AfD geht in die "No-Go-Area"

Der Neumarkt gilt als Brennpunkt, Anwohner klagen über permanente Unruhe und Zwischenfälle. Die Partei hat sich das nun aus der Nähe angesehen.

Zwickau.

Und dann fallen böse Worte. "Habt ihr's gehört", ruft eine junge Frau mit erstickter Stimme, "die haben gesagt: Haut ab hier, geht daheim ins Bett!" Ihre Zuhörer schütteln empört den Kopf. "Die provozieren", schimpft einer. Der Fotograf der "Freien Presse" bekommt zu hören: "Machst du ein Bild, hast du keine Kamera mehr."

Die Stimmung ist giftig. Die, die diese Ausdrücke zu hören bekommen, sind gerade gemeinsam mit der neuen AfD-Kreisvorsitzenden Janin Klatt-Eberle eine Runde über den Neumarkt gelaufen. Die, die diese Ausdrücke benutzen, gehören zu einer Gruppe Jugendlicher, überwiegend mit Migrationshintergrund, die sich regelmäßig auf dem Zwickauer Neumarkt aufhalten. Der Ort hat sich in den vergangenen Monaten zum Brennpunkt entwickelt, die Polizei meldet Einsätze wegen Schlägereien, Messerattacken und Drogenhandels. Am Montagabend hat die AfD zum Vor-Ort-Termin eingeladen. Zu einem Spaziergang in der "No-Go-Area", wie die Partei den Neumarkt inzwischen nennt.

Janin Klatt-Eberle beendet die Runde über den Neumarkt und bleibt im Sicherheitsabstand zu den Migrantenkindern stehen. 15, vielleicht 20 Jugendliche. Auch blonde Mädchen sind darunter. Darauf weist Klatt-Eberle besonders hin. Ihre eigene Gruppe besteht aus etwa 50 Personen, einer hat ein Deutschland-Fähnchen dabei, einer trägt ein AfD-Polohemd, ein anderer ein AfD-Wahlplakat, auf dem steht: "Grenzen schützen". Außerdem sind zwei der drei Männer da, die wegen Verleumdung der Oberbürgermeisterin vorm Zwickauer Amtsgericht standen. Und der Landtagsabgeordnete der CDU, Gerald Otto. Er wolle schauen und Eindrücke mitnehmen, sagt Otto.

Beim Vorbeigehen sei sie sofort angepöbelt worden, sagt Klatt-Eberle. "Die Jugendlichen waren gleich aggressiv." Für sie und viele ihrer Begleiter hat sich bestätigt, was sie sowieso längst wussten: Dass sich der Neumarkt zum sozialen Brennpunkt entwickelt hat. Und dass die Migranten das Problem sind.

Die Zwickauer Polizei hat dagegen erst vor einer Woche die Frage verneint, ob vor allem Ausländer für Straftaten am Neumarkt verantwortlich seien. Das bilde sich nach polizeilichen Erkenntnissen so nicht ab, wird ein Sprecher in der "Morgenpost" zitiert.

Dank mehr Polizeistreifen und der Arbeit der Streetworker hat sich die Lage im Muldeparadies beruhigt. Jetzt ist der Neumarkt Treffpunkt. An der zentralen Umsteigestelle von Bus und Bahn befinden sich Sitzgelegenheiten, dort kommen viele Leute vorbei, es ist immer etwas los. Mit den Jugendlichen kamen die Drogen. Das bestätigen Polizisten und Sozialarbeiter. Anwohner sind nach eigenen Angaben vom nächtlichen Lärm genervt, Passanten fühlen sich eingeschüchtert. OB Pia Findeiß (SPD) wollte ein Alkoholverbot verhängen, scheiterte aber an der Polizei. Die Beamten haben keine Straftaten unter Alkoholeinfluss festgestellt, was Voraussetzung für ein Verbot wäre - selbst als vor fünf Wochen ein 18-jähriger Somalier einem 19-jährigen Äthiopier eine Bierflasche über den Kopf schlug, soll das nicht im Rausch passiert sein.

Klatt-Eberle hält eine Ansprache. Sie fordert mehr Polizeipräsenz und härteres Durchgreifen auf dem Neumarkt, außerdem mehr Abschiebungen aus Deutschland. Viele Teilnehmer applaudieren. Dann kommen zwei Polizisten.

Schon vorher waren Beamte da, weil Helfer ein AfD-Transparent entrollt hatten, obwohl das nicht angemeldet war. Während die Polizisten mit Klatt-Eberle sprechen, stellt sich ein Mann dazu und beschimpft die Ausländer in Hörweite. "Dreckspack, Viehzeug!" - "Ich hasse die", erklärt der Mann. Das zweite Mal kommen die Ordnungshüter, weil einige der Migranten sie gerufen haben. Drei Männer hätten während des Rundgangs Fotos von ihnen gemacht. Zwei der drei sind Pressefotografen. Die Polizisten gehen wieder.

"So geht das pausenlos", schimpft ein Nachbar über die häufige Aufregung. "Erst die Polizei, dann der Krankenwagen. Du glaubst, du bist im ,Tatort'." Anlieger beschweren sich seit längerem. Wirtin Sonja Dürsch, die seit zehn Jahren die Kneipe "Alt-Zwickau" am Neumarkt führt, beklagt seit einem halben Jahr einen Umsatzrückgang. "Katastrophe. Die Gäste bleiben weg, es traut sich ja keiner mehr nachts raus. Die Leute werden von den Jugendlichen beschimpft als Nazis, Dreckschweine, was weiß ich", sagt Dürsch. "Und ich zahl' Steuern für das Pack." Eine Frau ruft dazwischen: "Dafür sind wir '89 nicht durch Zwickau gelaufen. Ich schäm' mich, dass ich mitgelaufen bin. Ich will die Grenze wieder haben."

Irgendwann nähert sich ein junger Mann mit Achselshirt der AfD-Gruppe. Er ruft, alle sollen verschwinden, und droht mit seiner Bierflasche, die er dann zwischen die Marktbuden schmeißt. Sie zerbricht. Mieter des Wohnblocks stehen schweigend an geöffneten Fenstern.

Am Tag darauf sitzen drei junge Iraker auf einer Parkbank. Mobeen (24) hat die AfD-Veranstaltung als Provokation empfunden. Die Leute hätten ihn angestarrt wie einen Verbrecher und heimlich mit Handys fotografiert. "Ich bin kein Zoo-Animal", sagt er. Das sei für ihn schlimm gewesen, immerhin lebe er seit drei Jahren in Zwickau und arbeite hier. Wieso trifft er sich mit seinen Bekannten am Neumarkt? "Zwickau ist Kleinstadt, wohin sollen wir sonst", sagt er. Stress gebe es oft, vor allem mit Betrunkenen und Drogendealern. Ali (20) zeigt eine acht Zentimeter lange Narbe am Bauch. Die habe ihm ein Pakistaner im Streit zugefügt, mitten auf dem Neumarkt. Die Polizei mache zu wenig Unterschiede zwischen Tätern und friedlichen Leuten, sagt Ali, "für die sind wir alle Ausländer." Mohammed (23), ein weiterer Iraker, klagt, dass er oft sechsmal am Tag kontrolliert werde. Und trotzdem würden Leute wie der Mann, der Ali mit dem Messer verletzt hat, frei herumlaufen. Was sich die drei für den Neumarkt wünschen? "Dass die Polizei härter durchgreift", sagt Mobeen. Immerhin zahle er dafür Steuern.


Vorkommnisse am Neumarkt

16. Juli: Die Polizei meldet einen Streit zwischen Ausländern. Jemand sprüht mit Pfefferspray.

15. Juli: Jemand wirft eine Bierflasche gegen eine Haustür - 800 Euro Schaden.

7. Juli: Ein 18-Jähriger schlägt einem 19-Jährigen eine Bierflasche über den Kopf, ein anderer greift Polizisten an.

20. Juni: Schlägerei mit 15 Beteiligten, sieben Verletzte. Die Polizei stellt einen Schlagstock und eine Schreckschusswaffe sicher.

20. Mai: Ein 17-jähriger Syrer fügt einem 21-jährigen Landsmann eine Schnittverletzung am Oberkörper zu.

Bewertung des Artikels:
3
Ø 3.4 Sterne bei 8 Bewertungen
2Kommentare
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  • 12
    1
    Deluxe
    08.08.2018

    Ein Alkoholverbot würde an der Situation aber wahrscheinlich gar nichts ändern. Die Ursachen liegen woanders.

  • 11
    0
    SMer
    08.08.2018

    Ein Alkoholverbot kann auch ohne die vorher festgestellten entsprechenden Straftaten verhängt werden. Muss die Stadt und die Ortspolizeibehörte nur wollen. Und es gibt schönere Orte in Zwickau zum Verbringen der Freizeit (zum Thema Kleinstadt)..



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