuck in ihren Schaufenstern sorgen, das würde mich nicht stören. Aber die Initiative möchte, dass die Stadt die Beleuchtung mit bezahlt. Das geht nicht. Eine andere Sache ist es, wenn man eine bessere Beleuchtung für die Untere Königsstraße fordert. Wenn alle Menschen davon profitieren, unabhängig vom Ramadan, dann wäre das natürlich sinnvoll.

Viele Menschen mit familiären Wurzeln in islamischen Ländern fühlen sich in Deutschland am Rand. Könnte eine Ramadan-Beleuchtung nicht ein Zeichen sein, dass sie dazugehören – und damit Extremisten gerade Wind aus den Segeln nehmen?

Das glaube ich nicht. Das wäre eine scheinheilige Lösung. Eine Lösung wäre eine wirkliche soziale und demokratische Gesellschaft, in der Menschen jeder Herkunft und jeder Hautfarbe angenommen werden. Man kann die Frage stellen: Warum werden Menschen mit muslimischen Namen in Deutschland benachteiligt – bei Behörden, bei der Job- oder Wohnungssuche? Warum werden sie nicht besser integriert? Man kann aber auch fragen, warum Menschen sich noch einem Herkunftsland und dessen religiösen Regeln zugehörig fühlen, wenn sie in der dritten oder vierten Generation in Deutschland leben. Und warum Menschen hier noch auf Erdogan hören, wenn er etwas gegen den Westen sagt.

Sie warnen vor der Instrumentalisierung der Beleuchtung durch Extremisten. Die Frage ist aber, ob die große Mehrheit der Menschen, die sich über eine Ramadan-Beleuchtung freuen würden, deren Positionen überhaupt teilt.

Wenn es eine politische Mehrheit für das Vorhaben gibt, werde ich das natürlich akzeptieren. Aber ich bin dagegen und werde auch im Ortsbeirat dagegen stimmen. Ich finde, Muslime, die als Arbeitsmigranten oder Flüchtlinge in nicht-muslimische Länder gehen, sollten auch Respekt vor der Kultur des Landes haben. Ich bin dafür, dass alle Menschen gleichberechtigt sind. Aber radikale Muslime fordern Freiheit für sich und ihre Religion und nehmen anderen die Freiheit weg.

Werden Sie mit ihrer Position als Ortsvorsteher der muslimisch geprägten Nordstadt viel Unmut auf sich ziehen?

Die Leute sind eh’ gegen mich: viele Muslime von Ditib und von anderen Moscheen. Und die AfD. Und das Bündnis gegen Antisemitismus. Die sind alle gegen mich. Das stört mich nicht.

Zur Person

Ali Timtik (58) ist Ortsvorsteher im Stadtteil Nord-Holland und Stadtverordneter für die Kasseler Linke. Er ist parteilos, aber engagiert sich seit 2015 auf dem Ticket der Linken im Ortsbeirat. In der Nordstadt lebt Timtik seit rund 38 Jahren. An der Gottschalkstraße führt er das Imbiss-Lokal „Bei Ali“. Geboren ist Ali Timtik in Ostanatolien, Türkei. Er kam 1986 als politischer Flüchtling nach Deutschland und hat seit dem Jahr 2000 die deutsche Staatsbürgerschaft.

Inititive weist Vorwürfe zurück

Den Vorwurf, dass auch radikale Muslime hinter der Initiative für die Ramadan-Beleuchtung stecken würden, weist Juri Kilian scharf zurück. Er gehört mit einigen Geschäftsleuten aus dem Quartier am Stern sowie Omar Dergui vom Ausländerbeirat zu dem lockeren Bündnis, das sich für die Aktion einsetzt. Man arbeite weder mit radikalen Muslimen noch mit irgendeinem Moscheeverein zusammen, sagt Kilian, der selbst nicht gläubig ist.

Er sehe auch keine Gefahr, dass radikale Gruppierungen eine Ramadan-Illumination für ihre Zwecke nutzen könnten. Im Gegenteil berge es für diese eher Potenzial, wenn eine derartige Ramadan-Aktion nicht möglich sei, so Kilian: „Dann könnte man sagen: Seht ihr, sie gönnen Euch nicht mal die Beleuchtung.“ Mit den haltlosen Unterstellungen trage der Ortsvorsteher der Nordstadt zu einer Spaltung bei, findet Kilian. „Dabei repräsentiert er einen multikulturellen Stadtteil.“ Die Beleuchtung solle das Quartier verschönern und den Ramadan sichtbarer machen, der vielen Menschen dort wichtig ist. (Katja Rudolph)

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