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Wirtschaft Kraftwerksrückbau

So absurd umständlich verschrotten wir unsere AKWs

| Lesedauer: 5 Minuten
Wirtschaftsredakteur
Mitarbeiter zerlegen im Zwischenlager Lubmin bei Greifswald einen Dampferzeuger aus dem stillgelegten Atomkraftwerk Obrigheim Mitarbeiter zerlegen im Zwischenlager Lubmin bei Greifswald einen Dampferzeuger aus dem stillgelegten Atomkraftwerk Obrigheim
Mitarbeiter zerlegen im Zwischenlager Lubmin bei Greifswald einen Dampferzeuger aus dem stillgelegten Atomkraftwerk Obrigheim
Quelle: dpa
Wird in den USA ein Atomkraftwerk abgebaut, kommt eine Brachialmethode zum Einsatz. Die ist sicher, schnell und billig. In Deutschland dauert der Rückbau Jahrzehnte – dank einer abwegigen Prozedur.

Fünf Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wird der Abriss von Atomkraftwerken weltweit zum Problem: Die große Zahl der Abrissprojekte könnte schon bald die Kapazitäten der in diesem Bereich qualifizierten Dienstleister deutlich übertreffen.

Darauf deuten jedenfalls Berechnungen des Beratungsunternehmens McKinsey hin, die der „Welt“ exklusiv vorliegen: Demnach steht in den kommenden 15 Jahren der Abriss von 250 Kraftwerksblöcken an 142 Standorten weltweit an.

„Es gibt nur ganz wenige qualifiziert Dienstleister hinreichender Größe, die für Projekte dieser Art infrage kommen“, sagte McKinsey-Partner und Energieexperte Alexander Weiss: „Die Energieversorger werden am Markt nicht in der gewünschten Zeit die nötigen Kapazitäten bekommen.“

Dafür müssten die Betreiber entsprechend stärker mit eigenem Personal zu Werke gehen, was aufgrund der nötigen Spezialkenntnisse zu deutlich höheren Kosten führen werde.

Die reinen Abrisskosten sind nicht das Problem

Die reinen Abrisskosten wären nach Einschätzung von McKinsey nicht das größte Problem: Der Nachbetrieb und der Rückbau der weltweit 250 Anlagen werde bis zum vollständigen Abschluss Kosten von rund 190 Milliarden Euro verursachen. Davon werden bis zum Jahre 2030 etwa 70 Milliarden Euro anfallen.

Der Abriss von Atomkraftwerken ist ein industriell gut beherrschter Prozess
McKinsey, Alexander Weiss

Solche Beträge von im Schnitt 750 Millionen Euro im weltweiten Durchschnitt pro Anlage werden im hochpreisigen Deutschland deutlich überschritten, sind jedoch durch die Rückstellungen der Atomkonzerne abgedeckt.

Politisch und administrativ verursachte Verzögerungen beim Rückbau stillgelegter Atomkraftwerke könnten die Gesamtkosten der Atomwirtschaft jedoch deutlich erhöhen. McKinsey rechnet aufgrund der international noch nicht geregelten Endlagerungsfrage noch mit mindestens 180 Milliarden Euro weiteren Kosten für Transport, Zwischen- und Endlagerung der Abfälle.

So verhandelt in Deutschland derzeit eine „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs“ (KFK) über den Beitrag, den die Atomkonzerne zur Beseitigung ihrer Anlagen leisten sollen.

Nur der Staat erhöht die Kosten

Einigkeit besteht in der vom Grünen-Politiker Jürgen Trittin geleiteten Kommission zwar darüber, dass der Staat die Zwischen- und Endlagerung finanziert und die Konzerne den Abriss und den Mülltransport.

Doch ein Abschluss der Beratungen steht weiterhin aus, weil einige Mitglieder der Kommission fordern, dass die AKW-Betreiber zusätzlich zu ihrem Kostenanteil eine bislang nicht quantifizierte „Risikoprämie“ zahlen sollen.

Fraglich ist, worin das Risiko besteht, für das die Energiekonzerne da haften sollen: Der Abriss von Atomkraftwerken ist nach Einschätzung des McKinsey-Experten Weiss ein „industriell gut beherrschter Prozess“. Das eigentliche Kostenrisiko bestehe in Verzögerungen aufgrund genehmigungsrechtlicher Fragen und Auflagen.

„Wenn sich der Nach- und Restbetrieb der Kernkraftwerke aufgrund solcher Verzögerungen zeitlich in die Länge zieht, müssen entsprechend länger Betriebsmannschaften vor Ort bleiben“, sagt McKinsey-Experte Weiss: „Die Personalkosten machen bisweilen 50 bis 60 Prozent der Abrisskosten aus.“

So geht der Abriss billiger, schneller und sicherer

Das Interesse der Atomkonzerne an einem schnellen Rückbau der Atomkraftwerke deckt sich deshalb in der Regel mit den Wünschen der Bevölkerung vor Ort.

Japan fährt ersten Reaktor wieder hoch

Seit der Katastrophe von Fukushima standen die Reaktoren in Japan still. Im Atomkraftwerk Sendai wurde nun der erste Reaktor wieder in Betrieb genommen. Bei den Menschen löst das heftigen Widerstand aus.

Quelle: N24

Doch die Genehmigungspraxis in Deutschland und föderale Egoismen sorgen in Deutschland dafür, dass sich der Abriss von Atomkraftwerken bis zu 20 Jahre hinziehen kann: Eigentlich unnötig, wie Beispiele aus den USA zeigen.

Denn ein wesentlicher Grund für die lange Abrissdauer ist der in Deutschland gängigen Praxis geschuldet, die aktiv strahlenden Großkomponenten der Atomkraftwerke direkt vor Ort unter der Reaktorkuppel zu zerlegen. Ein zeitaufwendiges und nicht ungefährliches Verfahren.

In den USA wird Reaktorbehälter am Stück demontiert

Meist müssen Tauchroboter die Reaktordruckbehälter zur Sicherheit im ehemaligen Brennelementebecken unter Wasser in handliche Stücke zerlegen. Während der langwierigen Prozedur stehen andere Abrissarbeiten in der Warteschlange.

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In den USA hingegen gehen die Betreiber der Nuklearanlagen anders vor: Die Reaktordruckbehälter von meist über 100 Tonnen Gewicht werden dort in einem Stück per Kran aus der Betonummantelung gezogen und komplett in einem Atomzwischenlager abgelegt: Nach einigen Jahren Abklingzeit können die Behälter dann gefahrlos mit industriell üblichen Verfahren zu Kleinschrott zerlegt werden. Ein Verfahren, so loben Branchenvertreter, dass nicht nur schneller, sondern auch billiger und sicherer ist.

So rechnen Branchenbeobachter damit, dass etwa das Atomkraftwerk San Onofre bei Los Angeles innerhalb von vier oder fünf Jahren zurückgebaut werden kann, vor allem weil die Großkomponenten einfach schon mal rausgezogen wurden.

Beim fast baugleichen Atomkraftwerk Obrigheim in Baden-Württemberg rechnet man hingegen mit 17 bis 20 Jahren Rückbauzeit – und dies vor allem nur, weil direkt vor Ort noch jahrelang an den aktiv strahlenden Großkomponenten herumgeschnitten werden soll.

Großkomponentenstrategie auch in Deutschland getestet

Dass es auch hierzulande anders gehen könnte, belegen die Erfahrungen mit dem Abriss der staatlichen Kernkraftwerke der DDR in Greifswald und Rheinsberg durch die Energiewerke Nord GmbH.

Dort habe man in den vergangenen Jahren „zwei Rückbaustrategien erfolgreich angewandt – die Zerlegestrategie und die Großkomponentenstrategie“, wie es bei dem deutschen Nukleardienstleister heißt. „Die Großkomponentenstrategie“, so die Energiewerke Nord, „erwies sich im Vergleich mit der ursprünglichen Zerlegestrategie als vorteilhaft.“

So hatten die Energiewerke Nord bereits 2003 den Reaktordruckbehälter (RDB) des Atomkraftwerks Rheinsberg als ganzes Bauteil aus der Anlage gehoben: „Dies erfolgte statt der geplanten Zerlegung des RDB am Standort des KKW Rheinsberg, um die Strahlenbelastung für das Personal, die Kosten und den zeitlichen Aufwand zu reduzieren“, wie es im Bericht des Unternehmens heißt.

Damit entfiel auch aufwendige Einsatz von ferngesteuerten Unterwasserrobotern zur Zerlegung der Stahlkolosse, betonen die Energiewerke Nord in ihrem Erfahrungsbericht: „Nach einer Abklinglagerung im Zwischenlager Nord (ZLN) von einigen Jahrzehnten kann bei der Zerlegung auf eine Fernbedienung weitestgehend verzichtet werden.“

Bundesländer wollen kein „Atomklo“

Die Frage, warum sich dieses in den USA längst weit verbreitete Verfahren nicht auch bei den übrigen deutschen Atomkraftwerken durchsetzt, stellt sich angesichts der politisch heiß diskutierten Kostenfrage immer deutlicher.

Doch bislang weigern sich die zuständigen Länderbehörden einfach, die zentralen Zwischenlager auf ihrem Hoheitsgebiet für Großkomponenten aus den AKWs anderer Bundesländer bereitzustellen.

Die Motive für die Ablehnung sind offensichtlich: Einerseits erklärten Landespolitiker in den entsprechenden Diskussionen stets, ihr Sprengel dürfe nicht zum deutschen „Atomklo“ werden.

Andererseits fürchtet man handfeste Auseinandersetzungen mit Demonstranten, wenn die Reaktordruckbehälter in Gänze in Spezialtransporten auf der Straße oder auf Wasserwegen zu den zentralen Zwischenlagern transportiert werden.

Dass die Rücksichtnahme auf solche Argumente allerdings bedeutet, dass der Abriss der deutschen Atomkraftwerke insgesamt teurer, langwieriger und gefährlicher wird, als er eigentlich sein müsste, blenden die Umweltpolitiker und Genehmigungsbehörden der Länder dabei aus.

Die schnellere, billigere und sicherer Variante des AKW-Rückbaus droht damit in Deutschland an föderalen Egoismen der Bundesländer zu scheitern.

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