Ein Bruch innerhalb der Wissenschaft vor 40 Jahren könnte die Politik aufs falsche Gleis gelenkt haben. Die National Academy of Science (NAS) in den USA hatte 1983 ihren ersten großen Report über den Klimawandel veröffentlicht. Fünf Kapitel hatten Naturwissenschaftler beigesteuert, zwei kamen von Ökonomen, darunter die späteren Nobelpreisträger Thomas Schelling und William Nordhaus.
Die Publikation offenbarte zwei Denkschulen: Die Naturwissenschaftler beschrieben die Risiken einer globalen Erwärmung, die fielen in ihr Ressort. Die Ökonomen erörterten ein Dilemma: Welcher Aufwand für Klimaschutz wäre verkraftbar und welcher Aufwand gar schädlicher als die zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels? Es war die Kernfrage der Klimadebatte.
Doch ökonomische Abwägungen gerieten in den Hintergrund, ihre Vertreter sahen sich harter Gegenwehr ausgesetzt. Als Munition für Klimaskeptiker brandmarkten politische Kontrahenten wie die einflussreiche Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes die Ausführungen der Ökonomen im NAS-Report 1983.
In seinem dritten Sachstandreport von 2001 schob der UN-Klimarat IPCC die Ökonomie beiseite, fokussierte stattdessen auf CO₂-Emissionsminderung. Sein Mandat sei „von einer überwiegend disziplinären Bewertung der wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen des Klimawandels zu einer interdisziplinären Bewertung der Optionen zur Emissionskontrolle“ übergegangen, hieß es 2001 im IPCC-Report. Der Fokus auf CO₂-Minderung ist gleichbedeutend mit der Stärkung von staatlichem Dirigismus, was auch überstaatlichen Institutionen wie dem UN-Klimasekretariat UNFCCC zugutekommt, der Mutterorganisation des IPCC.
„Warum sind Mainstream-Ökonomen beim IPCC unbeliebt?“, fragte vor wenigen Tagen der Ökonom Christian Gollier von der Toulouse School of Economics angesichts der Unterrepräsentation seiner Zunft im UN-Klimabericht. „Weil sie darauf bestehen, Anreizinstrumente statt autoritärerer Maßnahmen zu nutzen, die von anderen Wissenschaftlern propagiert werden“, antwortet er sich selbst.
Naturwissenschaftler bestimmen den Diskurs: „Der Planet wird sich weiter erwärmen, bis die Treibhausgasemissionen auf netto Null gesenkt werden“, schrieb der Klimatologe Ed Hawkins im März 2022. „Um zu verhindern, dass sich die Klimafolgen verschlimmern, bleibt nur Netto-Null“, fügte er hinzu. „Je schneller dieses Ziel erreicht wird, desto weniger schlimm sind die Folgen. Die Kosten der Untätigkeit sind höher als die Kosten des Handelns.“
Der Klimaökonom Richard Tol von der University of Sussex widersprach: „Wenn ein Ökonom Blödsinn über die Wissenschaft des Klimawandels redet, wird er angespuckt. Wenn ein Physiker Blödsinn über die Ökonomie der Klimapolitik redet, kümmert es niemanden. Wenn die Emissionen bis 2030 auf null gesenkt werden, sind die Kosten des Handelns weitaus höher als die Kosten des Nichthandelns. Wenn die Emissionen bis 2300 auf null gesenkt werden, sind die Kosten der Untätigkeit weitaus höher als die Kosten des Handelns.“
Tol wies auf den Kern der Klimaökonomik, der von Naturwissenschaftlern gerne ausgeblendet wird: auf die notwendige Abwägung von Klimaschutz-Kosten und Klimawandel-Kosten. Welche weitere Erwärmung sollte in Kauf genommen werden, um schädliche Kosten durch überteuerte CO₂-Eindämmungsmaßnahmen zu vermeiden? Ab welcher Temperatur würden die Kosten der Erwärmung die Kosten des Klimaschutzes übersteigen?
William Nordhaus von der Yale University – einer der Autoren jener NAS-Klimastudie von 1983 – erhielt 2018 den Wirtschafts-Nobelpreis für seine Abwägungsrechnungen, die er seit Mitte der 1970er-Jahre betrieb. Ökonom Nordhaus hatte zunächst 3,5 Grad, später drei Grad als kostenoptimale Erwärmung berechnet: Ab drei Grad könnten die Klimawandel-Kosten die Klimaschutz-Kosten übersteigen.
Andere Wissenschaftler kamen auf niedrigere Werte, manche kritisierten Nordhaus – doch eine Debatte über die Abwägung von Klimaschutz und Klimawandel kam nicht auf. Die Weltgemeinschaft einigte sich im Pariser-Abkommen sogar darauf, die Erwärmung auf 1,5 Grad bis 2 Grad zu begrenzen – zum Erstaunen von Ökonomen.
Es sei „unmöglich“, das 2-Grad-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen, selbst bei einer schnellstmöglichen Wende hin zu Null-Emissionen, kritisierte Nordhaus die UN-Klimaziele: Das 2-Grad-Ziel entspreche „nicht den ökonomischen Realitäten“. Es sei gesetzt worden, ohne dass man fragte, wie viel es koste, es zu erreichen. „Wir können unsere Wirtschaft nicht einfach herunterfahren“, warnte der Nobelpreisträger in der „NZZ“.
Um mögliche Auswirkungen des Klimawandels vergleichbar zu machen, berechnen Ökonomen die „gesellschaftlichen Kosten von CO₂“: Welchen Schaden verursacht eine zusätzliche Tonne vom Menschen emittiertes CO₂? Zwischen 1982 und 2022 legten Wissenschaftler rund 6000 Schätzungen vor.
Wichtige Faktoren sind etwa der Wandel der Landwirtschaft und des Nahrungsangebots im Zuge des Klimawandels, die Veränderung der Energieversorgung, der Klimatisierung von Gebäuden und die Folgen für Arbeitskraft und Gesundheit, die Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs, die Veränderung des Tourismus und der Transportmöglichkeiten.
Für eine Erwärmung von 2,5 Grad gegenüber dem 19. Jahrhundert, auf die es aktuellen Szenarien zufolge zulaufen könnte, zeigen die meisten Rechnungen von Ökonomen keine ökonomische Katastrophe: Der Durchschnitt aller Studien zum Thema ergebe einen wirtschaftlichen Verlust von rund 1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis Ende des Jahrhunderts, berichtet Ökonom Tol, Autor eines Standardwerks zum Thema. Die Studien wichen in ihren Ergebnissen zwar stark voneinander ab, aber der Großteil zeige für 2,5 Grad ökonomische Verluste von null bis zwei Prozent, was in etwa dem Wirtschaftswachstum eines Jahres entspricht.
Klimaeffekte können negativ sein
Der Klimawandel sei ein untergeordneter Faktor für die Entwicklung der Gesellschaft, folgert Brian O’Neill vom Pacific Northwest National Laboratory in den USA, der seit zwanzig Jahren in höherer Position für den UN-Klimabericht arbeitet. Klimaeffekte könnten negativ sein, aber von anderen Treibern des Geschehens überboten werden, etwa von der wirtschaftlichen Entwicklung, von technologischem Fortschritt, sozialem Wandel oder politischen Veränderungen, schreibt der Experte im Fachmagazin „Nature Climate Change“.
Der positive Ausblick verleugne nicht, dass der Klimawandel gravierende Folgen haben könnte, betont der Umweltforscher: Die Erwärmung verlangsame den Fortschritt – kehre ihn aber nicht um. O’Neill fordert, die Gesamtperspektive zu berücksichtigen: Wissenschaftliche Bewertungen müssten unter Berücksichtigung aller Faktoren zwischen zusätzlichem Klimarisiko und dem Gesamtrisiko unterscheiden.
Die meisten Szenarien des UN-Klimarats stellten eine Zukunft mit weniger Armut und weniger Konflikten in Aussicht, „in der die Menschheit besser ausgebildet, besser ernährt, langlebiger und gesünder ist“, schreibt O’Neill. Ein Anstieg der Lebenserwartung um zehn bis 20 Jahre in diesem Jahrhundert werde erwartet – auch in den Ländern mit der aktuell kürzesten Lebenserwartung.
Warum streiten wir so heftig über den Klimawandel?
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Quelle: WELT
Der Klimawandel berge jedoch auch schwer abschätzbare Risiken, beschleunigtes Abschmelzen der Eiskappen etwa, betont Richard Tol. Zudem seien die ökonomischen Risiken in armen Staaten höher, was der Fokus auf die globalen Durchschnittswerte verschleiere. Der Verlust eines Dollars treffe einen Landwirt in einem Entwicklungsland härter als einen Landwirt in den USA.
Der Vorstellung aber, die Erwärmung treibe Menschen zwangsläufig ins Verderben, widerspricht Tol. „Die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels sind Symptome von Unterentwicklung und Missmanagement“, schreibt er. „Das bedeutet, dass wir uns immer fragen sollten, wie wir das Schicksal der zukünftigen Menschen am ehesten verbessern können. Geht es um die Reduzierung der Treibhausgasemissionen oder um die wirtschaftliche Entwicklung?“
Zunehmender Wohlstand mindere den Einfluss des Klimawandels, betont auch der Klimaökonom Matthew Kahn von der University of Southern California. Todesfälle und Zerstörungen durch extreme Wetterereignisse nähmen ab, die gesellschaftlichen Kosten des CO₂ gingen zurück, erläutert Kahn.
Aber ökonomische Prinzipien passen schlecht zur eingeübten Rhetorik. Das Magazin „Spiegel“ ehrt gerade ein Buch des Ozeanforschers Anders Levermann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, in dem er „Grenzen“ für die Wirtschaft anmahnt wegen des Klimawandels. Zuvor hatte Levermann in der „Zeit“ eine Reform des Erbrechts und „Grenzen der Ungleichheit“ gefordert – wegen des Klimawandels. Interessant wäre, was Fachleute dazu sagen.