Beim Kabuki-Theater spritzt Schlamm ins Publikum
Der idyllische Kerzenschein trügt, denn mitten im fröhlichen Geflacker geschieht das Unfassbare: Ein Mord! Es ist ein Kampf auf Leben und Tod, der mit der Entführung der Konkubine Kotoura begann. Fischhändler Danshichi ist der Samurai-Familie ihres Geliebten Isonojo verpflichtet und will die junge Frau daher um seiner Ehre willen retten. Ausgerechnet sein geldgieriger Schwiegervater Giheiji ist der Drahtzieher der Untat. Für ihn ist Danshichi ein elender Verlierer, der mal wieder ein gutes Geschäft platzen lässt. Als der böse Alte sich rächen will, unterliegt er deem Schwiegersohn und versinkt tödlich verwundet im Schlammloch.
Der Dreck spritzt bis in die mit Plastikponchos geschützten Zuschauerreihen. Ungewöhnlich für japanisches Kabuki-Theater, das den Kampf eigentlich traditionsgemäß nur streng stilisiert antäuscht. Doch Nakamura Kanzaburo, Star und Leiter des 118-jährigen Tokioter Theaters Heisei Nakamura-za, gilt als behutsamer Erneuerer des drastischen Volkstheaters aus den Anfängen des 17. Jahrhunderts. Ursprünglich ein erfolgreicher Film- und Fernsehschauspieler, ist der Mime in Nippon längst eine Theaterlegende. Seine aufwendigen Kabuki-Produktionen sorgen nicht nur in der Heimat, sondern auch weltweit für Furore. In Berlin feierte nun das Stück "Sommerfest: Ein Spiegel von Osaka" im Haus der Kulturen der Welt Europa-Premiere. Eine ungeheure Materialschlacht mit exotischen Kostümen und Masken, die keineswegs als bloße Folklore fasziniert. Regisseur Kushida Kazuyoshi hat das hochartifizielle und durchchoreographierte Spiel packend inszeniert.
Simultan übersetzt, kommt die teils derbe Geschichte im rauen Milieu zwischen Schlägern und Fischhändlern anfänglich noch befremdlich daher. Das Posieren in festgelegten Bewegungsabläufen ist in dem Kabuki-typischen Mix aus Theater, Tanz, Gesang und Musik auf Original-Instrumenten nämlich häufig wichtiger als der rote Faden. Doch bald schon folgt man den Schauspieler, allen voran Nakamura Kanzaburo als Danshichi, wie gebannt, überzeugen sie doch mit ihrer slapstickhaften Mimik und Gestik, aber auch mit so atemberaubenden wie irrwitzigen Kampfszenen. Traditionell werden die Frauen dabei von Männern mit Fistelstimme gespielt.
Tragikomisch, brutal und spannend zugleich, ist das Stück mit seiner opulenten Optik auch ein Sittengemälde seiner Zeit. Es geht um das althergebrachte Rollenverständnis zwischen Mann und Frau, um Jung und Alt, und vor allem immer wieder um die Ehre. Drei Stunden Prallbuntes aus Japans Vergangenheit. Ein Theater-Ereignis, das man nicht verpassen sollte.
Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten. Tel.: 3978 7175. tickets@hkw.de. Termine: Bis 21.5., 19.30 Uhr, 17./18.5. auch 14.30 Uhr boroAus der Berliner Morgenpost vom 16. Mai 2008