An der Ecke Birkenstraße und Bremer Straße in Berlin Moabit bleiben Passantinnen und Passanten derzeit oft länger stehen, um eine Ende September 2020 aufgestellte Bronzestatue zu betrachten: Ein Mädchen in einem traditionellen koreanischen Hanbok sitzt auf einem Stuhl, den Blick gelassen nach vorne gerichtet. Lediglich die Hände in ihrem Schoß sind zu Fäusten geballt. Neben ihr steht ein weiterer Stuhl. Er ist leer und lädt dazu ein, neben ihr Platz zu nehmen. Bereits drei Tage nach ihrer Enthüllung, am 1. Oktober, forderte der japanische Außenminister Toshimitsu Motegi im Gespräch mit seinem Amtskollegen Heiko Maas jedoch, die „Friedensstatue“ wieder abzubauen. Inzwischen hat das Bezirksamt Mitte auf Drängen der japanischen Botschaft die Genehmigung widerrufen und verlangt die Entfernung der Statue.
Die Bronze des südkoreanischen Künstlerpaars Kim Seo-Kyung und Kim Eun-Sung erinnert an Zehntausende Frauen und Mädchen aus 14 Ländern, die während des Asien-Pazifik-Kriegs (1931-1945) von japanischen Militärs und ihren Kollaborateuren mit falschen Versprechungen, durch Nötigung und Zwang rekrutiert, vergewaltigt und sexuell versklavt wurden. Ein Großteil von ihnen kam aus der damaligen japanischen Kolonie Korea. Jugun ianfu nannte man sie, „Trostfrauen der Armee“ – ein Euphemismus: Die Militärführer bedienten sich ihrer, um den Soldaten eine Auszeit vom Kriegsgeschehen, Trost und sexuelle Befriedigung zu verschaffen und so ihre Kampfkraft zu erhöhen. Für die Frauen aber bedeutete dieser Zugriff Vergewaltigung und Versklavung, vielfache körperliche und seelische Verletzungen. Für diejenigen, die überlebten, war es nach dem Ende des Kriegs 1945 unmöglich, ein normales Leben zu führen.
Jahrzehntelanges Schweigen
Mitte des 20. Jahrhunderts hatten die Frauen keine Räume, um über ihr Schicksal zu sprechen. Sexuelle Gewalt galt als vielleicht nicht schöne, aber unvermeidliche und letztlich natürliche Begleiterscheinung von Kriegen. Darauf deuten auch die Nachkriegsprozesse in Japan und Deutschland hin, bei denen es kaum um sexuelle Gewalt ging. Beim Internationalen Militärtribunal in Tokio (IMTFE, 1946-1948) hatte man Vergewaltigung zwar als Kriegsverbrechen kodifiziert, das System der „Trostfrauen“ wurde aber nicht genauer untersucht. Lediglich in zwei Nachfolgeprozessen in der ehemaligen niederländischen Kolonie Indonesien wurden neun japanische Soldaten und ein Barbetreiber für Vergewaltigung und Zwangsprostitution verurteilt. Dazu wurden die betroffenen Frauen jedoch nicht einmal befragt. Verhandelt wurden auch nur 35 der etwa ein- bis zweihundert Fälle weißer Niederländerinnen, obgleich auch mehrere tausend Indonesierinnen vergewaltigt und sexuell versklavt worden waren. Hier offenbart sich, dass es vor allem machtpolitische Interessen waren, die zu den Verurteilungen führten. In Bezug auf sexuelle Gewalt gab es nur wenig Unrechtsbewusstsein. Nicht zuletzt verübten auch Soldaten der alliierten Armeen am Kriegsende und in den Nachkriegsjahren sexuelle Gewalttaten – in Asien wie in Europa.
Erst kurz nach dem Ende des Kalten Kriegs, am 14. August 1991, sprach die damals 67-jährge Südkoreanerin Kim Hak-Sun als erste Überlebende öffentlich über ihr Schicksal. Ihrem Beispiel folgten hunderte Frauen, man könnte von einer Art #MeToo-Bewegung zum Asien-Pazifik Krieg sprechen. Japanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler recherchierten daraufhin in Archiven und fanden historische Dokumente, die den Aufbau von „Troststationen“ für japanische Soldaten ebenso belegen wie die Mit-Verantwortung der japanischen Armee. Nataly Jung-Hwa Han, Vorsitzende des Koreaverbands, der die Aufstellung der Bronze federführend organisiert hat, betont: „Die Statue würdigt den Mut der Überlebenden, ihr Schweigen zu brechen. Und sie setzt sich gegen sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten weltweit ein.“Die 93-jährige Überlebende Lee Yong-Su, die wegen COVID19 nicht zur Enthüllungszeremonie nach Berlin kommen konnte, übermittelte ihr Anliegen per Videobotschaft: „Die Friedensstatue steht für unser Leben und unsere Trauer. Als Zeitzeugin dieser Geschichte danke ich Ihnen aus tiefstem Herzen. Ich möchte Sie bitten, dass Sie sich um die Statue kümmern. Wir bitten Sie auch, nach Lösungen zu suchen, damit unsere Forderungen Gehör finden.“ Eine erste Fassung der Bronze ist am 14. Dezember 2011, bei der 1000ten „Mittwochsdemonstration“, vor der japanischen Botschaft in Seoul aufgestellt worden. Seit 1992 protestieren die Überlebenden und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer einmal wöchentlich, am 7. Oktober 2020 zum 1460sten Mal. Nur wenige der Zeitzeuginnen sind noch am Leben, aber die Demonstrationen gehen weiter. Die Forderungen lauten: Anerkennung des „Trostfrauen“-Systems als Verbrechen, eine angemessene Entschuldigung bei den Frauen durch den japanischen Premierminister sowie die Aufklärung und Weitergabe dieser Ereignisse in Geschichtsbüchern und durch Denkmäler.
Umkämpfte Erinnerungen
Doch Japan ist nicht bereit, die historische Verantwortung anzuerkennen. In der so genannten „Kono-Erklärung“, der Rede des damaligen japanischen Chefkabinettsekretärs Yohei Kono, hatte die japanische Regierung am 4. August 1993 zwar zunächst eingeräumt, dass Frauen und Mädchen „gegen ihren Willen, durch falsche Versprechungen oder Nötigung“ angeworben worden waren, und „Reue“ zum Ausdruck gebracht. Eine Anerkennung der Betroffenen als Opfer von Kriegsverbrechen, eine angemessene Entschuldigung und Entschädigungszahlungen lehnte Japan jedoch ab. Nach der Regierungsbildung 2012 bestritten der neue Premierminister Shinzo Abe und seine Partei sogar die in der Kono-Erklärung bereits anerkannten Fakten und kündigten an, sie widerrufen zu lassen. Lediglich auf Druck aus Washington verzichtete Abe auf diesen Schritt.
Zuletzt versuchte die Abe-Regierung das Thema 2015 mit einer unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelten „Einigung“ mit der damaligen südkoreanischen Regierung zu beenden. Dieser Deal beinhaltete eine unspezifische Entschuldigung Abes (die es aber vermied, die Verantwortlichkeit Japans anzuerkennen) und eine einmalige Zahlung „für die Wiederherstellung der Ehre und Würde und die Heilung der psychischen Wunden aller ehemaligen Trostfrauen“ (die die Betroffenen als bemitleidenswerte alte Frauen darstellte, nicht als Opfer von Verbrechen, die schweres Unrecht erlitten haben). Im Gegenzug erklärte Südkorea sich bereit, in Zukunft auf internationalem Terrain „davon abzusehen, Japan anzuklagen oder zu kritisieren“ und die Entfernung der bronzenen Mädchenstatue vor der japanischen Botschaft in Seoul zu erwirken.
Als Ausdruck ihres Protests setzen sich Frauen- und Menschenrechtsgruppen seitdem weltweit für die Aufstellung dieser Statue sowie anderer Denkmäler ein und lösen damit regelmäßig diplomatische Interventionen der japanischen Regierung aus. Das scheint sich auch mit dem neuen japanischen Premierminister Yoshihide Suga nicht zu ändern. „Japan möchte die transnationale Bürger*innenbewegung zum Schweigen bringen, aber wir gehen nicht weg“, kommentiert Nataly Jung-Hwa Han.
Tatsächlich behandelt Japan das Thema als bilaterales Problem mit Südkorea, dabei kommen die Opfer aus allen japanisch besetzten Ländern. Und genau das ist auch die Stärke der Bronzefigur: Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die historische Kontinuität sexueller Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten. Sie erhebt Einspruch gegen Vergewaltigung und sexuelle Versklavung immer und überall – nicht aggressiv, nicht mit erhobener Faust oder einer Fahne, einer Flamme oder einer Waffe in der Hand. Sie erhebt Einspruch durch Präsenz und Beharrlichkeit – und eben darin liegt ihre Kraft.
Es ist insofern nur folgerichtig, dass der Politologe Kien Nghi Ha bei der Enthüllungszeremonie in Berlin auch über sexuelle Gewalt durch koreanische Soldaten im Vietnamkrieg sprach; betroffene Vietnamesinnen kämpfen heute für eine Entschuldigung und Entschädigung durch die südkoreanische Regierung. Folgerichtig war zudem, dass viele der Rednerinnen an diesem Tag, wie etwa Sara Fremberg von Medica Mondiale, ähnliche deutsche Gewaltverbrechen im Zweiten Weltkrieg thematisierten. Deutlich wird, dass es auch hierzulande notwendig ist, sich mit der Aussage der Statue auseinanderzusetzen.
Sexuelle Gewalt deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg
Denn deutsche Soldaten verübten während des Zweiten Weltkriegs in den vom Deutschen Reich besetzten Ländern sexuelle Folter und Vergewaltigung. Anhand von Militärdokumenten sowie persönlichen Berichten und Interviews haben Forscherinnen und Forscher in den letzten 25 Jahren gezeigt, dass sexuelle Gewaltverbrechen durch deutsche Truppenangehörige ein weit verbreitetes Phänomen waren. Um die Kampfkraft der Männer zu erhöhen, sich ihre Loyalität zu sichern und sexuell übertragbare Krankheiten einzudämmen, organisierte die Wehrmachtsspitze Militärbordelle – in Frankreich und den Niederlanden ebenso wie in der Sowjetunion. Die Frauen in diesen Bordellen wurden nicht selten sexuell versklavt. Unabhängig von ihrer jeweiligen Situation erlebten sie alle Gewalt durch vom Krieg brutalisierte Soldaten.
In KZ-Gedenkstätten ist das Thema ebenfalls gewärtig. Im KZ Ravensbrück wurden Frauen für den Dienst in Bordellen in zehn anderen Konzentrationslagern rekrutiert – nicht in Bordellen für Soldaten, sondern für männliche Häftlinge. Den „fleißig arbeitenden Gefangenen“ sollten als Leistungsanreiz „Weiber in Bordellen zugeführt“ werden, so der Plan von Reichsführer SS Himmler aus dem Jahr 1942. Diese Idee beruhte auf der Vorstellung, dass sich mit Hilfe eines Prämiensystems, das neben Hafterleichterungen auch den Bordellbesuch einschloss, der Leistungswille männlicher Häftlinge im Rahmen der Zwangsarbeit noch steigern ließe.
Die betroffenen Frauen haben nur selten zu einer Sprache finden können. In den besetzten Ländern mussten sie befürchten, als Kollaborateurinnen gebrandmarkt zu werden, und auch weiblichen KZ-Häftlingen wurde nach Kriegsende eine Mitschuld unterstellt. Die Berichte, die ehemalige männliche KZ-Gefangene nach ihrer Befreiung verfassten, zeigen, dass sie die Frauen als „asozial“ stigmatisierten und die gewaltsam erzwungene Sexarbeit nicht als Zwangsarbeit anerkannten.
Dem gegenüber stellte die kürzlich verstorbene Literaturprofessorin und Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger in ihrer Rede zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2016 im Deutschen Bundestag klar: „Das ist nicht eine ‚Arbeit’, die man sich freiwillig aussucht, wie den missbrauchten Frauen nach dem Krieg manchmal zynisch vorgeworfen wurde. Die Prostituierten wurden später auch nicht als Zwangsarbeiter eingestuft, und die Überlebenden hatten keinen Anspruch auf Restitution – die sogenannte Wiedergutmachung – oder erhoben keinen solchen Anspruch. Noch weniger ihre Familien, die sich ihrer schämten. Der Respekt, den man den Überlebenden der Lager entgegenbrachte, wenn nicht immer, so doch oft, galt für sie nicht.“
„Les oubliées“
Diese Sicht auf die Geschichte begann sich erst zu ändern, als die Überlebenden der „Troststationen“ in Asien in den 1990er-Jahren den Mut fanden, mit ihren Erzählungen und ihren Gesichtern an die Öffentlichkeit zu gehen. Durch sie wurden Vergewaltigung und sexuelle Versklavung als kollektive Erfahrung und systematisches Kriegsverbrechen sichtbar. Diese Entwicklung ist auch ein Verdienst von Frauen- und Menschenrechtsgruppen, die auf internationaler Ebene die Aufmerksamkeit für sexuelle Gewalt in aktuellen Kriegen schärfen wollten. Im Zuge dessen gerieten auch sexuelle Gewaltverbrechen deutscher Soldaten und die Zwangsprostitution in den Konzentrationslagern in den Blick. 2017 wurde temporär eine Miniatur der koreanischen Friedensstatue in der Gedenkstätte Ravensbrück gezeigt. Heute informiert die Gedenkstätte Ravensbrück in ihrer Hauptausstellung über das Thema; die Enthüllung eines Gedenkzeichens ist für 2021 geplant.
Auch ein aktuelles Beispiel aus der Gedenkstätte Sachsenhausen zeigt, dass das Thema mittlerweile in der Erinnerungskultur angekommen ist. Im Rahmen des Projekts „Young Interventions“, einem internationalen „work and study camp“, hat eine 20jährige Studierende aus Frankreich zwei lebensgroße weibliche Silhouetten geschaffen, die sie auf dem Grundriss des ehemaligen Lagerbordells errichtet und mit den Worten „Les oubliées“ – „Die Vergessenen“ – beschriftet hat. Auch wenn es sich dabei wohl nur um eine temporäre Installation handelt, so wird doch eines deutlich: Die Friedensstatue ist auch in Deutschland nicht allein. Es sind ihr noch viele weitere Schwestern zu wünschen.
Das gesellschaftliche Bewusstsein darüber, dass es sich bei sexueller Gewalt um ein Verbrechen handelt, scheint in den letzten Jahren gewachsen zu sein. Das Thema beansprucht zunehmend öffentlichen Raum. Künstlerische Praktiken können zwischen Historischem und Ästhetischem vermitteln, sie können abstraktes Wissen in ein Konkretes verwandeln. Eben das leistet die Friedensstatue in Berlin Moabit, einem Kiez, dessen Bewohnerinnen und Bewohner die Sitzende inzwischen mit Blumen ehren. Ein öffentlicher Gedenkort ist entstanden, der zu Austausch und Gespräch einlädt.
Politischer Druck
Bei der Zeremonie zur Enthüllung der Statue würdigte die Fachbereichsleiterin für Kunst, Kultur und Geschichte des Bezirks Berlin Mitte, Ute Müller-Tischler, eindrücklich die Botschaft der Mädchenbronze: „Ich bin froh, dass mit der Friedensstatue hier in Berlin-Moabit zu diesem Thema Aufmerksamkeit geweckt werden kann. Denn, machen wir uns nichts vor, hier ist der Anlass die Zwangsprostitution koreanischer Frauen und Mädchen, aber die Entwürdigung, die Vernichtung und Verschleppung und Vergewaltigung ist Strategie in fast jedem Krieg. Bis heute. Für mich steht diese Figur für alle Frauen, die in Kriegen verdinglicht werden und als Kriegsmaterial ihrer Menschlichkeit beraubt, physisch und psychisch zerstört wurden. Für diese Frauen bricht diese Figur das Schweigen und fordert Anerkennung.“ Dass das Bezirksamt Berlin dem Druck aus Tokio nachgibt und wenige Tage später bereits den Abbau der Statue verlangt, offenbart, wie umkämpft und fragil der Umgang mit diesem Thema auch in Deutschland nach wie vor ist.
Außenminister Heiko Maaß hat die Verhinderung sexueller Gewalt in kriegerischen Konflikten 2019, im Rahmen des deutschen Vorsitzes im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, als zentrales Anliegen deutscher Politik bezeichnet. Am 23. April 2019 verabschiedete der Rat die von Deutschland eingebrachte UN-Resolution 2467, die sexuelle Gewalt in Konflikten bekämpfen und Opfer stärken soll. Wie ernst es der deutschen Regierung mit ihrer Bereitschaft ist, den Opfern dieser Form von Gewalt gerecht zu werden, wird sich auch daran bemessen lassen, wie sie auf die japanische Einlassung reagiert.
Das Bündnis für die Friedensstatue in Deutschland hat derweil angekündigt, gegen den Beschluss des Bezirksamts Mitte aktiv zu werden. Die Statue soll bleiben. Und ein Zeichen setzen gegen sexuelle Gewalt in kriegerischen Konflikten, immer und überall.