Lamaismus
Profil – 49 – 4. Dezember 2006
Trübes im Ozean des Wissens
Ein Buch über den Forscher Heinrich Harrer ist auch eine
Auseinandersetzung mit Österreichs Vergangenheitsbewältigung und dem
Weltbild des Dalai Lama
Von
Horst Christoph
(lange Jahre leitender Kulturredakteur des
österreichischen Nachrichtenmagazins „profil“)
Im April
1997 sorgte eine Ö1-Sendung für Aufregung. Der Salzburger Journalist und
Bergsteiger Gerald Lehner hatte im Nationalarchiv der USA recherchiert und
war dort auf braune Flecken in der Vergangenheit einer der Legenden
österreichischer Sport- und Alpingeschichte gestoßen. Heinrich Harrer,
Erstbesteiger der gefürchteten Eiger-Nordwand, Teilnehmer einer deutschen
Nanga-Parbat-Expedition, die nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in
Indien in britische Kriegsgefangenschaft geriet, war als Mitglied von SA,
SS und NSDAP registriert. 50 Jahre hatte Harrer das geheim halten können,
während er innerhalb dieser Zeit zu Weltruhm gelangt war. Harrers Buch
„Sieben Jahre in Tibet“, das seine Flucht aus Indien an den Hof des Dalai
Lama in Lhasa beschreibt, wo er Erzieher des jugendlichen Gottkönigs wurde,
entwickelte sich unmittelbar nach seinem Erscheinen im Jahr 1953 zum
internationalen Bestseller und rangiert in den USA und Kanada unter den
zehn erfolgreichsten Abenteuerbüchern aller Zeiten.
Während das internationale Echo auf die Enthüllungen groß war, stießen sie
in Österreichs Medien nur auf mäßiges Interesse. Lehner hatte Harrer in
allen Details befragt, dieser hatte geleugnet, später erklärt, aus rein
opportunistischen Gründen, um seine Bergsteigerkarriere zu befördern, zu
den Nazis gegangen zu sein. Immer wieder nahm er in der Folge bereits
Gesagtes wieder zurück. Zu Vorwürfen über schriftliche nazistische
Äußerungen sagte er, diese seien von einem Ghostwriter geschrieben worden.
Einigermaßen verspätet beteuerte Harrer dann, dass ihm das alles heute Leid
tue.
Obwohl bereits ein Jahr zuvor der Alpinhistoriker Rainer Amstädter
beschrieben hatte, wie nach der Eiger-Nordwand „die Erstbegehung als
Zeugnis des unbeugsamen Siegeswillens der deutschen Jugend“ (Adolf Hitler)
von den Nazis unter aktiver Mitwirkung Harrers zur Kriegshetze genutzt
wurde; obwohl Reinhold Messner in der Folge Harrers Ideologe scharf
kritisierte, fanden es prominente österreichische Bergsteiger aus Lehners
Bekanntenkreis „unverständlich, wie man einem Weltstar und betagten Helden
überhaupt nur solche Fragen stellen kann“.
Vom
Eiger zu Hitler
Fünf
Jahre später wurde der 90. Geburtstag Heinrich Harrers, unter anderem mit
Gratulationen des Dalai Lama, zelebriert. Wieder gab es, außer im
Nachrichtenmagazin profil, kaum Hinweise darauf, dass der Gefeierte im Jahr
des „Anschlusses“ von Österreich an das Deutsche Reich gejubelt hatte: „Wir
haben die Eiger-Nordwand durchklettert über den Gipfel hinaus bis zu
unserem Führer.“
Lehner erlebt das alles zwiespältig: die Diffamierung seiner Arbeit oder
wenigstens Ignoranz in Österreich wie das Interesse und die Aufregung im
Ausland. Immerhin hatte Hollywood als Konsequenz von Lehners Recherchen das
Drehbuch der „Sieben Jahre in Tibet“-Filmschnulze mit Brad Pitt geändert.
Wie für alle Bergfexe war auch für Lehner Heinrich Harrer, ähnlich wie der
Nanga-Parbat-Erstbesteiger Hermann Buhl oder Reinhold Messner, ein Hero
seiner Jugend gewesen. Waren seine NS-Äußerungen nur jugendliche
Verblendung oder verständlicher Karriereopportunismus gewesen? Hatten die
Jahrzehnte danach seine Ansichten verändert? Immerhin war er durch eine
Vielzahl von Expeditionen und Veröffentlichungen Mitglied des exklusiven
amerikanischen Explorer Club und Träger der Goldenen Humboldt-Medaille
geworden. Der Autor recherchierte weite, unter anderem in den National
Archives der USA, und das Ergebnis liegt jetzt als Buch vor: „Zwischen
Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer.“ Keine
historische Studie sondern eine leidenschaftliche Streitschrift, die sich
gegen Unterstellungen wehrt, Schützenhilfe gelegentlich über Gebühr
strapaziert, darüber hinaus wichtiges Neues zutage fördert.

Das betrifft vor allem eine NS-Kontinuität in Harrers Karriere und
NS-Sympathien in der Geschichte Tibets – und auch beim Dalai Lama. 1938
hatte der Reichsführer SS Heinrich Himmler, der übrigens die Ehe Harrers
mit Lotte Wegener, einer NS-Sympathisantin und Tochter des Nazi-Protegès
und Geophysikers Alfred Wegener (Kontinentalverschiebungstheorie)
eingefädelt hatte, eine „wissenschaftliche“ Expedition nach Tibet
organisiert, mit dem Ziel, Verwandtschaften zwischen europäischen und
asiatischen „Herrenrassen“ zu belegen. Teilnehmer dieser Expedition waren
der Anthropologe Bruno Beger, 1970 als Mitwisser eines 86-fachen Mordes an
KZ-Häftlingen aus Auschwitz verurteilt, und der Kameramann Ernst Krause,
der 1941 tödliche medizinische Versuche an KZ-Häftlingen dokumentiert
hatte.
Kontakte
zum Rassenforscher
Mehrmals
stieß Harrer in Tibet auf die Spuren der SS-Expedition von 1938/39 und nahm
gleich nach seiner Rückkehr 1952 Kontakt mit Krause auf. Auch der
„Rassenforscher“ Beger traf mit seinem Duzfreund Harrer und über dessen
Vermittlung mit dem Dalai Lama zusammen und schrieb darüber ein Buch mit
dem Titel „Meine Begegnungen mit dem Ozean des Wissens“. Das Oberhaupt der
tibetischen Exilregierung distanzierte sich nie von diesem Nazi-Umfeld, ein
Foto, das den Dalai Lama mit Beger und Harrer zeigt, wird bis heute für
exiltibetische Propagandazwecke verwendet.

Der XIV. Dalai
Lama und Bruno Beger
Titelbild von
Bruno Begers Buch
„Meine Begegnungen
mit dem Ozean des Wissens“
Als
Harrer heuer im Jänner starb, wurden – de mortuis nil nisi bene – in
Österreich alle „braunen“ Zusammenhänge einmal mehr ausgeblendet. Bundeskanzler
Wolfgang Schüssel pries den „millionenfach gelesenen Buchautor“ und
„Philosophen der Bergerfahrung“ und klammerte sich an die „abenteuerliche
und eindrucksvolle Freundschaft“ mit dem Dalai Lama.
„Esoterischer Hitlerismus“
Auszüge aus Gerald Lehners Buch, erschienen im Czernin Verlag.
Heinrich Harrer war der Held vieler Herrscher und Herren. Diese
Austauschbarkeit in der kurzen Zeit eines Menschenlebens ist so beklemmend
wie unser Wissen aus der Sozialpsychologie, dass wir Grundwerte schnell
über Bord werfen, wenn es Obrigkeiten passt und der Karriere oder unseren
Einkünften dient. Davon ist kaum jemand ausgenommen. Brisant und
interessant wird es, wenn ein solches Phänomen die Medienbilder und
pseudoreligiösen wie politischen Klischees einer ganzen Epoche mitbestimmt;
dies- und jenseits des Atlantischen Ozeans. Auf Fakten begründbare
Wahrheiten spielen dabei kaum eine Rolle. Zum Beispiel in der Art, wie der
tibetische Buddhismus in der westlichen Welt wahrgenommen und verherrlicht
wird. Als friedliches und harmonisches, geistliches und geistiges
Wertsystem, das sich die Befreiung aller Wesen von den Leiden der Welt zum
Ziel setzt.
Die Real- und Machtpolitik sieht anders aus, viel widersprüchlicher.
Heinrich Harrer, der Dalai Lama und der tibetische Buddhismus werfen viele
Fragen auf. Und viele Widersprüche lassen sich nicht mit Ahnungslosigkeit
oder Naivität von Akteuren erklären. Bis in die jüngste Vergangenheit lehnt
es der Dalai Lama als oberster Glaubenshüter ab, konkrete Antworten auf
umstrittene Themen zu geben. Unangenehme Fragen stellen ihm ohnehin nur
wenige; die meisten werden gar nicht zu ihm vorgelassen. Solche Fragen
betreffen seine geringe Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Dissidenten
in den eigenen Reihen. Oder sie drehen sich um seine Kontakte zu ehemaligen
SS-Männern wie dem Kriegsverbrecher Bruno Beger oder dem rechtsradikalen
Chilenen Miguel Serrano, der seine Theorie des „Esoterischen Hitlerismus“
mit dem tibetischen Buddhismus verbindet ...
Am 7. Jänner 2006 ging Harrers Leben mit 93 Jahren zu Ende. Es hätte
kaum widersprüchlicher, vielfältiger und spannender sein können. Die
meisten Nachrufe in österreichischen Medien gerieten zu Verherrlichungen,
während Harrers Verstrickungen in den Nationalsozialismus zu diesem
Zeitpunkt schon fast zehn Jahre bekannt und international publiziert waren.
Bei Esoterikern und in exiltibetisch-buddhistischen Kreisen aus Europa und
Amerika wird immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig Heinrich Harrer
als „Lehrer“ des jungen Dalai Lama gewesen sei. Der Österreicher habe ihm
grundlegendes Wissen über Technologie und Naturwissenschaft vermittelt,
heißt es. Dadurch sei beim Dalai Lama sehr früh eine Symbiose zwischen
westlichen Werten und traditionellen Anliegen Tibets entstanden ...
Zählten auch Demokratie, Aufklärung, Humanismus, Toleranz,
Gewaltenteilung und Grundlagen eines modernen Staatswesens zu den Themen,
die Harrer über die fast sechs Jahrzehnte mit dem Dalai Lama besprach, in
denen sie in Kontakt waren? Beriet Harrer den jungen „Gottkönig“ schon im
alten Tibet mit dem Weitblick eines Kosmopoliten und Humanisten? Wie hätte
das ein Mann tun können, der kurze zuvor – seit 1933 als SA-Mann - und
später noch als Mitglied bei SS und NSDAP seiner tiefen Verehrung für Hitler
Ausdruck verlieh?
Was sich in Exilgemeinden der Tibeter seit 1996 abspielt, gibt
Politikwissenschafter und Historikern Anlass zu großer Sorge. 1996 ließ der
Dalai Lama den buddhistischen Schutzpatron Dorje Shugden plötzlich als
Feind Tibets brandmarken. Er verbot die Verehrung des Heiligen in den
eigenen Reihen rigoros. Das löste einen bisher noch nie da gewesenen
Widerstand von Tibetern gegen ihre Exilregierung aus. Dieser „kalte
Bürgerkrieg“, wie Insider die Affäre mittlerweile nennen, ist in westlichen
Ländern öffentlich kaum zu spüren und wird hinter den Kulissen umso härter
und subtiler ausgetragen.
DAS BUCH
Lehner, Gerald: Zwischen Hitler
und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer. Czernin Verlag.
Wien 2007, 304 Seiten. 24,40 Euro.
DER
AUTOR
Gerald Lehner ist Redakteur des Österreichischen
Rundfunks (ORF), Filmemacher, war früher Entwicklungshelfer in Nepal. Er
lieferte Reportagen für internationale Medien unter anderem aus Kanada, den
USA, Regionen des Himalaya, Grönland und der Arktis Sibiriens. Lehner ist
Biograf des austro-amerikanischen Philosophen Leopold Kohr. 2005 hatte er
einen Lehrauftrag an der Stanford University (USA) über Harrer und die
Folgen. Alpinist und Bergrettungsmann.
Krone.at -
18.06.2012
Hinweise auf Arbeit Heinrich
Harrers für die CIA aufgetaucht
Echt oder Intrige?
War Heinrich Harrer,
legendärer erfolgreicher Bergsteiger und Vertrauter des Dalai Lama, nicht
nur Mitglied von SA, SS und NSDAP, sondern auch Mitarbeiter der CIA? Dem
Journalisten und Autor Gerald Lehner seien Dokumente zugespielt worden, die
nahelegten, dass Harrer in den 1950er- Jahren in der tibetischen
Hauptstadt Lhasa für den US- amerikanischen Geheimdienst
gearbeitet habe.
Bei den Dokumenten gehe es um zwei Briefe Harrers an den
Ersten Sekretär der US- Botschaft
in Indien, Fraser Wilkins, vom Juli bzw. August 1951. Die Botschaft habe
diese Dokumente mit dem Vermerk "Secret" an das Außenministerium
in Washington weitergeleitet und in 24 Punkten Kommentare zu Harrers
Schreiben angefügt. Der Kernsatz, der auf eine längerfristige
Zusammenarbeit des Kärntners mit den Amerikanern hinweise, finde sich unter
Punkt drei der Kommentare: "Heinrich Harrer, der diskret und
erfolgreich mehrere Missionen im Auftrag von amerikanischen Offiziellen in
Indien in Bezug auf den Dalai Lama abgeschlossen hat, scheint das Vertrauen
und die Treue des Dalai Lama zu genießen."
Dokumente aus WikiLeaks- Umfeld?
Laut Lehner gebe es zwei Möglichkeiten für die – anonyme – Quelle,
die ihm diese Dokumente zugespielt habe. Einerseits könnte es sich um
Personen aus dem Umfeld von WikiLeaks und dessen Gründer Julian Assange
handeln. Andererseits könne es auch jemand sein, der etwas gegen Harrer
habe und in den National Archives der USA in eben freigegebenen Dokumenten
fündig geworden sei. Warum diese Person auf ihn gekommen sei, erklärte
Lehner, Autor des Buches "Zwischen Hitler und Himalaya. Die
Gedächtnislücken des Heinrich Harrer" (Czernin- Verlag), damit, dass seine
Arbeit über Harrer in den USA und Kanada bekannt sei.

Heinrich
Harrer mit dem XIV. Dalai Lama
CIA- Engagement hätte zu
US-
Strategie gepasst
Das geheime Engagement der USA in Tibet gegen die Volksrepublik China
unter Mao Tse Tung würde jedenfalls ihrer Strategie im Kalten Krieg in
Europa durchaus entsprechen. Dort hatten die USA in westeuropäischen
Staaten so genannte Stay- Behind- Organisationen (SBOs)
gegründet, die sich im Falle eines Angriffs des Warschauer Pakts überrollen
lassen und hinter den feindlichen Linien einen Guerilla- Krieg organisieren sollten. In
Friedenszeiten sollten diese Organisationen Bestrebungen kommunistischer
Parteien unterlaufen, an der Macht in westeuropäischen Staaten zu partizipieren.
Frühere NS- Prominente hatten
Nahbezug zu USA
In vielen Fällen waren an diesen SBOs frühere Mitglieder der NSDAP
und anderer NS- Organisationen beteiligt. Die
Prominentesten unter ihnen waren der "Schlächter von Lyon", Klaus
Barbie, und General Reinhard Gehlen, der erste Chef des
Bundesnachrichtendienstes in Deutschland. Die deutsche Autorin Renate Igel
wies in ihrem Buch "Terrorjahre. Die dunkle Seite der CIA in
Italien" darauf hin, dass die US- Agenten auch Anschläge wie
jenen auf den Bahnhof von Bologna mit 85
Toten unterstützt haben könnten.
Erst vor etwas mehr als einer Woche hatte die "Süddeutsche
Zeitung" über Verbindungen des Dalai Lama zur CIA berichtet. Unter
anderem soll der Geheimdienst für die Ausbildung von tibetischen Guerilla- Kämpfern zuständig gewesen sein, die in Tibet gegen
die chinesischen Besatzer kämpften. Der Dalai Lama selbst soll über Jahre
hinweg finanziell unterstützt worden sein.
http://www.krone.at/Nachrichten/Hinweise_auf_Arbeit_Heinrich_Harrers_fuer_die_CIA_aufgetaucht-Echt_oder_Intrige-Story-324924
Heinrich Harrer: Dalai Lama's
Mentor, Nazi and CIA Agent
http://www.celebritynetworth.com/watch/c24vYYWD308/heinrich-harrer-dalai-lamas-mentor/
Siehe
auch:
Hitler – Buddha – Krishna ~ Buddhismus-Debatte
~ Kalachakra-Tantra
~ Der Schatten des
Dalai Lama
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