„Menschen ihrer Freiheit beraubt“: Haftstrafe für Richterin aus Rotenburg
Im Fall des Prozesses um Rechtsbeugung einer Rotenburger Richterin gibt es ein Urteil: eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Die Frau hat nun Revision eingelegt.
Update vom 8. März: Die wegen Rechtsbeugung zu einer Haftstrafe verurteilte Richterin am Amtsgericht Rotenburg geht rechtlich gegen ihre Verurteilung vor. Das berichtet die Deutsche Presse-Agentur am Mittwoch. Die 54-Jährige habe Revision gegen das Urteil des Landgerichts Stade eingelegt, sagte eine Sprecherin des Gerichts. Der Bundesgerichtshof muss nun entscheiden, ob der Fall noch einmal aufgerollt wird. Dies könne Monate dauern, sagte die Sprecherin. Bis dahin ist das Urteil nicht rechtskräftig.
Ursprungsartikel vom 6. März: Stade/Rotenburg – Freispruch war die Forderung der Verteidigung, Freispruch war auch die Forderung der Staatsanwaltschaft. Doch im Fall der Richterin des Rotenburger Amtsgerichts hat die Kammer des Stader Landgerichts bei der Urteilsverkündung am Montag eine Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren und neun Monaten festgelegt – vor allem angesichts der geforderten Freisprüche eine überraschend hohe Strafe. Die Kammer sah es als erwiesen an, dass sich die 54-Jährige der Rechtsbeugung schuldig gemacht hat – und das systematisch. „So kann man es einfach nicht machen“, sagte der Vorsitzende Richter Marc-Sebastian Hase. „Sie hat Menschen rechtswidrig ihrer Freiheit beraubt.“
In 15 Fällen in den Jahren 2016 und 2017 hatte die Juristin eine Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet, ohne, wie es vorgeschrieben ist, die Betroffenen angehört zu haben. Das hatte sie vor Gericht auch eingeräumt, als Ursache gab sie an, im Tatzeitraum in einer schwierigen, persönlichen Situation gewesen zu sein und schwere Probleme in ihrem familiären Umfeld gehabt zu haben: die damals zehnjährige Tochter sehr krank, ihre in Aachen lebende Mutter dement während ihr Vater Hilfsangebote seitens der Juristin ablehnte.
Richterin handelt ohne Anhörung
Währenddessen hatten sich in ihrem Büro im Rotenburger Amtsgericht die Akten gestapelt, einzelne Papiere mussten dort laut Hase sogar gesucht werden. „Sie entwickelte eine Belastungsstörung, zeigte das aber nicht beim Arbeitgeber an“, so der Vorsitzende Richter. Auch der Gedanke, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, sei ihr nicht gekommen. Der Entschluss, auf die Anhörungen zu verzichten oder manchmal erst 54, mal sogar erst 200 Tage nach einem Beschluss erfolgen zu lassen und demnach die Angelegenheiten nicht so zu erledigen, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist, sei von ihr bewusst getroffen worden.
„Sie vertrat im Gericht die Meinung, dass die Anhörungen nicht so wichtig seien“, so der Richter. Diese Meinung der Juristin war unter anderem einer Zeugin und Kollegin, die im Verlauf des Prozesses ausgesagt hatte, sauer aufgestoßen. Die Angeklagte hatte Bedenken der Zeugin ihr gegenüber mit „unterschiedlichen Rechtsauffassungen“ begründet. Das hatte die Zeugin auch an den damaligen Direktor des Amtsgerichts und danach an den damaligen Präsidenten des Landgerichts Verden weitergegeben.
Sie hat leider den falschen Fokus gewählt.
Auf der anderen Seite: Die 54-Jährige hatte im Tatzeitraum auch noch die Aufgaben einer pensionierten Zivilrichterin übernommen. Diese wiederum hatte sie nach Ansicht der Kammer ausgehend von Zeugenaussagen weiterhin ausführlich und gründlich bearbeitet – anstelle der „scheinbar lästigen Anhörungen“, hieß es vor Gericht hieß. „Sie hat leider den falschen Fokus gewählt und ihre Arbeit erst nach Aufdeckung der Taten reduziert“, so Hase. „Das alles lässt sich nicht rückgängig machen, das Kind ist nun in den Brunnen gefallen, die Taten sind begangen.“
Auch eine Einlassung der Verteidigung, die deutlich „böse Absichten“ bestritten und eine Vielzahl an Augenblicksversagen als Ursache angeführt hatte, sah die Kammer in ihrer Urteilsbegründung nicht als überzeugend an. Vor allem gegen das Augenblicksversagen „spricht die Vielzahl der Fälle“, so Hase. Dieses ließe sich zudem deshalb nicht erklären, da die eine Zeugin und Kollegin die Angeklagte immer wieder darauf angesprochen habe. „Das alles ergibt das Bild, dass sie mit Absicht gehandelt hat.“
Langwieriges Verfahren
Die Maximalstrafe in solchen Fällen liegt bei fünf Jahren, als strafmildernd sah die Kammer neben dem Fehlen jeglicher Vorstrafen die Tatsache an, dass die Anhörungen nicht dem Freizeitvergnügen der Angeklagten zum Opfer gefallen waren, sondern anderen Verpflichtungen. Auch lägen die Taten bereits länger zurück, zudem habe das Verfahren – auch durch die Verlegung von Verden nach Stade aufgrund der Nähe – viel Zeit in Anspruch genommen. Schließlich gibt es in den Augen der Kammer nichts, das weiter strafverschärfend wirkt, allerdings geht der Verbrechenstatbestand auch nicht von einem minderschweren Fall aus. „Aber die Angeklagte hätte ein vollumfängliches Geständnis ablegen können“, so Richter Hase. „Denn spätestens nach der Zeugenaussage der Kollegin lag das absichtliche Handeln auf der Hand. Dieser strafmildernde Grund ist hier also nicht nutzbar.“ Eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich ist laut Kammer nicht denkbar.
Mit der Freiheitsstrafe kommen auf die 54-Jährige, die bislang nach wie vor am Rotenburger Amtsgericht tätig ist, auch erhebliche wirtschaftliche Folgen zu. Ihre Stellung als Richterin wird sie verlieren, Pensionsansprüche erlöschen, und auch als Anwältin dürfte sie frühestens nach fünf Jahren wieder arbeiten. Die Verteidigung hat nun ausgehend von der Urteilsverkündigung eine Woche Zeit, um in Revision zu gehen.