Von Julia Jüttner
Hamburg - Nach 70 Tagen in Frankfurt am Main hatte Paul Watson die Schnauze voll. Der Chef der Umweltorganisation Sea Shepherd durfte Deutschland nicht verlassen. Er musste eine Sicherheitsleistung von 250.000 Euro hinterlegen und sich jeden Tag auf dem 6. Revier des Polizeipräsidiums in der Turmstraße melden. Zu wenig Bewegungsfreiheit für einen Umweltaktivisten, der eigentlich im selben Zeitraum im Südpazifik Wale schützen wollte.
Watson, 61, ein kräftiger Mann mit der Frisur eines Shetland-Ponys und weißem Vollbart, gilt als kompromissloser Tierschützer, seine Blockadeaktionen gegen Walfänger, die er "aggressiv gewaltfrei" nennt, haben ihn schon oft mit dem Gesetz in Konflikt gebracht.
Am Montag erschien der gebürtige Kanadier mit amerikanischem Pass nicht, wie er sollte, auf der Wache. Damit hat er seine Meldeauflagen verletzt. Der Auslieferungshaftbefehl sei daher wieder in Kraft gesetzt worden, teilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit. Das bedeutet, wenn Watson nun innerhalb Deutschlands festgenommen wird, wird er ausgeliefert. Mit seiner Flucht habe Watson gezeigt, "dass das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war".
Watson, der erst mit anderen die Umweltorganisation Greenpeace, dann 1981 die Organisation Sea Shepherd gründete, war am 13. Mai am Frankfurter Flughafen wegen eines internationalen Haftbefehls festgenommen worden.
Der Sea-Shepherd-Chef war im April 2002 mit einem Filmteam auf dem Weg nach Costa Rica, um ein Abkommen zum Schutz der Kokos-Insel zu unterzeichnen. Eher zufällig erwischte das Team einen Langleinenkutter aus Costa Rica beim sogenannten Shark-Finning.
Dabei werden Haien bei lebendigem Leib die Flossen abgehackt, die in der chinesischen Küche als Delikatesse gelten. Verstümmelt werden die Tiere zurück ins Wasser geworfen, in dem sie qualvoll verenden. Umweltexperten zufolge werden etwa 73 Millionen Haie, die für das Gleichgewicht im Ökosystem Meer sorgen, pro Jahr getötet. Für Watson ist Shark-Finning die wichtigste illegale Aktivität weltweit nach dem Drogen- und dem Waffenhandel.
"Warum jetzt der Auslieferungsantrag?"
Er habe die guatemaltekische Regierung informiert, die ihn gebeten habe, einzugreifen und die Fischer zu stoppen. So erzählte es Watson nach seiner Festnahme im Interview mit "Geo". "Die Wilderer beschwerten sich daraufhin bei der costa-ricanischen Regierung. Wir hätten ihr Leben in Gefahr gebracht. Wir gingen zum Gericht, zeigten das Video und wurden entlassen. Das war's - bis zum 13. Mai dieses Jahres, als ich in Frankfurt am Main landete."
Bis zu diesem Moment habe er von dem Auslieferungsantrag Costa Ricas nichts gewusst. "Es ist wirklich verwunderlich: Wir haben alles auf Video, wir haben 25 Zeugen. Es gab keine Verletzten, es wurde nichts beschädigt, es ist zehn Jahre her. Warum jetzt der Auslieferungsantrag?"
Watson soll als "Chef-Steuerer" der "Ocean Warrior" das costa-ricanische Schiff "Varadero" blockiert, es mit einer Wasserkanone angegriffen und die Crew in Gefahr gebracht haben, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Die "Varadero" sei daraufhin vom Kurs abgekommen.
Laut Sea Shepherd nahm nach der Attacke ein guatemaltekisches Kanonenschiff die Tierschützer ins Visier, die "Ocean Warrior" fuhr Richtung Costa Rica. Laut Sea Shepherd werfen die costa-ricanischen Behörden Watson auch versuchten Mord vor. Die Crew des Schiffs habe die Aktivisten beschuldigt, sie töten zu wollen.
Interpol lehnte den Auslieferungsantrag gegen Watson als politisch motiviert ab. Durch Spanien, Frankreich und England war Watson in den vergangenen Jahren völlig problemlos gereist. Unklar bleibt, warum Deutschland, das nicht einmal ein Auslieferungsabkommen mit Costa Rica hat, ihn verhaftet hat.
Die Situation muss für Watson zunehmend gefährlicher geworden sein, denn sollte er ausgeliefert werden, kann es bis zu ein Jahr dauern, bis er in Costa Rica vor Gericht gestellt wird. Er appellierte an die deutsche Regierung, sich gegen eine Auslieferung auszusprechen - nicht zu seinem Schutz, sondern "zum Schutz der Ozeane", für die er als Symbol stehe, wie er sagte.
In Kürze hätte die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung angestanden, sagte Ingo Nöhre, Sprecher des Oberlandesgerichts. Das letzte Wort hätte das Bundesjustizministerium gehabt.
Die Behörden vermuten, dass Watson Deutschland verlassen hat. Damit ist fraglich, ob das Auslieferungsverfahren gegen ihn in Abwesenheit überhaupt fortgeführt werden kann - oder ob der Fall damit nicht gar erledigt ist.
"Ich bin ein großer Fan von Paul"
Prominente wie Brigitte Bardot, Tommy Lee und Mitglieder der Fürstenfamilie in Monaco rührten die Werbetrommeln für den in Frankfurt am Main festgesetzten Umweltaktivisten: Zuletzt kam die US-Schauspielerin Pamela Anderson nach Deutschland, um für Watsons Freilassung zu kämpfen. "Ich bin ein großer Fan von Paul", sagte sie. Darum habe sie sich in den Flieger nach Deutschland gesetzt, um ihre Unterstützung vor Ort zu zeigen und ihm "eine große Umarmung" zu geben. EU-Parlamentarier Daniel Cohn-Bendit, nach eigenen Angaben ein enger Freund von Watson, sprach von einer "absurden Situation".
Bereits 1992 hatte Norwegen Watson wegen des Untergangs eines Walfängers in Abwesenheit zu 120 Tagen Gefängnis verurteilt. Bekannt ist Sea Shepherd vor allem für riskante Störmanöver und den alljährlichen Einsatz gegen die japanische Walfangflotte in der Antarktis. "Wir sind nahe dran, Japan endgültig aus dem Walschutzgebiet vor der Antarktis zu vertreiben", sagte Watson vor seiner Festnahme nicht ohne Stolz. 2010 hatte die japanische Justiz einen Haftbefehl gegen ihn erlassen.
Vielleicht spielte dieser Fall auch eine Rolle bei Watsons Fluchtplänen. In der vergangenen Woche sei wegen dieses Verfahrens auch ein Auslieferungsersuchen aus Japan eingegangen, sagte ein Sprecher der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft.
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