Von Cordula Meyer
An diesem Freitagmorgen hatte Yukio Yamaguchi die graue Strickjacke zu Hause gelassen und stattdessen den guten dunkelbraunen Anzug angezogen. Er war in den Shinkansen gestiegen, den japanischen Hightech-Schnellzug, Richtung Kashiwazaki-Kariwa. Dort, an der Westküste Japans, steht das größte Atomkraftwerk der Welt.
Kurz vor ein Uhr mittags setzte sich Yamaguchi auf seinen Platz im holzvertäfelten Versammlungssaal in der Präfekturverwaltung in Niigata, erste Reihe, zweiter Platz von links. Aber was half es, vor den gefährlichen Flutwellen zu warnen? "Es lief ab wie immer", sagt Yamaguchi. "Einer gegen ein Dutzend Tepco-Leute. Und die sagten, alles sei in bester Ordnung."
Bis um 14.46 Uhr. Da war es vorbei mit dieser Ordnung. Plötzlich wankte das Sitzungsgebäude. Die Erde bebte, alle liefen nach draußen. Eine Viertelstunde lang blieb die Sitzung unterbrochen, dann kam man erneut zusammen. Ein Tepco-Vertreter betonte noch einmal, wie gut das Werk gegen Erdbeben und Tsunamis gesichert sei.
Gegen 16 Uhr ging das Treffen in Niigata zu Ende. In dem Moment, in dem Yamaguchi kurz darauf in einem örtlichen Hotel eincheckte - der Shinkansen fuhr wegen des Erdbebens nicht mehr -, informierte Tepco die Regierung: Wir haben die Kontrolle über die Reaktoren in Fukushima Daiichi verloren.
Ein ums andere Mal hat die Realität seither die Sicherheitsparolen der Atomlobby zur Farce gemacht: Schon das Beben ließ offenbar die ersten Rohre bersten. Die Brennstäbe schmolzen zu einem glühenden Uranklumpen zusammen. Dieser fraß schon früh Löcher in den Boden des Reaktordruckbehälters von Block 1. Und nicht einmal die Gefahr von Dampfexplosionen ist gebannt.
Die Beschwichtigungen von Tepco und der Regierung haben sich als hohl erwiesen. Zehntausende mussten ihre Heimat verlassen, vielleicht für immer. Selbst das fast 40 Kilometer vom Ort der Katastrophe entfernte Bergdorf Iitate muss jetzt evakuiert werden.
Zwei Monate lang beschwichtigte Tepcos Management, wies alle Schuld von sich und versuchte unterdessen vergebens, die havarierten Reaktoren unter Kontrolle zu kriegen. Dann erst, am vergangenen Freitag, erklärten Masataka Shimizu, der Präsident des Konzerns, und sein Vize Sakae Muto schließlich ihren Rücktritt. Es war vor allem der gewaltige Quartalsverlust von 10,7 Milliarden Euro, der sie zu diesem Schritt zwang.
Dass nun Toshio Nishizawa, ein anderer aus Tepcos Führungsriege, als Präsident nachrücken soll, wird am konzeptlosen Krisenmanagement kaum etwas ändern. Wie bisher wird sich der Krisenstab im ersten Obergeschoss der Tepco-Zentrale in Tokio versammeln. Es ist ein großer Konferenzraum, Zettel sind von innen an die Fenster geklebt. Um einen halbrunden Tisch sitzen die Top-Leute des Konzerns: Noch leitet Muto, bislang Chef der Nuklearabteilung bei Tepco, die Sitzungen. Links neben ihm sitzt Tsunehisa Katsumata, der Verwaltungsratschef. Meist ist er morgens um neun Uhr da und dann wieder abends von sechs bis sieben. Präsident Shimizu ließ sich in letzter Zeit ohnehin nur noch selten blicken, sagt ein Zeuge, der dabei war.
Wer für das Krisenmanagement verantwortlich zeichnet, ist unklar
Um den Konferenztisch herum stehen kleinere runde Tische. Daran sitzen Expertenteams, auch Fachleute der amerikanischen Nuklearaufsicht, Spezialisten des französischen Atomkonzerns Areva und japanische Wissenschaftler. Sie alle starren auf eine große Videowand. Dort gibt es Standleitungen in alle Kraftwerke, nach Kashiwazaki zum Beispiel.
Aber derzeit schauen sie fast immer nur nach links unten. Dort erscheint das Bild von Masao Yoshida, 56, dem Chef des Werks, der sich aus dem erdbebensicheren Raum des Kraftwerks Fukushima Daiichi meldet. "Yoshida hat es oft schwer, durchzudringen", sagt ein Teilnehmer dieser Treffen. "Die Leute vor Ort müssen sich bemühen rüberzubringen, wie ernst die Lage wirklich ist."
Dabei ist nicht einmal ganz klar, wer für das Krisenmanagement eigentlich verantwortlich zeichnet. Als der SPIEGEL vor wenigen Wochen einen Tepco-Sprecher fragte, wer den Krisenstab leite, hieß die Antwort: "Premierminister Kan." Zur selben Zeit stellte ein Abgeordneter im Parlament diese Frage an die Regierung. Die Antwort: "In erster Linie Tepco." Die Überwachungsbehörde Nisa wiederum ließ wissen: "Wir alle unterstützen gemeinsam Tepco bei der Krisenbewältigung."
Die Regierung tut dies insbesondere finanziell: Die ungeheure Summe von 43 Milliarden Euro soll Tepco vor dem Untergang bewahren. "Too big to fail" - die Formel, die in der Finanzkrise den europäischen und amerikanischen Großbanken das Überleben sicherte, erweist sich nun auch im Fall von Japans größtem Stromversorger als gültig.
Tepco beliefert 45 Millionen Menschen in der Region Tokio mit Strom
Tepco ist der viertgrößte Stromversorger der Welt, gut 52.000 Menschen arbeiten für den Mammutkonzern, zuletzt setzte er jährlich rund 35 Milliarden Euro um. Vor dem Zweiten Weltkrieg verstaatlichte die Regierung alle Stromunternehmen und fügte sie zu regionalen Monopolisten zusammen. Inzwischen sind die zehn Firmen zwar privat, aber ihre regionale Vorherrschaft haben sie behalten.
Das Industrieministerium hat die Stromfirmen stets als ausführendes Organ der Industriepolitik verstanden, im Gegenzug durften diese sich über garantierte Profite freuen. 45 Millionen Menschen in der Region Tokio beziehen ihren Strom von Tepco. Die Firma ist allgegenwärtig. Sie zahlt für Forschung, für Medien, und mitten im beliebten Tokioter Einkaufsviertel Shibuya errichtete sie ein riesiges Strommuseum.
Nach der Katastrophe von Fukushima liegt nun weit mehr als nur ein Kraftwerk in Trümmern. Ins Wanken geraten ist auch das ganze System, auf das die japanische Atombranche gegründet ist.
"Das Atomdorf": Mit dieser Chiffre wird in Japan eine abgeschottete Elite bezeichnet, die sich rund um den Nuklearkomplex gebildet hat. Zu den Bewohnern gehören die Atomabteilungen von Tepco ebenso wie die zuständigen Bereiche des Industrieministeriums. Aber auch Forscher, Politiker und Journalisten sind Mitglieder im exklusiven Atomclub.
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Das mit dem erkaempfen hoert sich ein bisschen komisch an. So richtig aufregend haben die Deutschen auch nie revoltiert. Aber 1945 sind die Herrschenden in Deutschland etwas schlechter weggekommen als in Japan. Das hilft. Ich [...] mehr...
... und tatsächlich wird weiter am Abwiegeln und Verharmlosen gearbeitet. Gestern hat die Meteorologie-Behörde auf Empfehlung der IAEA beschlossen, die Daten zur Verteilung radioaktiver Substanzen durch die Luft nicht weiter [...] mehr...
naja, groebst oder straeflich fahrlaessig war es schon ---Zitat--- .... hatten die deutschen Medien NICHTS anderes zu tun als Kritik an der Informationspolitik eines zu dieser Zeit völlig überforderten Landes zu üben [...] mehr...
Nachdem das Land in die Abhängigkeit von der Kernkraft geführt und gehalten wurde wird das etwas dauern, aber nach gegenwärtigem Stand von Wissenschaft und Technik ist das gar nicht mal so teuer. mehr...
... schwebt ein durden... Nee, so ein Fall, egal ob Un- oder Stör-, muß nicht sein, egal wo. Läßt sich beim Fernsehen auch nicht verhindern, unabhängig vom nationalen oder individuellen Methanausstoß. Ein "furzendes [...] mehr...
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