Berliner Landesarbeitsgericht Warum das Kopftuch-Urteil nicht "absurd" ist
Stand: 30.11.2018 12:59 Uhr
Das Berliner Landesarbeitsgericht hat einer wegen ihres Kopftuchs abgelehnten Lehrerin Entschädigung zugesprochen. Wer das kritisch sieht, sollte zumindest den Weg zum Urteil genau kennen.
Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion
"Das absurdeste Kopftuch-Urteil des Jahres" titelte die "Bild"-Zeitung am Mittwoch, und legte am Donnerstag nochmal mit weiteren kritischen Stimmen dazu nach. Das Berliner Landesarbeitsgericht hatte einer abgelehnten Bewerberin für eine Stelle als Lehrerin eine Entschädigung von rund 5000 Euro zugesprochen. Der Begriff "absurd" erweckt den Eindruck, dies sei ein absolut willkürliches Urteil.
Das ist es aber nicht. Das Berliner Gericht hat eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt. Nicht mehr, und nicht weniger. Das ist nicht absurd, sondern Alltag im Rechtsstaat.
Kopftuchverbot nur bei konkreter Gefahr für Schulfrieden
In einem Erklärkasten unter dem Artikel der "Bild" wurde eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 erwähnt. Die zentrale Rolle dieses Beschlusses wird aber nicht herausgearbeitet. Der Hintergrund: Karlsruhe hat zwei größere Entscheidungen zum Kopftuch für Lehrerinnen getroffen. 2003 entschied das Gericht (Zweiter Senat), dass es für ein Kopftuchverbot jedenfalls eine gesetzliche Grundlage braucht, was im konkreten Fall der Lehrerin Fereshta Ludin damals nicht der Fall war. Karlsruhe spielte den Ball an den Gesetzgeber zurück, wie man zu einem Ausgleich von Interessen und Grundrechten an den Schulen kommen kann.
2015 gab es dann eine inhaltliche Entscheidung aus Karlsruhe (Erster Senat): Ein pauschales gesetzliches Kopftuchverbot ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Ein Verbot sei nur dann zulässig, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass im konkreten Fall der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gestört werde.
Landesarbeitsgericht setzt Karlsruher Vorgaben um
Das Berliner Landesarbeitsgericht stand nun vor folgender Situation: Es musste das "Neutralitätsgesetz" des Landes Berlin anwenden. Gleichzeitig ist es an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden, die Gesetzeskraft haben.
"Bild" schrieb vom "absurdesten Kopftuch-Urteil des Jahres".
Was hat das Berliner Gericht vor diesem Hintergrund gemacht? Es hat das Karlsruher Urteil quasi ins Berliner Gesetz mit hineingelesen. "Verfassungskonform auslegen" nennt man das, und ist absolut normal, ja sogar geboten.
Da man eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden hier nicht feststellen könne, liege eine Benachteiligung der Bewerberin vor. Das Gericht sprach ihr deshalb eine Entschädigung zu. Es hätte theoretisch auch sagen können: "Das Berliner Neutralitätsgesetz verstößt gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Wir halten es für verfassungswidrig und legen es Karlsruhe zur Prüfung vor." Das Landesarbeitsgericht hat eine Art Mittelweg gewählt.
Inhaltliche Kritik, wenn die Fakten bekannt sind
Das ändert selbstverständlich nichts daran, dass inhaltliche Kritik zu verschiedenen Punkten erlaubt ist. Man kann sich kritisch mit dem Kopftuch an sich auseinandersetzen. Man kann den Weg des Berliner Landesarbeitsgerichts für falsch halten und in Revision gehen, wie es auch geschehen soll. Und man kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit ihren Vorgaben zum Kopftuch von 2015 inhaltlich kritisieren.
Wenn man aber den Weg hin zum Urteil des Berliner Landesarbeitsgerichts genau betrachtet, ist es jedenfalls nicht das "absurdeste Kopftuch-Urteil des Jahres".