- Mindestens acht deutsche Kernkraftwerke könnten gerettet werden
International renommierte Kerntechnikexperten haben sich detailliert mit der Atomkraft in Deutschland beschäftigt. Ihr Ergebnis: Für eine Reaktivierung der stillgelegten Reaktoren ist es noch nicht zu spät. Größte Hürde ist der politische Wille.
Auch wenn die Ampelkoalition das Thema gerne vom Tisch hätte: Der deutsche Atomausstieg beschäftigt nach wie vor die (Fach-)Öffentlichkeit. Und das vor allem außerhalb Deutschlands. Denn in Europa kann kaum jemand nachvollziehen, weshalb die Bundesregierung trotz Energiekrise und ehrgeizigen Klimaschutzzielen am einst beschlossenen Ende der Kernkraft festhält und stattdessen lieber alte Kohlekraftwerke reaktiviert.
Das britische Beratungsunternehmen Radiant Energy Group, gegründet und geführt von dem promovierten Kerntechniker Mark Nelson, hat sich die Lage genau angesehen. Nelson sprach unter dem Siegel der Vertraulichkeit mit Vorstandsmitgliedern und leitenden Mitarbeiter von Betreibergesellschaften und Kerntechnikunternehmen in Deutschland. Er wollte herausfinden, welche technischen, rechtlichen und politischen Hürden es gibt, um die stillgelegten Atomkraftwerke wieder ans Netz zu nehmen.
AKW-Betreiber äußerten sich anonym
„Die Beteiligten machten, unter der Bedingung der Wahrung ihrer Anonymität, detaillierte Angaben zu den Herausforderungen beim Wiederanfahren der angesprochenen Kernkraftwerke“, schreiben Nelson und sein Co-Autor in ihrer frisch veröffentlichten Studie. Ihr Ergebnis ist überraschend und entlarvt die in der innerdeutschen Debatte dominierenden Verhinderungsargumente als vorgeschoben: „Die Rücknahme des deutschen Atomausstiegs wird von der Öffentlichkeit unterstützt, lohnt sich wirtschaftlich und ist technisch machbar.“
Im günstigsten Fall würden nur neun Monate benötigt, um viele der Reaktoren wieder anzufahren. „In unserem realistisch machbaren Best-Case-Szenario könnten sechs Reaktoren innerhalb von neun bis zwölf Monaten und zwei weitere Reaktoren innerhalb von zwei bis drei Jahren wieder in Betrieb genommen werden“, so die Experten.
GERMANY REACTOR NEWS: ADDITIONAL REACTORS CAN BE RESTARTED
— Mark Nelson (@energybants) July 20, 2023
Our new report's out with a shocking find:
8, not 6, reactors can be saved!
Krümmel, big enough to power a million people, still has an operating license despite closing 2011: saved by antinuclear politics, ironically pic.twitter.com/MDWPd8LDGU
Ihre Studie ist auf der Internetseite der Radiant Energy Group in Englisch veröffentlicht, eine deutsche Übersetzung gibt es als PDF zum Herunterladen.
Sogar mehr als acht Reaktoren könnten gerettet werden
Insgesamt gebe es in Deutschland mindestens acht Kernreaktoren, bei denen mit dem Rückbau entscheidender Komponenten im Reaktorgebäude noch nicht begonnen wurde. Diese Reaktoren hätten das größte Potenzial für eine Wiederinbetriebnahme, heißt es in der Studie. „Zusammen besitzen diese Reaktoren eine elektrische Nettoleistung von insgesamt 10,7 Gigawatt, das entspricht circa 30 Prozent des deutschen Mindest- beziehungsweise Grundlaststrombedarfs von 35 Gigawatt.“
Bei weiteren Reaktoren, deren Rückbau weiter fortgeschritten ist, sei eine Wiederinbetriebnahme zwar schwieriger. Die Autoren empfehlen dennoch „dringend, die weitere Zerstörung auch dieser Anlagen zu stoppen“. Denn sie blieben „gute Kandidaten für eine zukünftige Instandsetzung, sollten sich die politischen Verhältnisse in Deutschland ändern.“
In hervorragendem technischen Zustand
Die international tätigen Kerntechnikexperten loben den hervorragenden Zustand der stillgelegten deutschen Kernkraftwerke, die jünger als andere Reaktoren seien, deren Laufzeit derzeit weltweit verlängert wird. Und sie betonen: „Deutschland betrieb einst eine der größten Kernkraftwerksflotten der Welt. Das Land war auch weltweit ein führender Anbieter von Reaktoren und nuklearen Dienstleistungen.“
Bei der Lektüre der nüchtern geschriebenen Bestandsaufnahme wird klar: Das größte Hindernis einer Wiederinbetriebnahme der deutschen Kernkraftwerke ist der fehlende politische Wille. Es sind vor allem die Grünen, die sich bewegen müssten. Nach dem Vorbild ihrer Parteifreunde in Finnland, die Kernkraft aus Klimaschutzgründen befürworten.
Rückbaustopp bis zur nächsten Bundestagswahl
Doch bis auf wenige Ausnahmen – wie etwa der Grünen-„Vordenker“ Ralf Fücks, der durch den Ukrainekrieg zum Umdenken gebracht wurde und nun den deutschen Atomausstieg als nationalen Alleingang kritisiert – schafft es die angebliche Klimaschutzpartei nicht, sich von ihrer Anti-Atom-Vergangenheit zu lösen.
Deutschland allein zuhaus. Aber vermutlich sind wir schlauer als der Rest der Welt. pic.twitter.com/sVrQ5WLS8q
— Ralf Fuecks (@fuecks) July 10, 2023
Wichtig wäre daher nun ein AKW-Rückbaustopp, den der Bundestag auch ohne Grünen-Stimmen beschließen kann, damit bis zur nächsten Bundestagswahl gerettet werden kann, was noch zu retten ist.
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statt von "Kerntechnikexperten" lieber von "Kernkraftbefürwortern" oder "Kernkraftanhängern" sprechen.
Denn die Frage, ob es zu spät für die Reaktivierung von AKWs ist, setzt ja erst mal voraus, dass es überhaupt ein Interesse daran gibt.
Und den gibt es in dieser Vehmenz z.B. in der AfD und - in der Cicero-Redaktion. Dagegen sind die Appelle in der Union ja nur seichte Lüftchen.
Jetzt kann der Cicero natürlich ganze Scharen von Kernkraftbefürwortern aufmarschieren lassen - der Glaubwürdigkeit der Sache dient es kaum, wenn hier ständig der gleiche SUBJEKTIVE Standpunkt als Gipfel irgendeiner Erkenntnis in der Energiediskussion dargestellt wird.
Man muss sich doch nichts vormachen: Kernkraft ist demnächst Geschichte. Selbst nach jahrzehntelangem Betrieb hat man weder Risiken, noch Rest-Risiken, noch Entsorgung bzw. Wiederaufbereitung zufriedenstellend gesichert.
Die ganze Debatte ist schlicht rückwärtsgewandt. Wie ich schon schrieb: Sonst redet so (fast) nur die AfD.