Seit der Silvesternacht liegt den 27 Mitgliedsländern der Vorschlag der EU-Kommission vor, Atomkraft und Gaskraftwerke als nachhaltig zu klassifizieren und damit private Geldgeber zu Investitionen in entsprechende Anlagen zu ermuntern.
Seit dieser Nacht ringt die Ampel-Koalition nun darum, wie sie auf diesen Entwurf reagieren soll. Annehmen? Dagegenstimmen? Klagen oder nachverhandeln? Geschlossenheit sieht anders aus. Die Dreier-Koalition muss die erste Bewährungsprobe ihrer Belastbarkeit bestehen.
Für die Union wäre das die Gelegenheit, die Regierung zu stellen. Die Ampel zu befragen, wie nachhaltig und klimaneutral ihre Energiepolitik denn nun tatsächlich ist. Sie könnte darüber hinaus die Grünen vorführen und ihre eigene Haltung zum Thema Kernkraft klarstellen. Doch es hat den Anschein, als gibt es eine Haltung gar nicht. In der CDU herrscht fast nur Schweigen.
WELT-Anfragen bei Bundestagsabgeordneten, ob es sinnvoll sei, wie im Entwurf der EU-Kommission Kern- und Gaskraftwerke als nachhaltig zu adeln, werden nicht beantwortet. Oder ausweichend. Eine „fraktionsinterne Abstimmung war heute leider nicht möglich“, antwortete ein CDU-Abgeordneter am 2. Januar.
Diese Abstimmung ist offenbar selbst drei Tage später nicht möglich. Zwar hatten sich einige Fraktionsmitglieder nach der Anfrage am Tag nach Neujahr in einer Telefonkonferenz zusammengeschaltet und beraten. Allerdings mit dem Ergebnis, sich besser nicht zu äußern.
Union sagt allenfalls, was sie nicht will
Ein offizielles Statement, wie die Union als größte Oppositionskraft zu dem Vorschlag der EU-Kommission steht, gibt es bis heute nicht. Die CDU, deren Kanzlerin 2011 den endgültigen Atomausstieg beschlossen hatte, ist 2022 beim Thema Atomkraft weitgehend sprachlos.
Am Wochenende sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion im Bundestag, Julia Klöckner (CDU), WELT: „Die Entscheidungen zum Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland stehen. Sie sind nach wie vor getragen von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine kernenergiefreundliche Entscheidung der EU-Kommission zur Taxonomie daran etwas ändert.“
Gleichwohl, so Klöckner, sei aber die Forschung zur Kernenergie weiterhin notwendig. Zudem forderte sie von der Bundesregierung, den Energiepreisanstieg zu bekämpfen. In Klöckners Statement kommt eher Unsicherheit zum Ausdruck als eine klare Haltung.
Was sie will, sagt die Union nicht. Allenfalls, was sie nicht will. Zumindest ein bisschen.
So sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt: „Raus aus der Kernenergie, raus aus der Kohle, weg vom Gas, das kann sicher nicht für alle EU-Länder gleichzeitig funktionieren und übrigens auch nicht für Deutschland.“ Immer nur aussteigen werde nicht reichen, sagte nach Weihnachten auch der künftige Parteichef der CDU, Friedrich Merz. Der war auch schon mal konkreter.
Viele Parteigänger, die mit dem Ausstiegsbeschluss aus der Kernenergie von 2011 so etwas wie die Aufgabe eines Kronguts der Partei verbinden, sehen in Merz einen Hoffnungsträger. Im Wahlkampf fasste er zusammen: „Große Teile meiner Partei bereuen es heute, dass sie sich von einer Anti-Atomkraft-Bewegung zu einem viel zu frühen Ausstieg aus der Kernenergie haben drängen lassen.“
Das wurde Merz als Plädoyer für die Kernenergie ausgelegt. Im März 2020 machte er sich auch für eine Erfindung stark, einen sogenannten Dual-Fluid-Reaktor, der abgebrannte Brennstäbe wiederverwenden könne. Reif ist die Technik aber noch lange nicht.
„Es gibt erste Risse in der Ampel“
Die EU will Gas- und Atomkraft als „grün“ einstufen. In der Bundesregierung sorgt das für erste Risse, sagt WELT-Autor Nikolaus Doll. Einer Klage werde aber wenig Chancen auf Erfolg haben.
Quelle: WELT / Carsten Hädler
Auch Noch-CDU-Chef Armin Laschet machte die Kernenergie auf Umwegen zum Wahlkampfthema, indem er die Klimaschützer kritisierte, sich mit dem Ausstieg aus der Kernkraft von einer klimafreundlichen Energie verabschiedet, aber dafür länger an Kohleverstromung festgehalten zu haben. Laschet nannte das „die falsche Reihenfolge“. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und andere CDU-Landespolitiker erklärten gar, sie hielten einen Wiedereinstieg in die Atomkraft für denkbar. Anfang 2020 kursierte ein Positionspapier, in dem eine Prüfung eines solchen Wiedereinstiegs angeregt wurde.
„Kardinalfehler von Merz“
In Anbetracht dieser Äußerungen überrascht eigentlich die aktuelle Sprachlosigkeit. Doch es ist eben einen Unterschied, ob man den Wiedereinstieg in die Kernenergie fordert oder im Wahlkampf mit diffusen Äußerungen die Seele der gepeinigten Kernkraft-Fans in der Partei streichelt. Die hörten, was sie hören wollten. Die übrigen hörten weg.
Es gibt natürlich auch in der Union nicht nur das Pro-Atom-Lager. Es gibt auch jene, die den gesellschaftlichen Konflikt nicht noch mal aufmachen wollen und die in der Technik Teufelszeug sehen. Die Lager von Befürwortern und Kritikern seien in etwa gleich stark, glaubt ein CDU-Spitzenmann, der Merz für seine bisherigen Einlassungen auch kritisiert: „Es war einer der Kardinalfehler von Merz, sich im Wahlkampf für Atomkraft auszusprechen, das hat uns viele Stimmen im bürgerlichen aber Kernkraft-kritischen Lager gekostet.“
Sich jetzt auf eine aktuelle Position zur Kernkraft festlegen zu müssen, könnte eine Spaltung der CDU sichtbar machen und vertiefen. Zwei Wochen vor dem Parteitag, auf dem Merz bestätigt werden soll, das deutlich zu machen, wäre für die noch immer gebeutelte CDU nun wirklich ein Desaster.
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