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Panorama Polizeieinsatz in Franken

Warum demonstrieren 800 Menschen gegen einen YouTuber?

Hassdemo gegen Youtuber „DrachenLord1510“

Der Youtuber „DrachenLord1510“ provoziert auf seinem Channel seit längerem die User. In einem Post plauderte er seine Adresse aus und rund 800 Hater fielen in sein Heimatdorf ein. Die Polizei musste einschreiten.

Quelle: WELT

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Mehrere Hundert Menschen haben in einem Dorf in Franken gegen einen YouTuber namens „Drachenlord“ protestiert – trotz Versammlungsverbot. Sie waren extra aus ganz Deutschland angereist. Was war da los?

Die etwa 40 Einwohner von Altschauerberg, einem kleinen Ortsteil von Emskirchen, sind nervös: Knapp 800 junge, aufgebrachte Menschen haben sich auf den Weg in ihre beschauliche Heimat in Mittelfranken gemacht. Einer der Altschauerberger hatte Wut auf sich gezogen – im Internet.

Es ist der YouTuber, der sich „Drachenlord“ nennt und über den es seit Jahren immer wieder Streit gibt – im Netz und auch in der analogen Welt. Das zuständige Landratsamt befürchtete schwerer Straftaten und sprach ein Versammlungsverbot aus, die Polizei rückte mit mehreren Dutzend Beamten an und sprach am Ende rund 300 Platzverweise aus. Wie konnte es so weit kommen? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wer ist der „DrachenLord1510“?

Der YouTuber veröffentlicht auf seinem Kanal „DrachenLord1510“ seit mehreren Jahren Videos über sich und sein Leben. Er provoziert darin mit zum Teil extremen Ansichten. Einmal bezeichnet er etwa den Holocaust als „nice Sache“. Seine Kritiker beschimpfen ihn und machen sich in unzähligen Hasskommentaren, Videos, Liedern und sogar eigenen Videospielen unter anderem über sein Aussehen, sein Gewicht und seine Ansichten lustig. Polizeisprecher Rainer Seebauer sagt, nachdem die Ersten ihn im Netz angegriffen hätten, habe der YouTuber darauf aggressiv reagiert. So habe er immer mehr Hass auf sich gezogen.

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Blieb es bei den Kommentaren?

Nein, die Auseinandersetzung verlagerte sich in die analoge Welt. Der Mann beschäftigt die Polizei seit Jahren. Immer wieder tauchen sogenannte Hater – vom englischen Wort „hate“ für „hassen“ – in dem Ort mit nicht einmal 50 Einwohnern auf, der knapp 35 Kilometer nordwestlich von Nürnberg liegt. Sie schmieren Sprüche an Hauswände, jemand warf Steine durch Fenster am Haus des Mannes. Der YouTuber wurde auch bedroht, verletzt und beraubt. Im Jahr 2016 verurteilte das Landgericht Nürnberg einen damals 24-Jährigen zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Neben zahlreichen anderen Straftaten hatte er einen falschen Notruf abgesetzt und damit einen großen Polizei- und Feuerwehreinsatz bei dem YouTuber ausgelöst. Auch der „DrachenLord1510“ selbst wurde nach einer Prügelei angezeigt.

Was kann die Polizei tun?

Bei Ruhestörungen und Hausfriedensbruch können die Beamten tätig werden. „Oft haben wir aber keine Handhabe“, sagt Hauptkommissar Thomas Klein von der Polizei in Neustadt an der Aisch. Im Ort herumlaufen oder -fahren dürfe schließlich jeder. In den vergangenen acht bis zehn Wochen sei die Polizei „nahezu täglich“ in dem Ort gewesen – etwa, weil Anwohner sich beschwerten.

Woher wissen die Leute denn eigentlich, wo der Mann wohnt?

Der YouTuber hat seine Adresse in einem seiner Videos selbst verraten. Aus Wut auf seine Peiniger fordert er sie darin auf: „Traut euch, kommt zu mir. Ich prügel die Scheiße aus euch raus.“

Und was genau war am Montag los?

Nach anonymen Aufrufen in sozialen Medien kamen zwischen 600 und 800 Menschen in den Ort – viele waren jung, einige aber auch über 40 Jahre alt, wie Hauptkommissar Klein sagte. Rainer Kahler vom Landratsamt sagte, laut den Autokennzeichen kamen einige Beteiligte sogar aus Wien, Hamburg und Sachsen. Nach Angaben der Polizei wurde ein Beamter bespuckt und beleidigt. Einzelne Teilnehmer warfen Böller, die Feuerwehr musste einen kleinen Wiesenbrand löschen. Zudem gab es Schmierereien an einem Bushäuschen, größere Schäden blieben aber aus. Nach Platzverweisen seien die oft Betrunkenen meist gegangen. Vernünftig unterhalten können habe man sich mit ihnen nicht, sagt Kahler. „Man wird schon grölend begrüßt.“ Gegen Mitternacht sei der Spuk dann vorbei gewesen.

Erst gegen Mitternacht verzogen sich die Demonstranten
Erst gegen Mitternacht verzogen sich die Demonstranten
Quelle: dpa/David Oßwald

Was haben die Behörden gemacht?

Das Landratsamt Neustadt an der Aisch – Bad Windsheim hatte am Freitag ein Versammlungsverbot ausgesprochen, weil die Behörde Straftaten befürchtete. In den Aufrufen im Netz wurde unter anderem ein „Kampf epischen Ausmaßes“ angekündigt, ein Nutzer forderte andere sogar zum Mord am „Drachenlord“ auf. Diese Entscheidung habe man sich nicht leicht gemacht, sagt Kahler. „Wir sprechen hier schließlich vom Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Da muss man als Behörde schon sehr genau hinschauen.“

Bei der Beurteilung der Lage habe die Polizei die Behörde unterstützt. „Es war wichtig und sinnvoll, hier tätig zu werden“, sagt Kahler. „Wir haben das nicht nur für den YouTuber gemacht, sondern für die gesamten Einwohner.“ Irgendwo höre der Spaß schließlich auf. Ein Mann versuchte, mit Eilanträgen gegen das Verbot vorzugehen – vor dem Verwaltungsgericht in Ansbach und vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Beide Anträge wurden abgelehnt.

Was erwartet die Demonstranten, die gegen das Verbot verstoßen haben?

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Einige werden angezeigt. Bei Ordnungswidrigkeiten droht ihnen ein Bußgeld – laut dem bayerischen Versammlungsgesetz können das leicht mehrere Hundert Euro werden. Ein Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht kostet laut Gerichtssprecher Alexander Heinold 106,50 Euro, die der Antragsteller nun zahlen muss.

Wer hat das Ganze eigentlich initiiert?

Das Landratsamt weiß das nicht. „Die vermeintlichen Anstifter zu erwischen ist nicht einfach“, sagt Kahler. Die Polizei versucht nun, zu ermitteln, von wem der Aufruf ausging. „Es mit einem anonymen Umfeld zu tun zu haben war neu für uns“, sagt der Sprecher des Landratsamtes. Der Rechtsstaat laufe der Entwicklung im Netz hier ein wenig hinterher.

Wie kommt es überhaupt zu solchen Hassphänomenen?

Die Kommunikationswissenschaftlerin Nayla Fawzi von der Universität München sagt, der Fall des „Drachenlords“ sei ungewöhnlich. „Normalerweise legt sich so etwas nach einiger Zeit wieder. Doch dadurch, dass der Mann immer wieder neue Videos postet, hält er es selbst am Leben.“ Einige seiner Gegner nähmen viel auf sich, reisten von weit her an. Die Forscherin erklärt es so: Der YouTuber provoziere mit extremen Ansichten, und einige Gegner rechtfertigten sich damit, ihn „in die Schranken weisen“ zu wollen – was im Zweifel Selbstjustiz und somit verboten wäre.

Es gebe hier ein „gegenseitiges Hochschaukeln“ beider Seiten. Die „Hater“ befänden sich in einer Blase von Menschen, die ähnlich denken wie sie. „Alle anderen um sie herum ‚haten‘ auch – somit fühlen sie sich darin bestätigt, dass es okay ist, sich so zu äußern.“ So entwickle sich eine eigene Dynamik, und die Hemmschwelle sinke.

Und warum hört der „Drachenlord“ nicht mit seinen Videos auf?

Selbst äußert sich der Franke dazu nicht. Auf telefonische und schriftliche Anfragen reagiert er nicht. Ursprüngliches Ziel des YouTubers war es, mit seinen Videos Geld zu verdienen. Und solange er sich nicht strafbar macht, kann ihm die Videos auch niemand verbieten. „Er gibt nicht auf“, sagt Seebauer. So bringe er aber auch immer mehr Leute gegen sich auf.

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Und wie geht es den Nachbarn des Mannes mit der Situation?

Viele sind inzwischen völlig genervt. Der Bürgermeister von Emskirchen, Harald Kempe, will sich dazu gar nicht mehr äußern. Landrat Helmut Weiß zeigt sich „bestürzt und fassungslos“. Eine Bewohnerin sagt: „Es wird ein immer größerer Hype.“ Dabei sei die Situation für den kleinen Ort sehr schwierig. Sie fragt: „Wie kann man das nur stoppen?“

Und nun?

Das Ganze könnte zum Politikum werden. Der SPD-Landtagsabgeordnete Harry Scheuenstuhl aus dem örtlichen Stimmkreis schrieb einen Brief an Innenminister Joachim Herrmann (CSU): „Ein ganzer Ort, so ist dies den aktuellen Schilderungen der Anwohner zu entnehmen, wird zur Geisel einiger weniger.“ Die massive Belastung der Bürger wie auch der Einsatzkräfte müsse ein Ende haben. „Ich bitte Sie, Herr Minister Herrmann, hier unbedingt sofort tätig zu werden.“

dpa/gs