John Rabe

Der Oskar Schindler Chinas kommt ins Fernsehen

Von Frank Hollmann, Schanghai

Retter Abertausender: Siemens-Manager John Rabe, im Film gespielt von Ulrich ...

Retter Abertausender: Siemens-Manager John Rabe, im Film gespielt von Ulrich Tukur

13. Dezember 2007 Hunderttausende niedergemetzelt, vergewaltigt, Frauen und Kinder, Leichenberge in den Straßen, aufgespießte Köpfe, zerbombte Straßenzüge - das „Massaker von Nanjing“ vom 13. Dezember 1937 hat sich in das Bewusstsein der Chinesen gegraben. Bis heute belastet es das Verhältnis zum einstigen Kriegsgegner Japan. Vor siebzig Jahren hatten die japanischen Truppen in der damaligen chinesischen Hauptstadt Nanjing schätzungsweise 300.000 Menschen ermordet, meist Zivilisten.

Dass es nicht noch mehr wurden, verdankt die Stadt am Jangtse dem Mut eines Deutschen und seiner Helfer. Der damalige Siemens-Manager John Rabe hatte in und um das Gelände seiner Firma eine internationale Schutzzone eingerichtet, in die zeitweise mehr als 200.000 Chinesen flüchteten. Im Privathaus des gebürtigen Hamburgers drängten sich sechshundert Schutzsuchende. Immer wieder verhinderte Rabe das Vorrücken der Japaner in die Schutzzone, indem er sie an das Bündnis Japans mit dem NS-Regime erinnerte.

Eine der größten deutschen Produktionen aller Zeiten

Dora Rabe (Dagmar Manzel) versucht, ihren Mann zur Abreise aus Nanking zu übe...

Dora Rabe (Dagmar Manzel) versucht, ihren Mann zur Abreise aus Nanking zu überreden

„Das ist eine große Geschichte und trotzdem kaum bekannt, ein Stoff, den man erzählen muss und der auf die Leinwand gehört“, sagt Daniel Brühl. Der Schauspieler gehört zu einer dreihundertköpfigen deutsch-chinesischen Filmcrew, die diese Geschichte vor dem Vergessen retten will. Es könnte ein zweites „Schindlers Liste“ werden. Wie Oskar Schindler war John Rabe NSDAP-Mitglied. Während Schindler in Polen Tausende Juden vor dem Holocaust bewahrte, rettete Rabe mit beispielhafter Zivilcourage und Einfallsreichtum Chinesen vor der japanischen Armee. „Man möchte doch ein anständiger Kerl bleiben“, schrieb der damals Fünfundfünzigjährige in sein Tagebuch. „Man kann doch seine Untergebenen mit ihrem Anhang nicht im Stich lassen. Das ist doch selbstverständlich.“

Über Rabes Geschichte dreht der oscarprämierte Regisseur und Drehbuchautor Florian Gallenberger jetzt gerade eine der größten deutschen Produktionen aller Zeiten. Ulrich Tukur, Gottfried John und Dagmar Manzel stehen mit internationalen Größen wie Steve Buscemi und Anne Consigny sowie asiatischen Kollegen vor der Kamera. Der Film soll im nächsten Winter im Kino und im Fernsehen gezeigt werden. Koproduziert wird „John Rabe - eine wahre Geschichte“ vom ZDF und vom amerikanischen Bezahlsender HBO.

Die Deutschen hier nehmen Urlaub, um mitzuwirken

Ein einstiger Flugplatz dient als Kulisse für die Siemens-Fabrik. Über den zu einem Elektrizitätswerk umgestalteten Hangars weht die Hakenkreuzfahne, Fensterhöhlen sind rußgeschwärzt, in eine Mauer hat sich das Wrack eines japanischen Kampfflugzeugs gebohrt. Mit einem Budget von siebzehn Millionen Euro dreht Florian Gallenberger notgedrungen in Schanghai. Er habe so viel wie möglich in Nanjing drehen wollen. „Nur ist die Stadt während des Massakers zum großen Teil zerstört worden, so dass es in Nanjing das China von 1937 nicht mehr gibt. Das darzustellen ist schon in Schanghai schwierig genug, weil die Stadt ihre Vergangenheit rigoros ins Jenseits befördert hat.“

So verwandelt sich die Aula einer früheren französischen Schule in einen prächtigen Ballsaal, ein Hotel wird zur deutschen Botschaft. Hunderte Komparsen erfüllen die Kulissen mit Leben. In Schanghai lebende Deutsche - Manager, Ingenieure und Banker - nehmen Urlaub, um mitzuwirken. Einheimische Laiendarsteller fühlen sich geehrt: Dass es einen Deutschen gab, „der uns Chinesen so geholfen hat, das bewegt uns sehr“, sagt einer. „Ich bin dankbar, in diesem Film zu spielen.“

Hauptsache, der Film werde überhaupt gedreht, sagt Gallenberger

Um ihn zu realisieren, muss die Crew große Schwierigkeiten meistern. Kaum einer der chinesischen Komparsen spricht Englisch. Jedes Ja, Nein oder Stop wird übersetzt. Nicht nur deshalb zieht sich das Projekt in die Länge. Um die Drehgenehmigung haben die Produzenten zäh verhandelt. Zudem musste Gallenberger sein Drehbuch mehrfach ändern, bis die Pekinger Zensoren ihr Plazet gaben: Tschiang Kai-schek zum Beispiel darf als Maos Gegenspieler in der chinesischen Version des Films nicht vorkommen. In der internationalen Version wird er erscheinen.

Ein linientreuer Nationalsozialist (Mathias Herrmann) soll John Rabe ablösen

Ein linientreuer Nationalsozialist (Mathias Herrmann) soll John Rabe ablösen

Das avisierte Datum der Premiere zum siebzigsten Jahrestag des Massakers war nicht zu halten. Hauptsache, der Film werde überhaupt gedreht, sagt Gallenberger. Schließlich habe Rabe so viel Gutes getan, betont der Schanghaier Schauspieler Lin Dongfu. Er wird sich seine kurze, in China unerwünschte Darstellung des Generallissimo Tschiang Kai-schek vielleicht bei einem Besuch in Hamburg ansehen. Lin ist ein enger Freund von Udo Lindenberg.

Das offizielle Japan verweigert sich der Aufarbeitung

Während China die Erinnerung an das Massaker wachhält, verweigert sich das offizielle Japan der Aufarbeitung. Historiker wie Shudo Higashinakano bestreiten unbeirrt das Ausmaß der Greuel. Nach dessen Buchvorlage hat der Regisseur Satoru Mizushima gerade „Die Wahrheit von Nanjing“ abgedreht, eine nachträgliche Reinwaschung japanischer Kriegsverbrecher.

Daniel Brühl als Botschaftsmitarbeiter Dr. Georg Rosen

Daniel Brühl als Botschaftsmitarbeiter Dr. Georg Rosen

Ma Yunshen weiß es besser. Sie hat als Siebenjährige erlebt, wie „die japanischen Teufel“ kamen. Die zittert bei der Erinnerung: „Sobald sie kamen, rannten wir, bis wir die Schutzzone erreicht hatten. John Rabe hat uns Chinesen beschützt. Alle alten Leute in Nanjing wissen das.“

Zum Jahrestag des Massakers hat die Stadt die Gedenkstätte saniert. Historiker aus aller Welt haben sich zur Eröffnung angesagt. Das einstige Wohnhaus John Rabes ist heute ein Museum. 2003 würdigte hier Bundespräsident Johannes Rau die Verdienste des Deutschen von Nanjing.

Von der Gestapo verhört, verarmt gestorben

Die Schülerin Langshu (Zhang Jingchu) dokumentiert die Kriegsverbrechen

Die Schülerin Langshu (Zhang Jingchu) dokumentiert die Kriegsverbrechen

Solche Ehre blieb John Rabe zu Lebzeiten verwehrt. Sein Mut wurde ihm vielmehr zum Verhängnis. Mehrfach hatte er Hitler telegrafiert und ihm Briefe geschrieben. „Herrgott, wenn doch Hitler helfen würde“, hatte Rabe notiert. Fast dreißig Jahre lebte er in China, die Machtergreifung verfolgte er aus der Ferne, Hitler schätzte er fälschlich als volksnahen, mitfühlenden Staatsmann ein. Aus Begeisterung für den vermeintlich humanistischen Charakter der Bewegung war Rabe 1934 in die NSDAP eingetreten. „Hitler wird nicht nur für die Not des eigenen Volkes das tiefste Mitgefühl haben, sondern auch für die Not Chinas“, schrieb Rabe in seine Tagebücher, die die Grundlage des Drehbuchs bilden. Erwin Wickert, Herausgeber der 1997 erschienenen Tagebücher und Vater des Fernsehmoderators Ulrich Wickert, hatte Rabe als jungen Austauschstudenten in China kennengelernt und seine Geschichte beschrieben.

Seine Parteizugehörigkeit nutzte Rabe nichts. Wegen der Bittbriefe an Hitler wurde er von der Gestapo verhört und gedemütigt, er starb verarmt kurz nach Kriegsende. Der ihn spielende Ulrich Tukur hat keine heroische Figur vor Augen: „John Rabe war eher ein durchschnittlicher Mensch, heute würde man sagen: ein Kraftwerksmanager“, sagt Tukur. „Dem wird auf einmal von der Geschichte eine Rolle zugewiesen, und an der Rolle wächst er. Er ist für Hunderttausende Menschen eine überlebenswichtige Figur, und als er zurück nach Deutschland geht, fällt er ins Nichts und stirbt in Berlin völlig unbekannt. Das ist die eigentliche Geschichte.“



Text: F.A.Z., 13.12.2007, Nr. 290 / Seite 38
Bildmaterial: Majestic / Jörg Gruber, Majestic / Ruggero Rossi, Majestic / Tomoko Kikuchi

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