Kinderkrebsstudie Politiker streiten, Wissenschaftler bleiben cool
2. Teil: Lesen Sie im zweiten Teil über die Möglichkeit eines nicht kontrollierbaren Störfaktors
Kernkraftwerke, Strahlung, Krebs - diese Kausalkette scheint sich einem bei solch einem Ergebnis der Studie förmlich aufzudrängen. Dennoch: Bei Korrelationsstudien - und scheinen sie noch so eindeutig zu sein - ist immer Vorsicht geboten. Es besteht die Möglichkeit eines sogenannten Confounders. Darunter verstehen die Epidemiologen einen nicht erfassten und daher nicht kontrollierbaren Störfaktor.
Ein Beispiel: 2004 stellte das Statistische Bundesamt fest, dass die Anzahl der Opfer durch Motorradunfälle zurückgegangen war. Ein zunächst verwunderlicher Befund - war doch im gleichen Jahr die Anzahl der Motorräder gestiegen und somit statistisch gesehen eigentlich auch ein Anstieg der Unfälle und Todesopfer zu erwarten gewesen. Was war der Confounder? Ganz einfach: Schlechtes Wetter hatte den Motorradfahrern die Lust am Fahren verhagelt. Weniger Unfälle waren die Folge.
Daher sind die Mainzer Forscher jetzt vorsichtig: "Diese Studie kann keine Aussage darüber machen, durch welche biologischen Risikofaktoren diese Beziehung zu erklären ist", schreiben sie - einerseits. Dennoch versuchen sie sich daran, die nächstliegendste Erklärung auszuschließen: "Nach dem heutigen Wissensstand kommt Strahlung, die von Kernkraftwerken im Normalbetrieb ausgeht, als Ursache für die beobachtete Risikoerhöhung nicht in Betracht."
Ursache unbekannt
Zu diesem Schluss kommen sie aufgrund von Messungen der Strahlenbelastung in der Nähe deutscher Kernreaktoren, die einem Bericht für die Europäische Union über die Strahlenbelastung durch Reaktoren entstammen.
Die Datenbasis allerdings ist umstritten. Denn die in der Studie angeführten Zahlen zur vernachlässigbaren Strahlenbelastung in der Nähe von Kernreaktoren beruht auf Daten von nur zwei deutschen Kernkraftwerken. Außerdem beziehen sie sich auf die Strahlenbelastung einer erwachsenen Person und nicht eines Kindes.
So bleibt die Frage nach der Ursache unbeantwortet: "Ob Confounder, Selektion oder Zufall bei dem beobachteten Abstandstrend eine Rolle spielen, kann mit dieser Studie nicht abschließend geklärt werden", schreiben die Autoren.
Auch wenn die KiKK-Studie Fragen offen lässt - eines kann klar gesagt werden: Die Anzahl der Erkrankungsfälle steht in keinem Verhältnis zu der Aufregung, die von Medien und Politikern erzeugt wird. "Die Studie hat für viel Geld wenig ergeben", gibt auch Blettner zu.
Es geht um 29 zusätzliche Krebserkrankungen in 23 Jahren
Laut Studie sind von 1980 bis 2003 im 5-Kilometer-Umkreis aller 16 deutschen Atomkraftwerke 77 Krebsfälle (darunter 37 Leukämiefälle) bei Kindern unter fünf Jahren aufgetreten. Im statistischen Durchschnitt wären nur 48 Krebsfälle (17 Leukämiefälle) zu erwarten gewesen. Das heißt, dass 29 Krebsfälle (davon 20 mit Leukämie) mit dem Wohnort in diesem Umkreis in Zusammenhang gebracht werden können. Im Studienbericht steht sogar die Formulierung, diese 29 Fälle wären "unter den gemachten Modellannahmen ... dem Wohnen innerhalb der 5-Km-Zone um ein deutsches Kernkraftwerk zuzuschreiben". Insgesamt sind in Deutschland zwischen 1980 und 2003 in dieser Altersgruppe 13.373 Krebsfälle aufgetreten - dem stehen im Schnitt 1,2 Fälle im Jahr mehr in den 5-Kilometer-Zonen gegenüber.
Das heißt mit anderen Worten: Nur 0,22 Prozent aller Krebsfälle bei unter Fünfjährigen in Deutschland zwischen 1980 und 2003 sind auf das Wohnen in der Nähe von Atomkraftwerken zurückzuführen. Ursache unbekannt.
Zudem ist zu bedenken: Es geht um Erkrankungen, nicht um Todesfälle. Und Leukämie ist heutzutage kein Todesurteil, sondern heilbar. "Die Überlebensraten sind sehr gut", sagt Blettner. So bedauerlich und vielleicht vermeidbar diese Fälle gewesen sind - es geht um die Wahrung der Verhältnisse. "Die Aufregung ist nicht berechtigt", sagt Blettner. "Todesursache Nummer 1 in Deutschland sind Unfälle."
Während sich also Politik und Medien über 29 zusätzliche Krebsfälle zwischen 1980 und 2003 empören, starben im gleichen Zeitraum und in der gleichen Altersgruppe laut Statistischem Bundesamt 214 Kinder an Grippe und 3320 Kinder aufgrund von Verkehrsunfällen.
- 1. Teil: Politiker streiten, Wissenschaftler bleiben cool
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