Bericht zu Stickoxid-Gefahren Zahlen mit großer Schwankungsbreite
Stand: 08.03.2018 08:42 Uhr
Mehr als 170 Seiten umfasst ein neuer Bericht des Umweltbundesamtes zu Gesundheitsgefahren durch Stickoxid. Das Ergebnis: Plakative Zahlen - basierend auf vielen Daten.
Von Werner Eckert, SWR
Stickstoffdioxid (NO2) ist nachweislich schädlich für Menschen mit Allergien, für Asthmatiker und Patienten mit anderen Lungenerkrankungen. Es führt zu mehr Krankenhauseinweisungen, Notfällen und vorzeitigem Tod durch Herzinfarkte. Das ist unstrittig.
Einige Arbeitsmediziner sagen aber: Das passiert erst bei höherer Belastung. Die Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes dagegen kommt zu dem Schluss, dass die "normale" Konzentration der Luft schon zu 6000 bis 8000 vorzeitigen Todesfällen im Jahr in Deutschland führt.
Industrieller Arbeitsalltag oder allgemeine Außenluft?
Die Arbeitsmediziner betrachten in der Regel Kurzzeit-Effekte auf gesunde Menschen im industriellen Arbeitsalltag. Die sind Schadstoffen von Berufs wegen und nur an einer begrenzten Anzahl an Tagen für einige Stunden ausgesetzt. Für diese Situation ermitteln sie dann auch eigene Grenzwerte.
Diese Werte liegen deutlich höher (950 µg/m³ Luft) als die für die Luft in den Städten (40µg/m³). Die allgemeinen Grenzwerte für die Außenluft orientieren sich am Vorsorgegedanken und daran, dass auch Kleinkinder und ältere, kranke Menschen unter Umständen rund um die Uhr einer solchen Belastung ausgesetzt sind.
Auswertung von Gesundheitsdaten
Die Wirkung einer solchen dauerhaften Belastung kann man nicht in kontrollierten Experimenten erheben. Dazu wertet man umfangreiche Gesundheitsdaten aus und geht der Frage nach: Wie wirkt sich das Leben in einem belasteten Umfeld auf die Lebenserwartung aus oder auf die Wahrscheinlichkeit, wegen bestimmter Erkrankungen ins Krankhaus zu kommen.
Solche Erhebungen gibt es weltweit und sie kommen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Etwa Studien des MIT, der amerikanischen Umweltbehörde EPA und Analysen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie haben jeweils viele Daten zusammengetragen und ausgewertet. Was man dabei sehen kann, ist, dass Menschen in belasteten Gebieten statistisch kürzer leben.
Zahlen mit großer Schwankungsbreite
Die unterschiedlichen Ansätze kommen dabei auch immer zu ähnlichen Größenordnungen. Allerdings sind diese Zahlen, die dann in den Schlagzeilen stehen, statistisch mit einer großen Schwankungsbreite behaftet. Und man muss sie auch richtig lesen: 6000 vorzeitige Todesfälle, das sind nicht 6000 junge, gesunde Menschen.
An anderer Stelle wird vorgerechnet, dass der deutschen Bevölkerung dadurch insgesamt etwa 50.000 Lebensjahre pro Jahr verloren gehen. Man kann das - sehr grob vereinfacht - auch so ausdrücken: Etwa den Bruchteil von 1/1500 Jahr kostet Stickstoffdioxid jeden Einzelnen von uns pro Jahr - bei 80 Lebensjahren also etwa zweieinhalb Wochen Lebenserwartung. Das sind Rechenspiele.
Erfassung statistischer Effekte
Aber sogenannte epidemiologische Studien können nur statistische Effekte erfassen. Kritiker sagen: Das ist noch kein Beleg, dass tatsächlich Stickstoffdioxid für diese Zahlen verantwortlich ist. Es könnten auch andere Schadstoffe in den Städten ursächlich sein, oder der Lärm oder auch einfach der Umstand, dass Menschen in den Städten mehr rauchen als auf dem Land und dass das die Daten beeinflusst. Das ist oft so bei einzelnen Studien.
UBA-Analyse mit breiter Datenbasis
Allerdings haben die Autoren der UBA-Analyse eine so große Zahl an Auswertungen zur Verfügung, dass diese Effekte nicht ohne weiteres durchschlagen. Sie haben auch statistisch Vorkehrungen getroffen, um möglichst den tatsächlichen Effekt von NO2 zu betrachten.
Richtig ist, dass ein statistischer Zusammenhang nicht automatisch bedeutet, dass es auch einen Begründungszusammenhang gibt. Aber auch hier gibt es in diesem Fall eine Menge zusätzlicher Belege aus Laborstudien, die zeigen, dass der Stoff schädigend wirkt.
Schon geringe Mengen schaden
Die Weltgesundheitsorganisation sagt deshalb: Stickstoffdioxid soll so weit wie möglich reduziert werden. Denn es gibt nach aktuellem Kenntnisstand keinen Schwellenwert. Das heißt: Schon kleine Mengen sind schädlich.
Die Arbeit im Auftrag des UBA verschweigt auch nicht, dass die Belastung durch Stickstoffdioxid und damit auch die Folgen in den vergangenen Jahren tendenziell gesunken sind. Während bis 2010 jährlich 8000 deshalb vorzeitig gestorben sind, sind es heute noch etwa 6000.