(Gegenwind 328, Januar 2016)
Holger Strohm wohnt in Mölln. Von dort oder aus seinem zehnjährigen Exil in Portugal, stritt er viele Jahrzehnte gegen die Atomkraft, früh auch gegen Gentechnik oder für sanftere Erziehungsmethoden und Schulen. Sein bekanntes Buch „Friedlich in die Katastrophe” gehörte zu den ersten Werken mit einer systematischen Kritik an der verantwortungslosen Atomtechnik. Statt ideologischer Ausrichtung dominierten damals Zahlen und Tabellen. Heute ist das anders. Strohms Gedankenwelt mutierte Schritt für Schritt zu einer inzwischen stramm rechten Orientierung mit Vorliebe für jede ihm begegnende Verschwörungstheorie. Das wurde 2012 in der späten Verfilmung des einstigen Buchklassikers erstmals deutlich - und steigerte sich bis heute immer zu einem Gemisch an Asylhetze, Holocaustleugnung, Deutschtümelei und USA-Verteufelung.
Holger Strohms Biographie und seinen Weg vom Anti-Atom-Aktivisten zu rechtsextremen Weltsichten genauer zu betrachten, hilft, die sich ausbreitenden Vorlieben für einfache politische Losungen zu verstehen. Denn sein Beispiel steht für viele. Ob von rechts bei Pediga & Co., gegen verzweifelt flüchtende Menschen oder die vermeintlich Unterdrückung deutscher Interessen in der Welt mobilisiert wird, oder ob aus dem Bürger_innentum und von links zum Protest gegen TTIP oder Gentechnik aufgerufen wird - überall entfalten platte Vereinfachungen die Hauptzugkraft. Spitzenreiter sind Feindbilder, die als Personifizierung des Bösen oder Bedrohlichen dienen, verpackt in populistische Positionen und Parolen: Flüchtlinge wollen danach nur die Errungenschaften deutscher Fleißigkeit abgreifen, Islam-Gläubige die abendländische Kultur zerstören, Zionisten Deutschland abstrafen und die Amis das Land knechten oder zumindest mit ihrer Kultur zersetzen. Manch ganz Geschichtsvergessene bemühen wieder (oder immer noch?) die Juden als Feindbild. All diesen vorzuwerfen, sie seien Nazis, trifft den Zeitgeist vereinfachter Welterklärung allerdings nicht mehr, sondern schafft selbst eine Schablone mit einfachem Feindbild. Denn faschistische Organisationen nutzen zwar den Hype platter Welterklärungen für ihre Zwecke und sammeln willige Mitläufer_innen. Doch bei den meisten, die auf ihren Demos Nichtdeutsche, die Lügenpresse oder US-amerikanische Politiken beschimpfen, fehlt nicht nur die faschistische Gesinnung, sondern meist überhaupt eine politische Analyse. Der Hang zu einfachen Gut-Böse-Schemata folgt gerade aus dem Unwillen, näher hineinzuhorchen in politische Sphären. Irgendetwas läuft nicht rund - da kommt ein einfaches Feindbild gerade recht. Mensch kann sich auf der Seite der Guten und Unschuldigen wähnen - eine komfortable Position, in der die eigene Verstrickung in die Verhältnisse ebenso vergessen wie eigenes Handeln mit ruhigem Gewissen unterlassen werden kann.
All das zeigt der aktuelle Film „Empörung und Verschwörung” an einem konkreten Beispiel. Er stammt aus dem Filmstudio der Projektwerkstatt und porträtiert den ehemaligen Anti-Atom-Aktivisten Holger Strohm auf seinem Weg nach rechts. Der unfreiwillige Hauptdarsteller kommt in Interviews und aufgezeichneten Vorträgen überwiegend selbst zu Wort, andere Sequenzen stammen aus seinen Schriften und Filmen. Sie zeigen, wie die Angst vor dem menschengemachten Untergang der belebten Welt Strohm zu Verzweiflung und dann Verschwörungstheorien, primitiven Feindbildern und plattester Hetze treibt. Statt Systemanalyse, z.B. der Beschäftigung mit den Antriebskräften des Kapitalismus und anderen Herrschaftssystemen, witterte Holger Strohm - religiösen Fanatikern gleich - das Böse am Werk. Das sind für ihn vor allem die USA, die Deutschland besetzt halten und zur Kolonie machen würden. Sie werden wiederum von Strippenzieher_innen im Hintergrund gesteuert. In hoher Beliebigkeit schlägt Strohm mal die Bilderberger vor, an anderer Stelle die Mafia oder, in seiner plattesten Bemerkung, die Juden. Alle Politiker_innen, die in Deutschland was zu sagen gehabt hätten oder haben, seien Juden, erklärt Strohm - einschließlich Angela Merkel und Helmut Kohl. Die wären zudem alle geisteskrank, ihre Politik teuflisch. Das Böse regiert die Welt, hieß es im 2012 erschienenen Film „Friedlich in die Katastrophe”. Dort und in Strohms Vorträgen wird das Gute als so selten bezeichnet, dass die aktuelle Zeitrechnung darauf abstellt (Gutes gab es also das letzte Mal vor 2016 Jahren!).
Die ganze Welt wird also vom Bösen regiert, so Strohm. Die Ganze? Nein - eine Insel sei übrig und selbst nur Opfer, schon seit langem: Deutschland. Doch auch damit trifft er nur ein weiteres Abziehbild der meisten Verschwörungsgläubigen. Die Deutschen seien fleißig und immer auf der Seite der Guten - werden aber leider unterdrückt, besetzt, versklavt. Alles, was als Bedrohungsszenario der armen Deutschen taugt, wird herangezogen. Passend beschreibt Strohm Auschwitz als Sanatorium und beantwortet die Kriegsschuldfrage neu. Die bis heute das Land besetzt haltenden Siegermächte könnten jede_n jederzeit erschießen, einschließlich des Bundeskanzlers, wenn der nicht nach der Pfeife der Besatzer tanzt. In jeder deutschen Redaktion gäbe es ein Zimmer, in dem CIA-Leute die Artikel schreiben. Die Redakteur_innen müssten dann ihren Namen darunter setzen. Quellen und Argumente nennt Strohm fast nie, aber schimpft umso lauter: „Die EU ist eine Verschwörung! Ursprünglich stammte die Idee von Adolf Hitler”. Immer wieder relativiert er die Verbrechen der Nazis im Vergleich zu den in seiner Sicht viel größeren Schandtaten der Gegenwart, vor allem der USA.
Auch sich selbst sieht Strohm als Opfer des langen CIA-Arms. Über Greenpeace hätten der US-Geheimdienst seinen Film ausgebremst. Außerdem würden Antifaschisten ihm zusetzen. Da stecke ja schon der Begriff „Faschisten” drin, zeigt Strohm bemerkenswerte Gedankensprünge, also seien sie auch welche. Zudem seien sie vom Mossad gesteuert und würden vom Staat bezahlt, um als prügelnder Mob das Land zu verunsichern. Eine Quelle nennt er nicht. Seine Bücher würden zensiert und er dürfe seinen Beruf nicht ausüben. Wie solche Zensur funktioniert, erklärt er nicht - einer der untersagten Berufe sei die Industrieberatung gewesen. 50 Bücher seien zensiert worden. Von wem und wie das alles gelungen sein soll - es bleibt in allen Interviews und Vorträgen unklar.
Stattdessen zeigt sich Strohm selbst als Zensierer. Er versucht, eine kurze Vorfassung des Films „Empörung und Verschwörung” per Klage vor dem Landgericht Hamburg verbieten zu lassen. Verhandlung ist am 21.1.2015 um 14 Uhr am Landgericht Hamburg. Austeilen kann er also - Zensur lehnt er nur ab, wenn sie sich gegen ihn richtet.
Holger Strohm ist kein Einzelfall, sondern ein Muster für zwei typische Entwicklungen. Zum einen gilt für viele Menschen, das sie sich über politische Zustände zwar empören, aber eine genauere Analyse der Ursachen und Zusammenhänge scheuen. Der Zulauf zu Verkünder_innen einfacher Welterklärungen ist beängstigend hoch. Zum zweiten blähen auch viele sonstige Organisationen ihre Demonstrationen, Klickaktionen und Unterschriftensammlungen mit platten Parolen auf, um Mitgliedszahlen und Spendenaufkommen zu erhöhen. Die aktuellen Proteste gegen das Freihandelsabkommen TTIP zeigen das deutlich. Vielfach übertönen anti-amerikanische Ressentiments den - durchaus wichtigen - Protest gegen die Machtstärkung von Konzernen. Auf vielen Flugblättern, Spruchbändern und Zeichnungen wirkt es so, als würde die (gute) EU von den (bösen) USA zu dem Abkommen gezwungen.
Der Filmemacher und von Holger Strohm vor Gericht beklagte Jörg Bergstedt wird vom 18. bis 20. Januar selbst in der Region sein, um Rede und Antwort zu stehen. Filmvorführungen mit anschließendem Gespräch gibt es am Montag, 18.1., um 19.30 Uhr in Hamburg-Harburg (Alles wird schön, Friedrich-Naumann-Str. 27 in Heimfeld) und am Mittwoch, 20.1. um 20 Uhr in Hamburg-Hammerbrook (Südpol, Süderstraße 114). Weitere Termine werden auf www.kopfentlastung.de.vu veröffentlicht.
Robin Wut
Der Film „Empörung und Verschwörung” zeigt rechte Gedanken und Weltvereinfachungen - in Werken oder Reden von Holger Strohm. Den Anfang bildet sein Werdegang. Die folgenden Szenen zeigen seine Verzweiflung, aus denen dann der Glaube an Verschwörungen, die Adressierung des Bösen und Teuflischen an bestimmte Personenkreise und schließlich rechtsextremes Gedankengut wachsen. Die Dokumentation ist Aufklärung und Warnung zugleich. Am Ende finden sich Beispiele für Vereinfachungen, die bis tief hinein in alle politischen Strömungen reichen sowie Tipps zum skeptischen Denken und zum Umgang mit solchen Populismen. Der Film ist Teil der Aufklärungskampagne „Den Kopf entlasten - Kritik an vereinfachten Welterklärungen” und über deren Seite www.kopfentlastung.de.vu anzusehen bzw. herunterzuladen. Er kann überall gezeigt und beliebig weiterverwendet werden (Creative Commons, siehe auch www.projektwerkstatt.de/filme).