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Meinung Langsames Deutschland

Die „German Bräsigkeit“

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WELT-Kommentatorin Franziska Zimmerer WELT-Kommentatorin Franziska Zimmerer
WELT-Autorin Franziska Zimmerer
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT
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Gut organisiert, zielorientiert & schnell. So denkt das Ausland über uns, eben „German Efficiency“. Aber in Deutschland wird dann schnell klar: Alles im Alltag dauert ewig, eher „German Bräsigkeit“. Das wird vor allem beim Fachkräftemangel zum Problem.

Deutsche haben keinen Humor. Das ist ein verbreitetes Vorurteil, das viele Deutsche vehement bestreiten - leider häufig eher humorlos. Ein anderes Vorurteil, das vor allem im angelsächsischen Raum kursiert, ist die sogenannte „German Efficiency“. Also die Mär Deutsche seien verliebt in reibungslose Abläufe, deshalb effizient organisiert, zielorientiert und schnell. Das ist offensichtlich Quatsch. Denn es gibt kaum etwas, das Deutsche so gut können, wie langsam sein. Man könnte sogar von „German Bräsigkeit“ sprechen.

Fast alles in Deutschland dauert extrem lange: Das Warten an der Sicherheitsschlange des Berliner Flughafens dauert fast so lang wie sein Bau. Der Bau des Stuttgarter Bahnhofs. Corona-Lockdowns. Die Zubereitung eines Coffee-to-Go. Anstellen an der Eisdiele dauert lange, selbst dort, wo die Kugel 2,40 Euro kostet. Die Kita-Eingewöhnung. Das Verbinden mit dem Wlan-Netz der Deutschen Bahn. Die Wartezeit auf einen Facharzt-Termin. Ein neuer Reisepass. Zahlen an der Supermarkt-Kasse. Die Lösung eines einfachen Kundenanliegens in der Lufthansa-Hotline.

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Es gibt natürlich eine Ausnahme: das Finanzamt. Immer wieder berichten frisch gebackene Eltern, dass sie die Steueridentifikationsnummer ihres Säuglings noch vor der Geburtsurkunde bekommen. Aber Ausnahmen bestätigen gemeinhin die Regel.

Und die Regel lautet: In der deutschen Langsamkeit liegt die Kraft. Das glauben jene, die Corona-Lockdowns wegen der Entschleunigung feierten, weil sie endlich Zeit für ihren lang ersehnten Traum hatten – einen eigenen Sauerteig aufzusetzen. Doch nicht alle sind so scharf darauf, sich selbst abzuhängen.

Für eine aktuelle Studie der OECD, zum Beispiel, wurden knapp 30.000 Menschen befragt, die sich vorstellen konnten, als Arbeitsmigranten nach Deutschland zu kommen, ein Großteil davon Akademiker. Die Hälfte davon hatte fest vor, nach Deutschland zu ziehen und hatten teilweise schon erste Schritte unternommen. Ein halbes Jahr später wurden 10.000 dieser Menschen nochmals befragt. Nur vier Prozent gaben in dieser Runde an, in Deutschland angekommen zu sein. Einer der Hauptgründe, so schreibt die OECD, seien die langwierigen Visaverfahren.

Das deckt sich mit Daten der Bundesagentur für Arbeit. Im Schnitt dauert es ein bis drei Jahre, bis eine ausländische Fachkraft in Deutschland einen Job antritt. Das ist insbesondere erschreckend, weil die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer vor Kurzem vorrechnete, der deutsche Arbeitsmarkt brauche 1,5 Millionen Zuwanderer.

Und selbst wenn die masochistisch veranlagten Bürokratiebezwinger da sind, machen es ihnen die Deutschen nicht leicht. Insgesamt sind nur 64 Prozent der Expats hierzulande zufrieden, so der aktuelle Wert der jährlich erscheinenden Expat Insider Studie. In der Gesamtbewertung ist Deutschland damit auf Platz 49 von 53. Nur Südkorea, Türkei, Norwegen und Kuwait schneiden schlechter ab.

Besonders nervig finden die Zugezogenen übrigens, dass so wenig digital funktioniert. Und auch hier kommt die German Bräsigkeit ins Spiel. Besonders genervt sind Expat darüber, dass nicht überall Kartenzahlung möglich ist.

Kein Wunder, dass die Supermarktschlangen in vielen Ländern schon deshalb kürzer und erträglicher sind, weil es die Option des Self-Check-Outs gibt und Menschen jeglichen Alters kein grundsätzliches Misstrauen gegen das kontaktlose Bezahlen mit der Kreditkarte haben, „weil man diese Technik ja nicht sehe“.

Nur Deutsche haben eine quasi-erotische Beziehung zu ihrem Bargeld und besitzen fast athletische Ambitionen, jede rote Münze aus dem Portemonnaie zu pulen, um möglichst passend zu bezahlen. Aber Expats in Deutschland sind ebenso genervt, dass es zu lange dauert, um an schnelles und funktionstüchtiges Internet zu kommen und Behördengänge kaum online erledigt werden können.

Woran liegt das? Deutsche sind weder besonders geduldig, noch besitzen sie eine mediterrane Gelassenheit, das Leben in all seinem Müßiggang zu genießen. Genauso wenig haben sie die Disziplin der Briten, geordnet in einer Schlange stehen zu können. Warum stellen wir uns so an?

Angst vor der Zukunft ist zu groß

Wahrscheinlich ist die Liebe für Regeln, den Datenschutz-Dschungel und das „Das haben wir immer schon so gemacht“-Mantra in einem tief verwurzelten Sicherheitsbedürfnis begründet, in einer Angst. Das Risiko, der Zukunft entgegenzutreten, ist zu groß. Man könnte ja die eigenen Glaubenssätze über Bord werfen müssen.

Also hat sich dieses Land, in seinen Ämtern, Supermärkten und Hotlines für die Langsamkeit entschieden in der Hoffnung, lange genug in der Gegenwart zu verweilen, die eigentlich schon die Vergangenheit ist.

Eine weiteres Vorurteil über Deutsche ist übrigens das Meckern. Aber das sollte dem Leser spätestens am Ende dieses Artikels klar sein.

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