Rosenmontagsumzug in Düsseldorf | Bildquelle: dpa

Interview zu Satire "Eine einheitliche Definition existiert nicht"

Stand: 17.10.2018 10:01 Uhr

Was ist Satire? Und wann wird sie als solche erkannt? Die Wissenschaftlerin Anna Wagner erläutert im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder, dass Satire zumeist dann funktioniert, wenn sie in einem entsprechenden Rahmen vorgetragen wird.

ARD-faktenfinder: Gibt es eine eindeutige Definition des Begriffs Satire?

Anna Wagner: Eine einheitliche Definition des Satirebegriffs gibt es nicht, vielmehr existiert in der wissenschaftlichen Literatur eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen. Es wird zudem häufig auf die "Undefinierbarkeit" von Satire verwiesen, deren Komplexität eine eindeutige Einordnung erschwert.

alt Anna Wagner | Bildquelle: Anna Wagner

Zur Person

Anna Wagner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medien, Wissen und Kommunikation an der Universität Augsburg. Sie forscht zur Bedeutung von Satire als Mittel der politischen Kommunikation und deren Rolle für den öffentlichen Diskurs. 

ARD-faktenfinder: Was sind die wichtigsten Kennzeichen von Satire?

Wagner: Satire enthält 1. einen expliziten oder impliziten Angriff gegen beziehungsweise eine aggressive Kritik an einem Satireobjekt: das heißt vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen, politischen Akteuren, Prozessen, Institutionen oder Ereignissen. 2. Erfolgt diese Kritik unter Verwendung von Humor und rhetorisch-künstlerischer Mittel wie jene der Verzerrung, Übertreibung oder Ironie. 3. bezieht sich Satire zumindest implizit mit ihrer Kritik auf ein gesellschaftliches Ideal, das in der Realität nicht erfüllt wird und von dem das oder der Kritisierte abweicht. Letzteres könnte man auch mit dem "moralischen Zeigefinger" übersetzen.

Weiterhin wird häufig die Kritik an Eliten und "den Mächtigen" als konstituierend für Satire betrachtet. Satire muss sich aber - auch wenn sie das häufig tut - zumindest in meinem wissenschaftlichen Verständnis nicht zwingend gegen Mächtige richten. Beispielsweise könnte auch eine Kritik an dem Wahlverhalten von Bürgerinnen und Bürgern oder, wie aktuell zu beobachten, das Demonstrationsverhalten von AfD-Anhängern satirisch aufbereitet sein und damit den oben genannten Kriterien entsprechen, ohne sich gegen Eliten oder Institutionen als solches zu richten.

ARD-faktenfinder: Kann Satire immer als solche erkannt werden?

Wagner: Satire funktioniert häufig, aber nicht ausschließlich, dadurch, dass sich die Beteiligten bewusst sind, dass ein satirischer Rahmen gegeben ist bzw. Satire in einem spezifischen Kontext stattfindet. Dieser Rahmen kann zum Beispiel durch ein bestimmtes Format (TV-Satiresendung, Satirezeitung) oder durch die Rollendefinition des Satire Betreibenden gesetzt sein. Dieser Rahmen hilft damit Publikum und Medienschaffenden, die Inhalte einzuordnen und als humoristisch gemeint zu verstehen. Von einem Jan Böhmermann erwartet man beispielsweise satirische Äußerungen.

ARD-faktenfinder: Boris Palmer, Andre Poggenburg, Heinz-Christian Strache – drei Politiker, die sich 2018 auf Satire als Kunstform berufen haben. Politiker als Satiriker: Wie passt das zusammen?

Wagner: Eine "Liaison" zwischen Politikern und Satire ist kein gänzlich neues Phänomen, vielmehr sind Auftritte in Satireformaten wie z.B. "Pelzig (unter)hält sich" oder "Wir sind Kaiser" für Politikerinnen und Politiker eine beliebte Strategie, sich - mit unterschiedlichem Erfolg - als unterhaltsam und volksnah zu präsentieren und Aufmerksamkeit zu generieren.

Hierbei geht und ging es meist aber darum, die Formate und damit einen spezifisch als solchen deklarierten satirischen Kontext zu nutzen, um sich in der eigenen Rolle als Politiker oder Politikerin zu inszenieren. Auftritte dieser Art bedeuten gleichzeitig auch, dass sich alle Beteiligten bewusst sind, dass für den Zeitraum des Auftrittes nicht alle Aussagen ernst gemeint sind und Übersteigerungen und Verzerrungen auf Seiten der Politiker vorkommen können.

ARD-faktenfinder: Aber passt das auf die erwähnten Beispiele?

Wagner: Die aktuellen Fälle zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass die entsprechenden Äußerungen in einem völlig anderen, nämlich eigentlich ernsten Kontext stattfinden, in dem das Publikum erwartet, dass der Politiker auch tatsächlich seine ursprüngliche Rolle erfüllt. Wenn, wie im Falle von Palmer und Poggenburg, hierzu keine entsprechenden Hinweise vorhanden sind, werden diese Aussagen demnach auch nicht als satirisch eingeordnet. Es ist davon auszugehen, dass dies den Politikern auch bewusst ist und sie mit Mitteln der Provokation und intentionalen Verwirrung Aufmerksamkeit für ihre eigene politische Sache generieren wollen.

ARD-faktenfinder: Rassistische Beleidigungen sind also keine Satire?

Wagner: Insbesondere in den Fällen von Poggenburg und Strache wird der Begriff der Satire, der immer auch Kunst- und Meinungsfreiheit repräsentiert und einen besonderen Schutz genießt, dazu herangezogen, moralisch grenzwertige Positionen und sogar diskriminierende Aussagen und Beleidigungen zu verbreiten. Ein ähnliches Muster habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Christian Schwarzenegger bei der Analyse extremer rechter Facebookseiten und -gruppen beobachtet, die unter dem Begriff der Satire firmieren. Hierbei wird Satire und damit eine "es ist ja nicht so gemeint"-Rhetorik vorgeschützt, um die Grenzen des Sagbaren auszureizen.

Das Interview führte Patrick Gensing, ARD-faktenfinder

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