Standard: Die Fukushima-Debatte dreht sich mehr denn je um Informationspolitik: Was wird publiziert? Was von dem Preisgegebenen erscheint vertrauenswürdig?
Czurda: Über längere Zeit schien es ja so, als wäre der Umgang mit Information die japanische Ausprägung des weltweit üblichen Verschweigens und Verschleppens unvorteilhafter Nachrichten. Inzwischen hat sich jedoch ein Informationskonflikt zwischen Betreiber und Politik zugespitzt. Tepco versucht, seinen globalen Auftritt zu sichern, die Politik hat natürlich nationale japanische Interessen zu schützen.
Standard: Wie organisiert sich "Zutrauen" in der gebildeten japanischen Gesellschaft? In Europa misstrauen wir offiziellen Verlautbarungen. Kritisches Bewusstsein gilt als Ausweis der Bürger- und Zivilgesellschaft. Was wäre deren japanisches Gegenstück?
Czurda: Mit Begriffen wie "Subjekt" und "Mündigkeit" kommt man in Japan, oder überhaupt in Asien, nicht weiter. Die japanische Gesellschaft ist gänzlich anders strukturiert. Zuallererst gibt es eine steile Hierarchie, die bis in die jüngste Zeit so rigide durchgesetzt wird, dass ein Veränderungsvorschlag an die nächstobere Ebene schon als massive Kritik, als sozialer Übergriff verstanden und meist sanktioniert wird. Exemplarisch der Satz von Konfuzius, dass man einen herausragenden Nagel hineinschlagen muss. Sonst entsteht Schaden. Dieser Satz zielt auf das ausgeprägt egalitäre Verhalten innerhalb der Ebene. Dass gerade in solchen Strukturen der Umgang mit Information einerseits dem Hüten der eigenen kleinen Macht und ihres Vorteils im Weiterkommen entspricht, der "Informant" sich andererseits der Gefahr aussetzt, als ein herausragen wollender Nagel gedeutet zu werden, macht vermutlich diesen Eiertanz zwischen Preisgabe und Geheimhalten aus.
Standard: Wie reagiert man an der Spitze der Hierarchie?
Czurda: Wer schließlich "vorgesetzt" wird, trägt die Verantwortung. Und trägt sie natürlich im erlernten Regelkanon der Hierarchie. Der Kotau, den wir im Fernsehen jetzt häufig zu sehen bekommen, ist das öffentliche Eingestehen des eigenen Versagens, also ein kaum zu überbietender Gesichtsverlust.
Standard: Gibt es etwas "Katastrophisches" im japanischen Kollektivbewusstsein?
Czurda: Vielleicht muss man an dieser Stelle ein wenig die kulturellen Hintergründe skizzieren, die eine so ganz anders organisierte Gesellschaft konstituieren. Ich glaube, dass im westlichen Diskurs zur japanischen Katastrophe sehr viel von unserer monotheistischen Prägung mitschwingt. Einerseits die Schuldfrage: Wer ist schuld, wer hat das Cäsium aus dem Reaktor entlassen. Und das heißt: Welches einzelne Individuum ist schuld und wird ans Kreuz genagelt? Monotheismus, in diesem Zusammenhang, heißt: In unendlicher Ferne ist das Paradies. Ich tue nichts für jetzt, ich tue alles für später, für die Ewigkeit im Himmel. Ich bin auf einer Bühne, in einer Dramatisierung, die nur dazu dient, auf später zu verweisen.
Standard: Ist die technologische Überformung der japanischen Gesellschaft das Symptom einer Verdrängung?
Czurda: "Verdrängung" wäre etwas, was ich der Dramatisierung zu entziehen versuche, eine Sünde, die ich, das Individuum, nicht gestehe. Das Individuum als letztes Unteilbares aber existiert nicht in der japanischen Kultur. Daher ist es sinnlos, nach seiner Mündigkeit zu fragen. Der Einzelne ist nie losgelöst von den anderen zu denken, er befindet sich fest eingeknüpft in ein Netz. Vielleicht ist hier die Metapher der Synapse brauchbar: Er ist zwar ein einzelner Punkt, durch den aber quasi das Menschsein schlechthin ständig und auf verschiedenste Art hindurchpulst. Der Synkretismus des Shintoismus und Buddhismus bildet die Matrix für diese Auffassung von Existenz. Nirgends eine "Krone der Schöpfung". Jenes zu Tode zitierte "Hier und Jetzt" generiert einen Pragmatismus, in dem ich gleich viel wert bin wie der Baum, der Fuchs, der Stein, die Maschine, die Wolke, das Moos, der Fluss. Ich lebe wie sie unter "der lautlosen Macht der Unbeständigkeit". (Ronald Pohl/DER STANDARD, Printausgabe, 6. 4. 2011)
Elfriede Czurda lebt als Autorin in Wien. Sie verbrachte als Gastprofessorin mehrere Monate in Japan. Einschlägige Frucht ihres Aufenthalts: das Buch "Ich war nie in Japan", mit Zeichnungen von Maria Bussmann, erschienen im Passagen Verlag: Wien 2010. Letzte Einzelveröffentlichung: der Gedichtband "dunkelziffer", Edition Korrespondenzen, Wien 2011.
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Das kann aber bei uns auch ziemlich schnell passieren, auch wenn alle das Gegenteil beteuern.
Den Titel ihres Buches nehme ich der Frau sofort als die Wahrheit ab.
Asienexpertin?
Japanexpertin?
Bestenfalls ist die Dame in der Lage ein "Menü M5 mit scharf zu bestellen"
Japan hatte keine Revolution in der Geschichte. Der Kaiser (Tenno) exiistierte seit Thousand Jahren als eine einzige politische Dynastie. Regiemkritiker gibt es in Japan nicht. Selbst der U.S. General MaCarthur wusste es, dass Tenno sollte nach dem zweiten Weitkrieg weiter als das Symbol der Fuehrung in Japan weiter bleiben. So ein Schicksal galt nicht fuer Hitler oder Mussollini.
Nur weil es in vielen asiatischen Kulturen ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis gibt, bedeutet dies keinesfalls, daß es dort keinen Individualismus oder Mündigkeit gibt.
Das hat auch nichts mit Revolutionen zu tun, sondern mit einer ganz anderen Form der Konfliktbewältigung.
Es ist ein gewaltiger Fehler westliche Maßstäbe an asiatische Kulturen anzulegen.
Damit disqualifiziert sich die "Expertin" von selbst.
Andererseits, für die rosa Pravda und deren Zielpublikum reicht es immer noch.
Die Tennô hatten aber nicht durchgehend die Macht inne, sondern hatten lange Zeit nur eine symbolische Stellung, z.B. in der Edo-Zeit, als die Tokugawa-Shogune regierten. Das änderte sich erst wieder mit der Meiji-Restauration im späten 19. Jh.
dass der westliche Konsumtrottel ernsthaft meint, er sei die Krone der Schöpfung, das Sahnehäubchen.
Schon nach wenigen Wochen im Ausland, sieht man wie verblödet und vollkommen verbogen der Westler von Fernsehen, Medien und Geld schon ist und wie absurd seine Vorstellungen zu ganz banalen Dingen sind. Aber Demut war noch nie eine Stärke hier. Besser immer hochmütig mit dem Finger auf andere zeigen.
Schon mal in Japan ferngesehen? Dort gibt's sogenannte Variety-Sendungen, in denen man sich oft auf für europäische Verhältnisse recht grausame Art über Ausländer und ihre vermeintlichen Schwächen und Eigenschaften lustig macht. (Anwesende) Afrikaner werden da schon mal gerne als nach Beute jagende Buschmänner mit Speer dargestellt, Ausländer mit nicht perfekten Kenntnissen der japanischen Sprache und Kultur werden gnadenlos ausgelacht und mitsamt Fehlern untertitelt.
Zum Glück hat das Fernsehen weder im Westen noch in Japan viel mit der Realität zu tun.
Ich war in meinem Leben bisher 56 Wochen in Jugo auf Urlaub. Bin ich jetzt Balkanexperte?
Die Freuden des Internets:
Wenn denn alles so stimmt wie im Netz verbreitet, bezieht sich der Japanaufenthalt von mehreren Monaten auf das Jahr 1996. Rechnung: das ist nun 15 Jahre her.
- Anmerkung: als wahrer "Fachmensch" zur Thematik Japan/Kultur sehe ich hier in Wien eh nur Roland Domenig.
Wobei sich Domenig halt in Japan im akademischen Bereich bewegt hat und sein Spezialgebiet Film ist. Das Standard-Interview mit ihm vor ein paar Tagen war von den Fakten her nicht wirklich korrekt oder realitätsnah.
Ich denke die Japaner haben Angst. Und Angst lässt in der Regel drei Verhaltensweisen zu: Flucht, Kampf oder Totstellreflex. Die Japaner flüchten nicht und sie kämpfen auch nicht.
das habe ich schon als 6-jähriger gewusst, als 30 gleichgekleidete japanische touristen mit komischen hütchen gleichzeitig aufs klo gegangen sind.
Das stimmt so nicht. Das Individuum entsteht da, wo eine Person einen "Fehler" macht. Dann stehst in Japan nämlich ziemlich "individuell" (allein) da.
manchmal ist auch opas samurai-schwert wieder mal harakiri-mässig im einsatz.
Wow, mehrere Monate in Japan.
Das muss ja DIE Fachfrau sein.
Die Generalbeurteilung der japanischen Seele ist übrigens unterirdisch.
... kann zumindest Nobuyoshi Araki mit seinen Bildern ... das wäre mal ein kleiner Anfang ..
... Leopold Federmair lebt seit einigen Jahren in Japan. Der ist ein Auskenner, und seine Artikel zum Thema Japan/Hiroshima sind im allgemeinen die interessantesten/besten.
warum fragt man nicht japaner?
http://www.fr-online.de/kultur/de... index.html
Liebe Standard-Redaktion: bitte keine Interviews mehr zum Thema "so sind die Japaner".
da würden wir staunen.
Wer ist Ihrer Meinung nach "die Japaner"?
Wer ist Ihrer Meinung nach "uns"?
Geh, Sie wissen schon, was gemeint ist.
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