Mitten in der Bauphase: Es dauerte 10 Jahre, bis das Philippsburger Atomkraftwerk fertig war. Hier ein Bild aus dem Jahr 1971, als man den Sicherheitsbehälter in das Reaktorgebäude eingeschoben hat. Fritz Dürrschnabel hat seit 1973 den Bau als Bürgermeister von Philippsburg eng begleitet. | Foto: Stadtarchiv Philippsburg

Atomkraftwerk prägte Amtszeit

Philippsburgs Ex-Bürgermeister Dürrschnabel erinnert sich an heiße Zeiten im Kalten Krieg

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Wenn es nach Fritz Dürrschnabel ginge, dann wäre das Aus des Philippsburger Atomkraftwerks noch lange nicht besiegelt. Wir sind zu Gast beim ehemaligen Philippsburger Bürgermeister. In seine Amtszeit von 1973 bis 1989 fällt der Beginn der Atomstromproduktion auf der Rheinschanzinsel. Wie kaum ein anderes Thema prägte die Atomkraft seine Amtszeit.

Heute, wenige Wochen nachdem auch Block 2 vom Netz genommen wurde und die Ära damit endgültig endete, gibt sich Dürrschnabel gelassen. In seinem Wohnzimmer in Kuppenheim bei Rastatt, wo der Pensionär heute wohnt, tollt die junge Deutsche Dogge Joyce um ihn herum. Dürrschnabel (Jahrgang 1944) und seine Frau Marlies sprudeln nur so vor Erinnerungen an jene für Philippsburg so prägenden Jahre.

Wir haben mit hochqualifizierten Fachleuten zusammengearbeitet.

„Die Leute waren stolz, ein Atomkraftwerk zu haben.“ Seine Devise: „Wir haben einen gefährlichen Tiger, dem muss man eben den sichersten Käfig bauen, den es geben kann. Alles ist unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen.“ Alle Anträge rund um das Atomkraftwerk habe er zur Chefsache erklärt, erinnert sich Dürrschnabel.

Leben heute in Kuppenheim: Fritz und Marlies Dürrschnabel mit ihrer jungen Deutschen Dogge Joyce. | Zäpfel | Foto: Christina Zäpfel

Öffentliche Gebäude bekamen Schutzräume

Heute fühlt er sich bestätigt: „Wir haben mit hochqualifizierten Fachleuten zusammengearbeitet.“ Für den Bau des Tigerkäfigs, sprich Schutzvorkehrungen für die Zivilbevölkerung, half es, dass Dürrschnabel als Verwaltungsexperte diverse Fördertöpfe anzapfte. Ohnehin notwendige Tiefgaragen wurden zu Schutzbunkern, öffentliche Gebäude wie Schulen flächendeckend mit Schutzräumen versehen.

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Zuschlag für die Atomkraft

Wie sehr die große Weltpolitik des Kalten Krieges sich im beschaulichen Philippsburg niederschlug, machen Dürrschnabels Erinnerungen deutlich. Als Landesausbauort hatte der Kasernenstandort Philippsburg den Zuschlag für die Atomkraft bekommen. Die Rheinschanzinsel war ohnehin in öffentlicher Hand und bot sich als Standort zwischen den Ballungsräumen Mannheim und Karlsruhe an.

Amerikaner sollen Atombomben in Philippsburg gelagert haben

Dass Philippsburg mit seinen Bundeswehrkasernen, mit der Rheinbrücke als technischem Ziel und dann noch mit seinem Atomkraftwerk zum potenziellen Ziel sowjetischer Mittelstreckenraketen wurde, erzählt Dürrschnabel heute fast routiniert. „Vieles war damals geheim. Das allerschlimmste wäre es gewesen, wenn die Leute in Panik geraten.“ Wie nebenbei erwähnt er, dass Amerikaner einst in Philippsburg Atombomben gelagert haben sollen.

Dürrschnabel verfasste Zivilschutzfibel

„Als Geheimnisträger musste ich meinen Mund halten.“ Die Bevölkerung vor Gefahren zu schützen, war dennoch eines seiner oberen Ziele. Stolz hält er noch heute seine selbst verfasste Zivilschutzfibel mit dem Titel „Überleben“ in der Hand. Sie ist ein beredtes Zeugnis des Kalten Krieges, erklärt, was bei einem Atombombenabwurf zu tun ist, wie man einen Schutzraum ausstattet, wie biologische Waffen funktionieren oder wie man Wasser aufbereitet.

Unsere Sicherheitsanlagen haben Alarm geschlagen

„Meine Erfahrungen aus dem Zivilschutz kamen mir dabei zugute.“ Auch heute noch ist er der Meinung, dass man die Atomkraft technisch so beherrschen kann, dass keinerlei Schaden entsteht. So erinnert sich Dürrschnabel zum Beispiel daran, dass der amerikanische Vier-Sterne-General Frederick Kroesen einst Philippsburg besuchte – just vier Wochen, nachdem die RAF einen Anschlag auf den hohen US-Militär verübt hatte.

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Infrastruktur hatte Nachholbedarf

Die Atomkraft war für Dürrschnabel immer positiv besetzt. 1980 dominierte nach über zehn Jahren Bauzeit „die Freude, dass es jetzt endlich losgeht“. Es gab ja auch viel zu tun: Straßen zum Atomkraftwerk mussten erschlossen werden. Philippsburg hatte, was seine Infrastruktur anging, enormen Nachholbedarf. Da kamen die Gewerbesteuer-Millionen aus der Stromproduktion gerade recht. „Über Geld redet man nicht“, gibt sich Dürrschnabel in diesem Punkt schmallippig. Schließlich habe man auch viel an Kreisumlage weitergeben müssen. „Meine Devise war hier eher, wie man im südbadischen sagt: ,Uffs Muul hocke‘.“

Wachleute als verstrahlt gemessen

Und Tschernobyl? „Ich war einer der allerersten, die davon erfahren haben“, erinnert er sich. Der Philippsburger Reaktorchef stand eines Tages morgens in seinem Büro: „Unsere Sicherheitsanlagen haben Alarm geschlagen“, berichtete er. Wachleute, die von außen auf das Kraftwerksgelände wollten, wurden als verstrahlt gemessen, ihnen wurde der Zutritt verweigert.

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Nach Tschernobyl änderte sich Stimmungslage

Offensichtlich hatte der nukleare Fallout nach der Reaktorkatastrophe in der Ukraine bereits Westdeutschland erreicht. „Ich habe versucht, ganz nüchtern anzuschauen: Was kann uns passieren? Die Bevölkerung stand wie ein Mann dahinter.“ Die Proteste seien meist von außen gekommen, erklärt Dürrschnabel sich die veränderte Stimmungslage auch nach Tschernobyl und die zunehmend kritische Haltung gegenüber der Atomkraft in der BRD bis zum endgültigen Ausstieg nach Fukushima. Er vermutet gar eine Finanzierung der Demonstranten durch den Osten.

1979: Fritz Dürrschnabel besucht das Atomkraftwerk Philippsburg  | BNN-Archiv | Foto: BNN-Archiv

Wiederkandidatur blieb auf Eis

„Wir waren immer aufgeklärt, auf dem neuesten Stand, wir haben alle Szenarien durchgespielt. Wir waren nicht blauäugig.“ Das sagt Dürrschnabel auch vor seinen weiteren Erfahrungen nach seiner Bürgermeistertätigkeit in Philippsburg. 1989 war Schluss. Nach einem Herzinfarkt hat der Familienrat getagt. Die gerade erst angekündigte Wiederkandidatur zur dritten Amtszeit blieb auf Eis.

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Dürrschnabel versteht den Atomausstieg nicht

Später organisierte Dürrschnabel in der ehemaligen DDR den Aufbau dreier Landratsämter. Der sorglose Umgang im Osten mit Radioaktivität und diversen anderen Gefahrenstoffen relativierte seine Sicht der Dinge zunehmend. „Die politische Entscheidung zum Ausstieg kann ich in keiner Weise nachvollziehen.“ Ein gigantisches Volksvermögen werde vergeudet. Das sagt er ohne Groll: „Alles hat seine Zeit. Das habe ich zu respektieren.“

Gute Kontakte in alte Heimat

So hält es Dürrschnabel auch mit der aktuellen Philippsburger Politik. Er hatte seine Zeit, hat seine eigenen Kämpfe ausgefochten. Ist stolz, dass er dem Werben der Parteien widerstanden hatte. „Das habe ich der Bevölkerung versprochen.“ Seine Kontakte in die alte Heimat sind gut, auch wenn er jetzt eine knappe Autostunde entfernt in Kuppenheim lebt. Eine Tochter der insgesamt fünf Kinder lebt noch im alten Haus in Philippsburg.