Auf den Terroranschlag folgt EU-Verschlüsselungsverbot
Von Erich Moechel
Der Terroranschlag in Wien wird im EU-Ministerrat dazu benützt, um ein Verbot sicherer Verschlüsselung für Services wie WhatsApp, Signal und viele andere im Schnellsiedeverfahren durchzusetzen. Das geht aus einem mit 6. November datierten internen Dokument der deutschen Ratspräsidentschaft an die Delegationen der Mitgliedsstaaten im Rat hervor, das ORF.at vorliegt.
Das sollte nun unter den „weiteren Schritten gegen den Terrorismus“ zu verstehen sein, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Rahmen einer Videokonferenz zu Wochenbeginn besprechen will. Der Beschluss ist bereits so weit akkordiert, dass er in der Videotagung der Innen- und Justizminister Anfang Dezember ohne weitere Diskussion verabschiedet werden kann.
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In Brüssel laufen derzeit die finalen Trilog-Verhandlungen zur Verordnung gegen Terrorismus. Knackpunkt dabei sind die geplanten Upload-Filter für einschlägige Videos.
Analogien zur Vorratsdatenspeicherung
Aus dem ursprünglich für Anfang kommender Woche geplanten Besuch Macrons wurde pandemiebedingt eine Videokonferenz „zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus“. Weiters steht ein Besuch des EU-Ratspräsidenten Charles Michel in Wien für Montag an, der ebenfalls mit Bundeskanzler Kurz Gespräche führen wird. Zudem empfängt Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) den französischen Europastaatssekretär Clement Beaune im Bundeskanzleramt. Alleine um Kondolenzbezeugungen geht es dabei natürlich nicht.
Mittlerweile wird zwar immer klarer, dass offenbar haarsträubende Ermittlungsfehler im BVT den Anschlag erst ermöglicht hatten und nicht fehlende digitale Überwachungsbefugnisse. Ob irgendein solcher Zusammenhang zur Tat besteht, ist allerdings unerheblich. In Brüssel wird so ein Anlass seit 25 Jahren mit schnöder Regelmäßigkeit dafür missbraucht, längst geplante Überwachungsvorhaben durchzusetzen. Auf diese Weise wurde die fünf Jahre lang in der EU umstrittene Vorratsdatenspeicherung nach den Zugsanschlägen in Madrid (2004) und London durch Islamisten (2005) durch den Ministerrat und das Parlament geschleust.
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Verabschiedung ohne weitere Diskussionen
Diese Resolution des Ministerrats ist laut Dokument - da wird um allfällige letzte Einwände gebeten - nicht nur fast fertig ausformuliert. Sie ist im Rat offenbar auch bereits fertig abgestimmt. Am 19. November soll sie dann in der Ratsarbeitsgruppe zur Kooperation im nationalen Sicherheitsbereich (COSI) verabschiedet werden, am 25. ist die Vorlage im Rat der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten (COREPER) geplant. Dort hat der Ratsresolution bereits den Status eines I-Items, damit kann er ohne weitere Diskussion heuer noch verabschiedet werden. In einer für Anfang Dezember geplanten virtuellen Sitzung des Rats der Innen- und Justizminister soll die Resolution dann offiziell werden.
Update 2020 11 10
Da das davor gewählte Vergleichsbeispiel (Regelung zur Telekomüberwachung 1995) missverständlich war, wurde es durch zwei wesentlich aktuellere Gesetzgebungsprozesse, Anti-Terror-Regulation (gerade aktuell) und Vorratsdatenspeicherung (2006) ersetzt. Desgleichen wurde der Gesetzesgebungsprozess etwas detaillierter beschrieben.
Was folgen wird, ist abzusehen, der nächstbeste Terroranschlag in Europa wird nämlich eine weitere Resolution des Rats zur Folge haben. Meistens folgen dem öffentliche Konsultationen der Kommission und Ministertagungen zum Thema und dann passiert ein neuer, großer Anschlag wie sie seit 2000 in übler Regelmäßigkeit passieren. Dann geht es ganz schnell, denn der Ministerrat kann schon auf zwei existierende Resolutionen, die keine Folgen hatten, verweisen und erklären, dass nun gehandelt werden müsse.
Es folgt ein Auftrag des Ministerrats an die EU-Kommission, einen Entwurf für eine Verordnung zu erstellen, die dann das übliche Prozedere durch Parlament und Rat durchlaufen wird. Nach dieser Blaupause wurde die Vorratsdatenspeicherung (2006) nach den Anschlägen in London und Madrid gegen großen Widerstand im Parlament zur Richtlinie. Die Regulation zur Bekämpfung des Terrorismus mit , die aktuell in ihrer Finalisierungsphase ist, wurde direkt nach den Terroranschlägen in Paris gestartet, als Beschleuniger wirkte der Terroranschlag in Berlin vor Weihnachten 2016.
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Treibende Kräfte im Hintergrund
Die Vorstellung der „moderaten Vorschläge“ des GCHQ für Nachschlüssel Ende 2018 war noch auf heftige Kritik gestoßen.
Frankreich treibt das ursprünglich von Großbritannien angestoßene Vorgehen gegen sichere Verschlüsselung auf Plattformen wie WhatsApp bereits das ganze Jahr auf EU-Ebene voran. Der Boden dafür wurde seit 2015 in einer ganze Serie von Kampagnen vorbereitet, die abwechselnd von Europol und FBI bzw. den Diensten der „Five Eyes“-Spionageallianz samt den dafür zuständigen Ministern gefahren wurden. Erst Anfang Oktober hatten die Innenminister dieser fünf Staaten - Großbritannien, USA, Australien, Neuseeland und Kanada - die Internetkonzerne erneut aufgefordert, ihre IT-Netze mit Hintertüren für die Strafverfolger auszustatten.
Sekundiert wurden sie dabei von ihren Amtskollegen in Japan und in Indien. Warum sich die Geheimdienstallianz so auffällig um die bedauernswerten Strafverfolger jahrelang öffentlich gesorgt hat, ist eigentlich selbsterklärend. Sie sind die übrigen „competent authorities“ die ebenfalls Zugang erhalten werden.
„Competent authorities“ lassen grüßen
Laut weiteren Informationen, die ORF.at vorliegen, soll die Überwachungsmethode „Exceptional Access“ gewählt werden, das geht indirekt bereits aus diesem nicht technischen Resolutionstext hervor. Unter acht möglichen Modellvorschlägen, die allesamt aus technischen Szenarien verschiedener Geheimdienste stammen, wurde jener aus dem britischen „National Cyber Security Center“ (NCSC) ausgewählt. Das NCSC ist eine Abteilung des britischen Militärgeheimdienstes GCHQ. Plattformbetreiber wie WhatsApp, Signal und Co, die alle E2E-Verschlüsselung benützen, sollen verpflichtet werden, zusätzlich Generalschlüssel anzulegen und diese zu hinterlegen.
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Das nämlich sind die „competent authorities“: GCHQ, DGSE, BND usw., deren Staubsaugermethoden an den Glasfasern wegen zunehmender Transportverschlüsselung immer weniger verarbeitbare Daten einbringen. Um diese drohende Datenarmut abzuwenden, wurden jetzt Generalschlüssel verlangt - und wie es aussieht, wird das im Rat auch bewilligt. Dann kann das BVT, das es nicht einmal schafft, einen Terroristen auszuschalten, der von zwei anderen Diensten zweimal auf dem Silbertablett serviert wird, künftig auch in Chatverläufen wochenlang nicht ermitteln.
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Publiziert am 08.11.2020