Katarina Witt träumt von Olympia. Doch erst einmal braucht sie einen Erfolg beim Titelkampf in HerneDer zweite Anlauf der Märchenfee

Von Uwe Prieser

Olympiaambitionen einer Eiskunstläuferin, die gerade mal Toe-loop und Salchow, die beiden leichtesten von sechs Sprungvarianten dreifach springen kann, wären nicht der Rede wert, aber zufällig handelt es sich um Katarina Witt. Gerade ist sie 28 Jahre alt geworden, beinahe sechs Jahre hat sie keinen Wettkampf mehr bestritten (Profiwettkämpfe zählen nicht, weil sie bloß Operettenaufführungen sind) – und nun will sie zum dritten Mal an Olympischen Spielen teilnehmen. 1984 und 1988 gewann sie die Goldmedaille.

Wenn Katarina Witt Wunschträume als Eisläuferin hatte, sind sie jedesmal in Erfüllung gegangen. Doch bei der Deutschen Meisterschaft nächste Woche in Herne (16. bis 18. Dezember) hat sie – wenn die beiden Favoritinnen Marina Kielmann und Tanja Szewczenko nicht stürzen oder Grippe bekommen – nicht die geringsten Aussichten, den Titel zu gewinnen. Den Sprung auf das Siegespodest, mindestens als Dritte, muß sie aber schaffen, um sich für die Europameisterschaften Mitte Januar in Kopenhagen zu qualifizieren.

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In Kopenhagen müßte sie dann eine ihrer beiden deutschen Konkurrentinnen hinter sich lassen, um sich für Olympia zu qualifizieren, denn dort dürfen nur zwei deutsche Läuferinnen starten. Die Dortmunderin Marina Kielmann, Dritte der Europameisterschaft, beherrscht fünf der sechs Dreifachsprünge, und seit die erst sechzehn Jahre alte Düsseldorferin Tanja Szewczenko den dreifachen Lutz gelernt hat, den schwierigsten Sprung im Damenwettbewerb (den dreifachen Axel beherrscht zur Zeit keine), hat auch sie fünf Varianten zu bieten. In der A-Note (für den technischen Wert eines Vortrages) müßten deshalb beide mehr als einen halben Punkt über der Wertung für Katarina Witt liegen. Ein Klassenunterschied, der in der B-Note (für den künstlerischen Ausdruck) nicht auszugleichen ist. Dennoch könnte Katarina Witt ihr Ziel erreichen, aus dem einfachen Grund, weil sie Katarina Witt ist.

Die Eislaufwelt liebt sie, seit sie als Dreizehnjährige in der Szene auftauchte – so süß, so keck, dabei so wohlerzogen. Was für eine Ausstrahlung! Die geborene Eisprinzessin. Das war sie, das blieb sie, trotz der blöden Pflichtfiguren, die damals noch gelaufen werden mußten und die sie nicht konnte und die ihr 1983 die Weltmeisterschaft verdarben, für deren Gewinn sie doch schon vorgesehen war.

„Die neue Brooke Shields“, schwärmten die Amerikaner und spielten Katarina Witt („Das schönste Gesicht des Sozialismus“) gegen den Staat aus, den sie repräsentierte. Eine Brooke Shields auf Schlittschuhen statt in der „Blauen Lagune“, und die bösen Krokodile im Sumpf der Preisrichter und ränkeschmiedenden Funktionäre schnappten nicht nach ihr, sondern spitzten ihre großen Mäuler mit den scharfen Zähnen und küßten Kati bei jeder sich bietenden Gelegenheit ab: bei Siegerehrungen, zur Begrüßung, zum Abschied. Im Eiskunstlauf wird überhaupt ziemlich viel geküßt.

Es gab Läuferinnen, die künstlerisch reifer und ausdrucksvoller waren als sie, es gab andere, die besser springen konnten, aber Kati war die perfekte Synthese. Und wenn sie wie im Olympiawinter 1988 in ihrer Kür die Carmen darstellte, dann wurde sie nicht Carmen, sondern blieb Kati, die darstellte, wie sie Carmen darstellte. Und das war das Schöne daran.

Es gibt noch einen Grund für die Annahme, daß es für sie mit Olympia noch einmal klappen könnte. Denn sie ist eine große Athletin und wunderbare Wettkämpferin. 1987 mußte sie den dreifachen Rittberger schaffen, den sie nie zuvor in einem Wettbewerb gestanden hatte, um ihren im Jahr zuvor an die Amerikanerin Debi Thomas verlorenen Weltmeistertitel zurückzugewinnen. Sie stand ihn! Und danach nie wieder. Jedenfalls nicht im Wettkampf. Im Training, hieß es jetzt, soll er ihr zu ihrem eigenen Erstaunen wieder einmal passiert sein.

Ein anderer, gern zitierter Grund, ihr Olympiachancen einzuräumen, fällt indessen unter die Rubrik „Reklame“. „Ich schwimme gegen den Strom“, hatte sie im Oktober in einem dpa-Interview geäußert, die ästhetische Seite des Eiskunstlaufs dürfe nicht zugunsten einer „bloßen Abhakautomatik von Sprüngen“ zurückgedrängt werden.

Das klang beinahe wie vor der Olympiaentscheidung 1988, als sie die damals weitbeste Eiskunstläuferin Midori Ito aus Japan boshaft als „Gummiball“ bezeichnete, um ihre sportliche Unterlegenheit zu kaschieren. Dabei gab es keine Läuferin, deren Sprünge so perfekt auf die Musik getimt waren wie die der kleinen Japanerin mit den wunderschönen Pirouetten.

Die Preisrichter versenkten Ito schon in der Pflicht auf einen der hinteren Plätze. Katarina Witt hingegen wurde Dritte bei den Pflichtfiguren. Der Kanadier Toller Cranston, einst künstlerischer Pionier des Eisleute und dort nun als Kommentator für das kanadische Fernsehen befugt, die Pflichtbögen auf dem Eis selbst in Augenschein zu nehmen, sprach von Betrug. „Mit dieser Pflicht hätte Kati höchstens Zwölfte werden dürfen.“ Dann wäre sie aber nicht zum zweitenmal Olympiasiegerin geworden, und die Eislaufwelt wollte ihr Märchen und ihre Märchenfee.

Die Läuferinnen der Weltspitze, Oksana Bajul, Weltmeisterin aus der Ukraine, die Japanerin Yuka Sato, Lu Chen aus China, Nancy Kerrigan aus den USA, die Kanadierin Josee Chouinard, können schwierige Choreographien tänzerisch glaubwürdig interpretieren; ohne Selbstdarstellung, den dreifachen Lutz inklusive. Der Eiskunstlauf der Damen hat seit dem Rücktritt von Katarina Witt einen ungeheuren Leistungsschub gemacht, und die Olympiasiegerin von einst schwimmt nicht gegen den Strom, sie schwimmt ihm hinterher. So könnte der Titel ihrer Kürmusik als Motto über ihrem Comeback stehen: „Sag mir, wo die Blumen sind...“ Die Antwort ist parat: in der Vergangenheit.

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